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Angewandte Kunst macht Historie greifbar, herausragende Objekte der Auktion bei Lempertz belegen das eindrucksvoll: Von der tragenden Rolle der Seefahrt und den Entwicklungen in einzelnen Städten bis zur Entdeckung des Porzellans in Europa schreiben und beschreiben herausragende Werke Geschichte. Ein direkter Zeitzeuge ist ein Teppich, auf dem die DFB-Auswahl als Weltmeister 1974 im Bonner Rathaus empfangen wurde.
Die Hansestadt Tallin hat im Laufe der Jahrhunderte nicht nur den Namen gewechselt, sondern auch die Nationalität: 1710 ging das damalige Reval aus schwedischer in russische Herrschaft über. Kurz zuvor schuf der Silberschmied Johann Seliger eine besondere Deckelkanne. Dieses exquisite Beispiel seiner Kunst trägt das Wappen der Familie von Drenteln, die in der Geschichte der Stadt zu jener Zeit eine herausragende Rolle spielte. Zar Peter I. beschlagnahmte gegen Ende des Großen Nordischen Krieges ihre Sommerresidenz und nutzte ihn als seinen Rückzugsort. Die Familie entschädigte er mit 1400 Rubel. Mit dem Schätzpreis von 20.000 bis 24.000 Euro ist diese exquisit gearbeitete und aufwändig verzierte Deckelkanne in Köln in der Auktion.
Wie Tallin / Reval hatte auch Regensburg einen großen Teil seines Wohlstandes dem Fernhandel zu verdanken. Damals wie heute wird der von der Seefahrt getragen. Schiffe sind daher ein beliebtes Motiv der Kunst jener Zeit – je erfolgreicher der Kaufmann, desto aufwändiger darf die Umsetzung in Kunst wie etwa in Gestalt eines teilweise vergoldeten Schiffspokals aus Silber sein. Ein besonders bedeutendes Exemplar hatte ein Regensburger Kaufmann im 17. Jahrhundert zusammen mit zahlreichen weiteren Preziosen in seinem Haus versteckt, um sie während des Dreißigjährigen Krieges vor Plünderung zu schützen. Es sollte allerdings bis zum 19. Jahrhundert dauern, ehe der Schatz wiederentdeckt wurde. Diese Sensation fand schon damals großes Medienecho, heute ist der Regensburger Silberfund legendär. Ein herausragendes Stück aus diesem Schatz ist am 16. Mai ein Highlight in der Auktion Kunstgewerbe. Das circa von 1604 und 1623 tätigen Nürnberger Meister Tobias Wolff geschaffene Werk ist auf 100.000 bis 120.000 Euro taxiert.
Auch ein besonderes Objekt aus dem Dresdner Hofsilber hat wendungsvolle Abschnitte der Geschichte gesehen: Die Platte mit Wärmeglocke aus dem Dresdener Hofsilber trägt unterseitig das Monogramm Kurfürst Friedrich Augusts III. sowie das Dresdner Beschauzeichen mit dem Jahresbuchstaben K für 1784 und die Meistermarke der Dresdner Silberschmiede Carl Christian und Friedrich Christian Schrödel. Diese Objekte greifen noch weiter in die Geschichte zurück, waren sie doch vom Sächsischen Hof als Ergänzungen für das so genannte „mattvergoldete silberne Tafelservice“ bestellt worden, das August der Starke 1718 anlässlich seiner bevorstehenden Hochzeit in Augsburg in Auftrag gegeben hatte. Im Zuge der Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Freistaat Sachsen und dem vormaligen Königshaus gelangte die Silberkammer 1924 in das Eigentum des Hauses Wettin, woraus sich hin und wieder eine Gelegenheit ergibt, Objekte aus dem Dresdner Hofsilber angeboten zu finden. Der Schätzpreis für diese Platte mit Cloche beträgt 24.000 bis 28.000 Euro.
Eine der bemerkenswertesten Silberschmiedinnen des 20. Jahrhunderts ist Emmy Roth. Nicht nur war sie in den Zwanziger und Dreißigerjahren eine von sehr wenigen Frauen, die Silberobjekte produzierten, sie war auch international erfolgreich. An ihrem Stil kann man dabei die Entwicklung vom Jugendstil zur Formsprache der Bauhaus-Zeit ablesen. Gebürtig aus Hattingen, lernte sie zunächst in Düsseldorf und eröffnete dann in Charlottenburg ihre eigene Werkstatt, bis sie als Jüdin sich 1933 gezwungen sah, Deutschland zu verlassen. In ihrer neuen Heimat Jerusalem und später Tel Aviv konnte sie sich nur noch wenig mit Design beschäftigen. Aus den Jahren zuvor stammen Objekte von schlichter Eleganz wie einer Vase oder ein Paar Henkelbecher, Schätzpreise zwischen 2500 und 4000 Euro.
Porzellan in Europa zu entwickeln, bedeutete einen langen Weg, auf dem vor allem die Meissner Manufaktur vorangegangen ist. Schon zwei Jahre bevor das erste Porzellan auf europäischem Boden entstanden ist, war man in Meißen bereits in der Lage, kostbare Objekte aus Böttgersteinzeug zu fertigen. Am Ende dieser Phase oder kurz danach ist auch die bedeutende Teekanne mit Deckel zu datieren. Von diesem Kannenmodell sind bisher nur zwei weitere Exemplare publiziert, das bei Lempertz angebotene Exemplar wurde für den königlichen Gebrauch fein veredelt, hochglänzend poliert und mit einer Erbskette ausgestattet, die an Henkel, Deckelknauf und einem Klappdeckel an der Tülle befestigt ist. Dieses zirka 1710 bis 1725 entstandene Stück hat den Schätzwert von 15.000 bis 25.000 Euro.
An die ausgelassene Tafel früherer Jahrhunderte führen in der Auktion am 16. Mai zudem zahlreiche Fayencen. Besonders spektakulär ist dabei ein seltener Künersberger Fassreiter, der um 1750 entstanden ist, Schätzpreis 15.000 bis 20.000 Euro. Das 33 Zentimeter hohe Stück ist ebenso eine Zierde für die Tafel wie eine Auswahl von Schaugerichten aus dem 18. Jahrhundert mit Schätzpreisen zwischen 1000 und 8000 Euro. Deutlich älter ist eine Schüssel mit Groteskendeor. Die Majolika wurde um 1600 im Atelier der Patanazzi in Urbino gefertigt, Schätzpreis 10.000 bis 15.000 Euro.
Zeitgeschichte wurde im Bonner Rathaus geschrieben, als sich 1974 die Spieler der DFB-Auswahl nach Erreichen des Weltmeistertitels im eigenen Land ins Goldene Buch der damaligen Bundeshauptstadt eintrugen. Auch den Besuch des Dalai Lama und viele weitere Ereignisse hat der Teppich während seiner „Dienstzeit“ erlebt. Mit dem Schätzpreis von 6000 bis 8000 Euro wird er am 16. Mai in Köln aufgerufen.
Auch zwei herausragende Schränke sind besonders repräsentativ: Ein bedeutender Schrank, der im dritten Viertel des 18. Jahrhunderts wohl im Maasland gefertigt wurde, erzählt in Genreszenen in vier Reliefs von den Tätigkeiten eines Tages, Schätzpreis 8000 bis 10.000 Euro. Die große Mainzer Tradition exquisiter Möbel belegt ein Schreibschrank, in Mainz traditionell Cantourgen genannt. Vollplastische Volutenbänder, geschnitzte Kompositkapitelle und eine mit Rautenparkett dekorierte Oberfläche gehören zu den Merkmalen dieses um 1760 bis 1770 entstandenen Stückes, Schätzpreis 60.000 bis 80.000 Euro. |