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Die in Berlin lebende Kanadierin Larissa Fassler betreibt in der Kunsthalle Lingen Urbanismuskritik. Gleichzeitig zeigt sie aber auf, wie man streng definierten Räumen mit Humor und Resilienz begegnen kann

Die Verhältnisse zum Tanzen bringen



Was ist ein Sichtbereich? Knapp formuliert, umfasst dieser Begriff all das, was von einer bestimmten Position aus im 360 Grad-Winkel visuell wahrgenommen werden kann. Genau für diesen Blick auf urbane Räume interessiert sich die kanadische Künstlerin Larissa Fassler. Im Fokus ihrer Praxis stehen dabei markante, von ihr genauer untersuchte Orte und Umgebungen in europäischen und nordamerikanischen Metropolen. In ihrer Einzelausstellung „Building Worlds“, die zur Zeit in der Kunsthalle Lingen zu sehen ist, untersucht sie in verschiedenen Medien, wie großstädtische Plätze, Repräsentationsbauten, Monumente, Hauptstraßen, Nahverkehrseinrichtungen, Wohnkomplexe und unterirdische Tunnelsysteme den Alltag der darin lebenden Menschen determinieren. Gleichzeitig legt sie offen, von wem sie gestaltet, reglementiert und mit bestimmten Narrativen überschrieben werden.


Architektur entlarvt Larissa Fassler dabei als Machtdemonstration derer, die die Planungshoheit und die finanziellen Mittel besitzen, diese manifest werden zu lassen. Die Tochter einer Künstlerin und eines Architekten aus Vancouver, die an der Concordia University in Montreal und am Goldsmith’s College in London studiert hat und bereits seit 1999 in Berlin lebt, legt politisch-gesellschaftliche Strukturen und Herrschaftsverhältnisse offen, zeigt aber gleichzeitig auch Wege dafür auf, wie man sich mit Kreativität, Humor und dem Mut zu Widerständigkeit dagegen wehren kann. Wie eine Enkelin der französischen Situationisten der 1960er Jahre, in deren Praxis die Methode des „Dérive“, also des bewussten Sich-treiben-Lassens im großstädtischen Raum, eine große Rolle spielte, bricht auch Fassler immer wieder zu Feldforschungen im Großstadtdschungel auf.

Allerdings wesentlich zielgerichteter als damals: Sie hält präzise fest, wie viele Fahrräder, Busse oder Taxis an einer bestimmten Stelle vorbeikommen. Sie beobachtet und beschreibt Passant*innen, ihre Kleidung und Accessoires, registriert ihr teils aggressives Verhalten untereinander, schnappt Gesprächsfetzen auf, notiert sich den unangenehmen Geruch menschlicher Exkremente, protokolliert einen Schrei oder das abrupte Bremsmanöver eines schwarzen Autos. All diese Beobachtungen tauchen in Form hunderter kleiner handschriftlicher Notizen auf ihren Bildern auf.

In Lingen zu sehen sind jetzt großformatige Bilder und Zeichnungen, Skulpturen, Glasobjekte, Installationen und vor allem auch Werke, die die Ästhetik und Materialität herkömmlicher Architekturzeichnungen und -modelle scheinbar übernehmen, diese aber, angereichert mit subjektiven Strategien der Aneignung und Inbesitznahme, subversiv variieren und ad absurdum führen. Berlin, Paris, New York und Vancouver sind die Städte, die Larissa Fassler in der Lingener Ausstellung genauer unter die Lupe ihrer künstlerischen Recherchen nimmt. Der endgültigen Realisierung ihrer Arbeiten gehen dabei immer umfangreiche Forschungen in Archiven, im Internet und direkt vor Ort voraus.

Die freistehende Skulptur „Palaces/Paläste“ von 2022, die am Anfang des Ausstellungsparcours platziert ist, rekurriert auf die unterschiedlichen Nutzungen und Bebauungen genau der Stelle, an der heute der nach wie vor äußerst kontrovers diskutierte Nachbau des 1950 von der SED gesprengten, ehemaligen Berliner Stadtschlosses steht. Der Ort ist auch als Humboldt Forum bekannt. Fassler amalgamiert die disparaten Architekturstile zu einem in sich widersprüchlichen Ensemble. Indem sie an den abgerissenen Palast der Republik, eine Ikone der DDR-Architektur, erinnert, stellt die Arbeit auch Fragen nach der Entsorgung unliebsamer Geschichte. Gleichzeitig problematisiert sie die Dynamik eines fragwürdigen Wiederaufbaus. Die Fassade ihres Stadtschlossmodells überzieht Fassler mit Preisangaben für jedes einzelne Architekturelement. Gesponsert werden konnten diese von Unternehmen und Einzelpersonen. Im Nachhinein kam heraus, dass teils auch Kreise mit rechtsextremer Ausrichtung für die Rekonstruktion der einstigen Machtzentrale des Kaiserreichs gespendet haben. Die düstere Vergangenheit wird den Betrachter*innen gewahr, wenn sie auf den Sockel der Skulptur hinabblicken. Larissa Fassler platziert hier einen Trauerflor mit den eingestickten Namen der früheren deutschen Kolonien. Repliken der ehemaligen Reichsburgen, also der Vorgängerbauten der späteren Hohenzollernresidenz, am Sockel der Skulptur runden Larissa Fasslers historische Tiefenbohrung ab.

Mit dieser Skulptur bringt Fassler ganz klar auch ihre persönliche Enttäuschung über die Entscheidung, den Palast der Republik abzureißen und durch ein Fake-Schloss zu ersetzen, zum Ausdruck: „Damit wurde die komplizierte DDR-Vergangenheit effektiv aus dem Stadtbild getilgt und an ihrer Stelle eine historische Fälschung errichtet, ein antimodernes, disneyfiziertes Schloss, mit dem bewusst das 20. Jahrhundert übergangen wird, um eine historische Kontinuität mit der Vergangenheit zu suggerieren, die an diesem Ort nie existiert hat.“

Ebenfalls aus dem Berlin-Komplex ihrer Arbeiten stammt der großformatige Kunstdruck „Kotti“ von 2008. Larissa Fassler zeigt hier das am Kottbusser Tor stehende, zwischen 1969 und 1974 errichtete Neue Kreuzberger Zentrum (NKZ) im Stil einer detaillierten Architekturzeichnung aus der Vogelperspektive. Als Basis dienen ihr sogenannte „Schwarzpläne“ der Berliner Bauverwaltung. Während die Gebäude also schwarz-weiß gehalten sind, werden Reklameschilder, Firmenlogos, Leuchtreklamen, Verkehrsschilder, Protestbannersprüche und andere Elemente von Larissa Fassler farbig und teils stark vergrößert dargestellt. Auch hier kommen – einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen gleichkommend – wieder verschiedene Zeitebenen zusammen. Es sind sowohl Hinweise auf historische Persönlichkeiten wie Wilhelm Liebknecht, den Mitgründer der SPD, enthalten, aber auch Rekurse auf die Trümmerfrauen.

Persönlichkeiten der jüngeren Zeitgeschichte wie Richard von Weizsäcker oder Franz Beckenbauer tauchen ebenfalls auf. Ganz oben im Bild sieht man eine kleine Demo, die gerade im Begriff ist, den Kotti zu verlassen. Larissa Fassler beachtet aber auch scheinbar Nebensächliches. So integriert sie etwa einen dieser typischen Berliner Zettel, die aufgehängt werden, um das Verhalten anderer oder bestimmte Phänomene im Stadtraum humorvoll zu kommentieren. „In der ersten ‚Kotti‘-Arbeit habe ich versucht, alles an diesem Ort zu erfassen“, so Larissa Fassler in einem Interview. „Das ist natürlich eine unmögliche Aufgabe, die auf einem enzyklopädischen Impuls der Aufklärung beruht und eine subjektive Auswahl und Kategorisierung erforderlich macht. Gefühle, Geschmäcker und Meinungen, die angelernt oder sozial konstruiert sind, bestimmen die Wahl des Ortes….“

Ganz ähnlich dann ihre Vorgehensweise im Falle der Arbeiten zum Berliner Moritzplatz. Das kartografisch angelegte Bild „Licht, Luft und Sonne“ von 2017 etwa verquickt, indem es verschiedene historische Epochen palimpsestartig übereinander geschichtet wiedergibt, die unterschiedlichen Zugriffe und Begehrlichkeiten, mit denen von außen auf den Platz eingewirkt wurde: von den Bomben des Zweiten Weltkriegs über den Mauerbau und die verfehlte Stadtplanungspolitik der 1960er Jahre bis hin zur aggressiven Vermarktung von Ferienunterkünften durch Airbnb.

Hinab in den Untergrund der deutschen Hauptstadt geht es dann in der Arbeit „Alexanderplatz“. Die 2006 entstandene Bodenskulptur aus dicker, grauer Pappe, Klebeband, Ziegelsteinen und Bleistiftmarkierungen bietet den Betrachter*innen eine Aufsicht auf das labyrinthartige Geflecht von Bahnsteigen, Fußgängertunneln, Treppenhäusern, Aufzugsschächten und sonstigen öffentlich zugänglichen Nutz- und Funktionszonen unterhalb des Alexanderplatzes. Fast wirkt es wie das Modell eines Raumschiffs. Bei dieser Rekonstruktion eines normalerweise nicht sichtbaren Raumgefüges geht es Larissa Fassler keineswegs um die millimetergenaue, akribische Erfassung von Längen, Breiten, Höhen und Volumina, sondern darum, ihre subjektive Methode der Annäherung zu verbildlichen. Fassler hat die Abmessungen dieses gigantischen Komplexes nicht mit dem Maßband oder modernen Lasermessgeräten erfasst. Stattdessen hat sie alles zu Fuß abgeschritten und hinterher die Länge und Anzahl ihrer Schritte zum Maßstab genommen. Ein Schritt entspricht in dem Modell 1,5 Zentimeter Pappe. Die Aneignung der Räume mittels der eigenen Körperlichkeit erzeugt hier ein spezifisches Gefühl der künstlerischen Durchdringung einer an sich abweisenden Funktionsarchitektur.

Wesentlich organischer als ihre anderen Arbeiten kommen dann Fasslers erst im vergangenen Jahr entstandene Glasskulpturen daher. Massiv wirkende, mundgeblasene Glaskörper mit Titeln wie „Geburt“, „Rauch“, „Herz“ oder „Hitze“ liegen nebeneinander auf einem Podest mit leicht spiegelnder, metallischer Oberfläche. Sie sind eingeschnürt in vielfach verknotete Metalldrähte. Ihre opaken hautfarbenen Oberflächen lassen sie wie Fragmente menschlicher Körper wirken – eine Arbeit mit stark ambivalenter Aufladung. Die an Bondage-Praktiken erinnernden Einschnürungen wecken sowohl Vorstellungen von Verletzlichkeit, als auch von Wehrhaftigkeit und Resilienz. Mit Arbeiten, die sich anhand der Beispiele Forum des Halles und Place de la Concorde mit aktuellen Verwerfungen und sozialen Konflikten im Pariser Stadtzentrum beschäftigen, endet der Rundgang durch diese Ausstellung.

„Man muss diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“, lautet ein berühmter Satz von Karl Marx. Larissa Fassler tut genau das: Sie verwendet in den meisten der in Lingen präsentierten Arbeiten die zunächst kunstfremden Medien Architekturzeichnung und Architekturmodell, macht sich diese aber durch ihre spezielle Methode des vielfachen Überschreibens und „Verunreinigens“ mit subjektiven Anmerkungen, Randnotizen, Fußnoten und sonstigen Kommentaren zu eigen. Sie fügt statistische Angaben, Zeitungsschlagzeilen und Werbebotschaften von Immobiliengesellschaften und Finanzinvestoren ebenso in ihre Bilder ein wie Protestbannersprüche von linken Demonstranten und Aktivisten. So entstehen Werke von großer Suggestivkraft, in die man sich stundenlang vertiefen kann, um sie in all ihrer Vielschichtigkeit und Detailliertheit zu erfassen.

Die Ausstellung „Larissa Fassler. Building Worlds“ ist noch bis zum 15. Dezember zu sehen. Die Kunsthalle Lingen hat täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende erst ab 11 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro. Ein Katalog ist in Vorbereitung. Die 2022 erschienene Publikation „Larissa Fassler. Viewshed“ aus dem Distanz Verlag kostet 44 Euro.

Kontakt:

Kunsthalle Lingen

Kaiserstraße 10a

DE-49809 Lingen

Telefon:+49 (0591) 599 95

Telefax:+49 (0591) 599 05

E-Mail: info@kunsthallelingen.de

Startseite: www.kunsthallelingen.de



06.12.2024

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing & Heiko Klaas

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