Retrospektive zu Lisette Model in Wien  |  | Lisette Model, Frau mit Schleier, San Francisco, 1949 | |
Die Albertina in Wien widmet Lisette Model seit dem Wochenende die nach eigenen Angaben bisher umfassendste Retrospektive in Österreich und präsentiert dazu wichtige Werkgruppen aus den Jahren 1933 bis 1959 sowie selten ausgestellte Werke. Die 1901 in Wien geborene und 1983 in New York verstorbene Fotografin zählt zu einer der einflussreichsten Vertreterinnen ihrer Kunst im 20. Jahrhundert. Aus ihrem Schaffen haben die Kuratoren*innen Walter Moser und Nina Eisterer 154 Exponate ausgewählt, darunter bekannte Lichtbilder wie „Coney Island Bather“ und „Café Metropole“. Unterteilt in mehrere Segmente, beleuchten sie in der Schau die Zeit Models in Frankreich, als Fotografin ab 1938 in New York, der Wechsel an die Westküste und die Repressalien unter der McCarthy-Ära und auch ihre Arbeit als einflussreiche Lehrende an Universitäten.
Lisette Model kam als Elise Amelie Felicie Stern in einer großbürgerlichen Wiener Familie mit jüdischen Wurzeln zur Welt und strebte zunächst eine musikalische Ausbildung an. Ab Mitte der 1920er Jahre lebte sie in Frankreich und fand dort den Weg zur Fotografie. Als Autodidaktin nahm sie 1934 eine entlarvende Portraitserie reicher Müßiggänger in Nizza auf, die im aufgeheizten politischen Klima der Zeit als beißende Gesellschaftskritik für Furore sorgte. Vier Jahre später emigrierte die Künstlerin nach New York und arbeitete als freiberufliche Fotografin in der dortigen Kunstszene. Rasch machte sich Model einen Namen und lichtete die bunten Facetten des Stadtlebens für stilbildende Magazine wie Harper’s Bazaar ab. Sie wandte sich aber auch der armen Bevölkerung zu und setzte sie konfrontativ zu den Portraits der Oberschicht, die ihren Vergnügungen in Bars und Jazzclubs nachgingen. So nahm sie in den 1940er reiche ältere, in Schwarz gekleidete Damen auf, die gelangweilt auf eine Modenschau im New Yorker Luxushotel Pierre warten, und stellte ihnen in der zeitgleich entstandenen Serie „Lower East Side“ eine stämmige Frau in leichter Untersicht gegenüber, die in einem zu kleinen Mantel nur schwerfällig auf der Straße vorankommt.
In den späten 1940er und 1950er Jahren interessierte sich Lisette Model für Themen außerhalb des Big Apple und ging an die Westküste der USA und nach Venezuela. Hier herrschte eine melancholische und düstere Stimmung vor, ohne dass Model dabei den scharfen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse verlor. So entdeckte sie 1949 eine „Frau mit Schleier, San Francisco“ und damit humorvoll eine ältere magere Dame mit auftourpierten lockigen grauen Haaren samt großer Stoffblüte als karikierendes Rokoko-Portrait, die den Kopf abwendet und sitzend wartet, während sie ihre Handtasche und ihren Schal eng an sich drückt. Mit dem Aufstieg Joseph McCarthys und seiner Ära der Repressalien startete Model ihre zweite einflussreiche Karriere als Lehrkraft. Nach jahrzehntelangen Bemühungen publizierte der renommierte Verlag Aperture 1979 ihre erste Monografie. Die Wiener Schau präsentiert erstmals den Originalentwurf dieser Publikation, die heute ein Klassiker unter den Fotobüchern ist.
Die Ausstellung „Lisette Model. Retrospektive“ ist bis zum 22. Februar 2026 zu sehen. Die Albertina hat täglich von 10 bis 18 Uhr, mittwochs und freitags zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. An Heiligabend schließt das Haus seine Türen bereits um 14 Uhr. Der Eintritt beträgt 19,90 Euro, ermäßigt 15,90 Euro. Für Personen unter 19 Jahren ist er frei. Der Ausstellungskatalog kostet im Museum 32,90 Euro.
Albertina
Albertinaplatz 1
A-1010 Wien
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