Zwei Hauptstädte, die so nahe beieinander liegen, gibt es nur wenige: Bratislava und Wien. Nahezu ein Jahrhundert ist es her, als man die alte Haupt- und Krönungsstadt des habsburgischen Ungarn, die damals noch Preßburg hieß, mit der „Wiener Elektrischen“ erreichen konnte. Mittlerweile verbindet die beiden Städte eine gut ausgebaute Autobahn und lässt den Reisenden die sechzig trennenden Kilometer in weniger als einer Stunde bewältigen. Während viele Slowaken ihre Einkünfte mit Nebenbeschäftigungen in der österreichischen Metropole aufbessern, zieht es umgekehrt Kulturbeflissene wie Einkaufslustige in die schöne Altstadt von Bratislava. Weniger betuchte Wienerinnen und auch Wiener besuchen die Kosmetikinstitute, lassen sich von slowakischen Zahnärzten ihr Gebiss erneuern und krönen den Besuch mit einer günstigen Mahlzeit in einer der zahlreichen Gaststätten.
Seit fünf Jahren hat Bratislava eine weitere Attraktion: etwa 15 Kilometer entfernt in südlicher Richtung liegt auf einer Halbinsel, inmitten der mächtigen Donauströmung, schon an der Grenze zu Ungarn, das Danubiana Meulensteen Art Museum. Das Haus wurde im Jahre 2000 eröffnet und verdankt seine Gründung einer slowakisch-holländischen Liaison: der Begeisterung des slowakischen Juristen und Kunstliebhabers Vincent Polakovic und dem finanziellen Engagement des holländischen Privatsammlers Gerard H. Meulensteen. Schon von weitem besticht das Haus durch seine attraktive Lage: mit einem Grundriss, der einer Spindelform gleicht, thront das Museum inmitten einer lang gestreckten Halbinsel. Umgeben ist das Haus von einem 8.000 Quadratmeter großen Skulpturenpark, der zu einem Spaziergang am Ufer der Donau einlädt.
Im Inneren bietet der sympathisch schlichte Bau auf 2.000 Quadratmetern großzügig Raum für die wechselnden Ausstellungen. Sowohl im Erdgeschoß als auch im oberen Stockwerk gibt es je eine lichtdurchflutete Halle, der sich kleinere Kabinette anschließen. Rund 30.000 Kunstinteressierte besuchen jährlich die privat geführte Institution, die mittlerweile zu den wichtigsten und erfolgreichsten Ausstellungsplätzen der Slowakei gehört.
Anlässlich seines fünfjährigen Jubiläums zeigt das Danubiana Meulensteen Art Museum nun eine umfassende Retrospektive des niederländischen Malers Karel Appel. Rund 70 Arbeiten - Gemälde, Skulpturen, Assemblagen, Arbeiten auf Papier und eine kleine Auswahl an Gedichten – finden in dem schönen Museumsbau ihr temporäres Domizil. Rudi Fuchs, langjähriger Kenner der Werke von Karel Appel, hat in der Vergangenheit bereits mehrere Ausstellungen des Niederländers kuratiert und ist auch für die aktuelle Schau verantwortlich. Mit Werken aus allen Schaffensperioden, wird ein breiter, informativer Ausschnitt aus dem umfangreichen Œuvre von Karel Appel präsentiert.
Das früheste Werk der Ausstellung ist das 1945 entstandene, noch recht konventionell gemalte Stillleben „Woman in Interieur“, das eine weibliche Figur an einem Kamin sitzend vorstellt. Karel Appel war damals 24 Jahre alt. Das nur drei Jahre später entstandene Gemälde „Figures, Animals and little Boat“ aus dem Besitz des Stedelijk Museums, zeugt bereits von der ungeheuren, malerischen Entwicklung, die Appel in der zurückliegenden kurzen Zeitspanne vollzogen hat. Wenig später wird er mit befreundeten Künstlern die Gruppe CoBrA ins Leben rufen, die trotz ihrer Kurzlebigkeit legendär wurde und letztendlich auch Appels Ruhm begründet hat. Neben dem Dänen Asger Jorn, den Belgiern Pierre Alechinsky und Corneille und dem Niederländer Lucebert war Appel einer der Gründungsmitglieder. Den Malern gemeinsam war ihre Forderung nach einem „revolutionären Surrealismus“, in den so stimulierende Einflüsse wie die Bildnerei außereuropäischer Kulturen, Art brut und Kinderzeichnungen einflossen.
Im Umkreis des Abstrakten Expressionismus’ hatte Appel in der 1950er Jahren Teil an jener internationalen Bewegung, die unter forciertem körperlichen Einsatz die Abstraktion vorantrieb, ohne jedoch die spirituell-mystische Ausrichtung zu zeigen, die den Bildern der abstrakten Expressionisten eigen ist. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu diesem besteht in der Einbeziehung gegenständlicher und figürlicher Elemente. Eine erste Gruppenausstellung „experimenteller“ Kunst fand 1949 in Amsterdam statt. Hier reagierte das zeitgenössische Publikum jedoch mit Ablehnung und Empörung auf die Bilder. Bereits 1950 siedelte Appel nach Paris über, wo er eine offenere Atmosphäre für seine künstlerischen Vorstellungen vorfand.
Während in der 1960er und 1970er Jahren die Strömungen der Pop Art, Concept Art, Minimal Art oder Performance die Kunstszene bestimmten, hielt Appel an der Malerei und an seiner individuellen Handschrift fest. In der Ausstellung wird diese Zeit mit einigen ausdrucksstarken Werken wie „Nude“ von 1963, „Mother and Child“ von 1964 und „Night Walk“ von 1968 dokumentiert, die mit ihrem pastosen, zuweilen schrundigen Malauftrag und einer glühenden Farbigkeit charakteristisch für Appels Malerei dieser Jahre sind.
1977 gibt Appel sein Haus in Paris auf und lebt nun abwechselnd in Monaco und in New York. Eine stärkere Polarität konnte er kaum wählen. Zur Faszination beider Orte erklärte er: „In Frankreich male ich das Licht, es interessiert mich dort. Fast unfreiwillig werde ich dort in die Situation der Französischen Schule gebracht. Ich male Fenster und Licht wie Matisse und Bonnard. Aber nach einer Woche in Monaco packt mich wieder das Leben der Stadt, ich habe kein Interesse mehr am Licht und male Verbrechen, die zur Aggressivität dieser Stadt gehören.“ Das Ergebnis sind Bilder voller Dramatik und Expressivität, die häufig körperliche Übergriffe zum Thema haben. Daneben entstehen immer wieder kontemplative Kompositionen wie „Clouds with Tree“ von 1984, die im Vergleich zu früheren Arbeiten geschlossener und monumentaler wirken. Die Landschaft gewinnt in seinem Werk eine größere Bedeutung. Inspiriert von der Toskana, entstehen Bilder mit starker Naturbezogenheit.
Von einem bis heute unermüdlichen Arbeitseifer zeugen die in jüngster Zeit entstandenen großformatigen Gemälde und Assemblagen. Während jedoch die aktuellen Bilder mit ihren farblich reduzierten Gründen, den leuchtenden Farben und den ins Bildzentrum gerückten Motiven von einem konzentrierten Alterswerk des mittlerweile 84jährigen künden, überraschen die aus Fundobjekten - hölzernen Säulen, Tischbeinen, Plastikkitsch, ausgestopften Tieren und afrikanische Masken - arrangierten Assemblagen mit ihren sentimentalen Titeln wie „The Head Hunter“ aus dem Jahr 1996 oder „Help!...Freedom“ von 2002, die kaum etwas von dem erzählerischen Reichtum und der malerischen Verve seiner früherer Werke verspüren lassen. Im Bewusstsein der Absurdität und Vergänglichkeit des Lebens entwirft Karel Appel mit theatralischer Künstlichkeit seine tragisch komischen Inszenierungen, in denen archetypische Mythen und Märchen außereuropäischer Völker abermals eine wichtige Rolle spielen.
Die Ausstellung „Karel Appel – Retrospektive“ ist noch bis zum 10. Dezember zu sehen. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt beträgt 2 Euro, ermäßigt 1 Euro.
Danubiana Meulensteen Art Museum
Čunovo - Vodne dielo
81000 Bratislava 1
Telefon: +421 (0)2 - 62 52 85 01
Telefax: +421 (0)2 - 62 52 85 02
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