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Bei den Werken aus der Sammlung Werner handelt es sich in mehrfacher Hinsicht um eine Besonderheit. Diese Sammlung vereint nicht nur ausgezeichnete Werkgruppen der Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Otto Mueller und Max Pechstein sowie Farbkreidezeichnungen von Oskar Kokoschka – sie ist vor allem durch ihre ungewöhnliche Entstehungsgeschichte von Bedeutung. Ihre Initiatorin war die 1922 im sächsischen Frankenberg geborene Irmtraut Werner, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs in der anfangs in Chemnitz ansässigen Galerie von Wilhelm Grosshennig als Sekretärin arbeitete. Nachdem Grosshennig mit der Galerie 1951 nach Düsseldorf umgezogen war, folgte Werner dem Galeristen als dessen Mitarbeiterin, ließ sich von seiner Begeisterung für den Expressionismus anstecken und begann mit dem Aufbau einer eigenen Sammlung zur Klassischen Moderne. Nach ihrem Tod 2008 gab Werners Tochter die Sammlung als Leihgabe in die Albertina in Wien, dem weltweit bedeutendsten Museum für graphische Künste. 2012 wurden die Highlights ihrer Sammlung in einer viel beachteten Ausstellung mit eigenem Katalog gezeigt.
Als Grosshennig aufgrund der völligen Zerstörung der Galerieräume 1945 in Chemnitz nach Düsseldorf übersiedelte, konnte er auf eine fast 40jährige Galerietätigkeit zurückblicken. Mit dem Neuanfang in der Kasernenstraße 13 war auch ein Wandel der vertretenen Künstler verbunden. So wandte er sich nach der Handelstätigkeit mit Werken des 19. Jahrhunderts jetzt dem deutschen Expressionismus sowie den französischen Künstlern Pablo Picasso, André Derain und Henri Matisse zu. Wie der langjährige Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder im Katalog der Sammlungsausstellung schreibt, avancierte die „Galerie Grosshennig zur Drehscheibe des Kunsthandels für französische und deutsche Kunst des ausgehenden 19. und 20. Jahrhunderts und zur Kunstvermittlerin beim Neuaufbau und Wiederherstellung öffentlicher Kunstsammlungen in Westdeutschland.“ (Kirchner, Heckel, Nolde. Die Sammlung Werner, Ausst. Kat. Wien 2012, S. 8). Maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hatte seine junge Mitarbeiterin Irmtraut Werner, die sich – von Natur aus ambitioniert und interessiert – selbst zur Kunstexpertin auf dem von ihrem Arbeitgeber favorisierten Terrain entwickelte. Als Anerkennung für ihre tatkräftige Unterstützung schenkte er ihr zum Geburtstag und zur Taufe ihrer Tochter graphische Arbeiten des Expressionismus. Diese Werke sollten die Initialzündung zum Aufbau der eigenen Sammlung werden, die sie auch dann weiterführte, als sie 1965 den Geigenvirtuosen Ricardo Odnopossoff heiratete und ihm nach Wien folgte. Ihre fast zwanzigjährige Galerietätigkeit war derart prägend gewesen, dass sie mit Hilfe ihrer alten Kontakte, aber vor allem mit einem sicheren Gespür für Qualität weitersammelte.
Irmtraut Werner war dabei stets bestrebt, Einzelwerke nicht allein stehenzulassen, sondern graphische Folgen zu bilden, so etwa bei Otto Muellers Lithografien „Im Wasser stehendes und am Ufer sitzendes Mädchen“ (Lot 173) und bei den „Zwei Akten“ (Lot 172), die sie mit Hilfe der Künstlerwitwe Maschka Meyerhofer, verheiratete Mueller, komplettierte. Ebenfalls von Mueller stammt eines der Highlights ihrer Sammlung, das großformatige Aquarell „Großer liegender und kleine stehende Akte in Landschaft“ (Lot 41). Mit diesem 1925 datierten Werk besaß Werner ein charakteristisches Werk des Brücke-Künstlers, der sich seit 1901 mit der Darstellung des nackten Menschen, meist knabenhafte junge Frauen, in der Natur auseinandersetzte. Stehend oder liegend sind seine Gestalten Sinnbilder für den paradiesischen Zustand des Menschen in einer natürlichen Umgebung. Meist verzichtete Mueller auch auf Attribute und gab nur selten die Physiognomien seiner Figuren preis. Das Schaffen Erich Heckels lernte sie 1965 durch die Ausstellung „Erich Heckel. Gemälde aus den Jahren 1906-1960“ in der Galerie Grosshennig kennen. Aus dieser Schau und anderen Quellen fanden ausgewählte Werke auch den Weg in ihre Sammlung, etwa die Aquarelle „Wolken am Meer“ (Lot 168), „Frau vor Bäumen“ (Lot 167) und „Südfranzösischer Hafen“ (Lot 169), die allesamt aus den 1920er Jahren stammen und das breite Themenspektrum des Künstlers offenbaren.
Während der Jahre an der Seite des weltweit gefragten Violinisten Odnopossoff blieb sie über Ausstellungen, Künstler und aktuelle Kunstströmungen informiert und erweiterte ihre Sammlung vorsichtig um Werke von Maurice Estève, Alexander Archipenko, Henri Matisse und vor allem von Picasso. Von letztgenanntem erwarb sie eine seiner schönsten Lithografien, die „Buste au corsage à Carreaux“ (Lot 42) von 1957 mit der Darstellung seiner letzten Lebensgefährtin Jacqueline Roque. Durch den meisterhaften und wie immer bei Picasso experimentierfreudigen Umgang mit den verschiedenen Drucktechniken brachte er die Kreide derart breitflächig auf die Zinkplatte, dass er die Effekte einer „Frottage“ erreichte und eine ungewöhnlich malerisch anmutende Graphik schuf, deren Reiz er mittels einer feinen Nadel noch erhöhte. Insgesamt hatte Werner eine hochkarätige Sammlung zusammengetragen, die trotz der verschiedenen Künstler überraschend homogen ist. Trotz der Tatsache, dass sie sowohl in künstlerischer, familiärer und materieller Hinsicht anfangs kaum die Voraussetzungen dazu mitbrachte, war ihr eine in sich geschlossene und überraschend frische Sammlung gelungen. |