 |  | Tony Cragg, Early Forms, 2001 | |
Tony Cragg ist ein Künstler, der Stile, Materialien und Inhalte stets ändert. Doch Wechsel bedeutet bei ihm nicht Anpassung an Moden. Sie resultieren aus der Beschäftigung mit grundlegenden Fragen zum Verhältnis von Körper, Materie und Objekt. Der gebürtige Liverpooler wird angetrieben vom Bestreben, Mensch, Material und Technik miteinander zu verschmelzen. Im Gegensatz zu abstrakten Plastiken anderer Bildhauer arbeiten die von Cragg mit Erscheinungsformen, die Bezüge zum Menschen herstellen, auf menschliche Erfahrungen rückgreifen und deren Erkenntnis Freude bereitet. Dies für jeden unmittelbare Erlebnis lässt so schnell keinen unberührt.
Seine Arbeiten faszinieren durch eine ungewohnte Zugänglichkeit und Lebendigkeit, die außerdem durch das Operieren mit vertrauten Formen und Gegenständen erreicht wird. Verschiedenartige Sichtweisen, differenzierte Wirkungen sowie die Korrespondenz zu Gesichtern oder anderen menschlichen Körperteilen changieren kongenial mit ihrer Materialität zwischen Illusion und Realität.
Die 20 auf dem Dach der Bonner Bundeskunsthalle aufgestellten Plastiken und Skulpturen bestehen aus verschiedenen Materialien. Kunststoff, auch als Kritik an der Wegwerfgesellschaft zu verstehen, Bronze als mit Abstand dominierendes Material, rostfreier Edelstahl, Kunstfaser und Sandstein verwendet Cragg für seine Gebilde und gibt ihnen Namen, wie "Box", "Turbo", "Can-Can", "Species" oder "Ferryman". Unter den "Zeichen des Lebens", die jeglichen konkreten Bezug auf Personen oder Gegenstände tunlichst vermeiden, beeindrucken besonders die formale Adaption von Gefäßen wie Flaschen oder Vasen. Mit dessen Hilfe werden Strukturen und Energien fantasievoll visualisiert.
Aus übereinandergestapelten, tellergroßen Ufos, die mal seitlich oder nach vorne ausgreifen, entstehen bizarre Silhouetten mit animalisch-humanen Anspielungen. Die kantig-harten und biomorph-weichen Formen, wie Ausbuchtungen oder Einschnürungen, findet man nicht nur bei den einzigartigen, zuweilen an Schachfiguren erinnernden "Gefäßmenschen", sondern auch bei den zweiteiligen Figuren. Sie bestehen neben einem äußeren auch aus einem inneren Teil, der mittels Durchbohrungen und Öffnungen erfahrbar wird. Eingestanzte Löcher unterstützen insbesondere die Funktion der Sichtbarmachung von Innengestalt hinter einer äußeren Hülle. Ob man nun menschliche Körperteile, Tiere oder Muscheln, Maschinen- oder Technikstücke hineininterpretiert - der Fantasie des Betrachters sind keine Grenzen gesetzt. Im Wahrnehmungsprozess und beim Umschreiten erscheinen und verschwinden immer wieder neue Formen. Die sich so verändernden Skulpturen vibrieren zwischen ihrer Wirklichkeit und der Vorstellung davon. Der Wandel macht sie lebendig.
Neben den aus den letzten fünf Jahren geschaffenen Plastiken auf dem Museumsdachgarten ergänzen eine Etage tiefer im Zentralkabinett Zeichnungen auch aus früheren Jahren sowie Glas- und Wachsplastiken den starken oberen Auftritt. Hier wird noch mehr deutlich, wie sehr die Lust am Experimentellen den ausgebildeten Labortechniker Cragg antreibt. Was für ein Glück für die Kunst, dass er seinen ursprünglichen Beruf aufgab, um sein innovatives Potential zum Entfalten zu bringen. 1969 schrieb er sich am Gloucestershire College of Art in Celtenham ein und sammelte praktische Erfahrungen in einer Gießerei. Seit 1978 lebt Cragg in Wuppertal. Nebenbei lehrt der 54jährige, mittlerweile hoch geehrte Künstler an der Berliner Universität der Künste.
Die Ausstellung "Tony Cragg - Signs of Live" ist noch bis zum 5. Oktober in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu besichtigen. Geöffnet ist dienstags und mittwochs von 10 bis 21 Uhr, donnerstags bis sonntags von 10, freitags von 9 bis 19 Uhr. Der Eintritt beträgt 6,50 Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Der umfangreiche, 552 starke Katalog kostet 36 Euro.
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