 |  | Nicolaus Schmidt, Lavabo mit Perlmutter, Nürnberg um 1592/94 | |
Unvermittelt steht das Publikum vor einer reich verzierten Schale und einer sonderbar geformten Kanne. Die Holzschale wurde im 16. Jahrhundert im westindischen Gujarat mit Teilen aus Perlmutt besetzt. Per Schiff gelangte das Becken entlang der Küste Afrikas bis nach Lissabon und von dort weiter nach Nürnberg, wo ihr der Goldschmied Nicolaus Schmidt ein üppiges Dekor aus Nymphen und antiken Flussgöttern hinzufügte und sie um die Kanne in Gestalt eines drachenartigen Mischwesens mit integrierten Meeresschnecken ergänzte. Der Sächsische Hof erwarb die heute im Grünen Gewölbe zu Dresden aufbewahrte Lavabo-Garnitur auf der Leipziger Messe. Nürnberg war im 14. und 15. Jahrhundert für Gold- und Silberschmiedearbeiten berühmt. Als besondere Spezialität galt neben liturgischen Geräten die Beckenschlägerschüssel. Mit Pressformen wurde der Zierrat in das Metall geschlagen. Dies ermöglichte Mehrfachproduktionen oder neue Kombinationen im Rahmen eines seriellen Herstellungsverfahrens, das die Grundlage für den raschen Aufstieg der Beckenschlägerschüsseln zum Exportschlager war.
Exemplarisch führen diese beiden Exponate Nürnbergs frühe Vernetzung in alle Welt vor Augen. Mit der Ausstellung „Nürnberg Global 1300-1600“ lenkt das Germanische Nationalmuseum derzeit den Blick auf die Anfänge der Globalisierung und legt dabei den Fokus auf die alte Reichsstadt, ihre weitreichenden Handelsbeziehungen sowie Nürnbergs Stellung als kulturelle Drehscheibe. Dazu hat der Kurator Benno Baumbauer zusammen mit Marie-Therese Feist und Laura Di Carlo über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg 122 aussagekräftige erlesene Artefakte in neun thematischen Kapiteln vereint, die griffig verschiedene Aspekte wie die wirtschaftliche Prosperität der Stadt, den Luxus und die Inspiration aus fernen Ländern oder das Pilgern, das Reisen zum Seelenheil, und den damit verbundenen kulturellen Austausch illustrieren. Zugleich bietet das ausgedehnte Arrangement der Exponate genügend Raum, um deren ästhetischer Wirkkraft angemessen Geltung zu verschaffen.
Nach dem Prolog wirft das Kuratorenteam die Frage auf, warum Nürnberg zu einem globalen Zentrum heranwuchs. Zwei von Albrecht Dürer zu Beginn des 16. Jahrhunderts geschaffene Kaiserbildnisse von Karl dem Großen und Sigismund verdeutlichen die enge Verbindung der Stadt zu den Herrschern als maßgebliche Förderer, die Rolle Nürnbergs als Tagungsstätte des Reichstages und als Aufbewahrungsort der Reichsinsignien. Kaufleute trieben mit ihren wirtschaftlichen und politischen Kontakten die internationale Ausstrahlung voran. Gegenüber steht der Behaim-Globus aus dem Jahr 1492, der älteste Erdglobus, den es noch gibt. Ehemals im Rathaus aufgestellt, sollte die neue Weltkugel zum finanziell und operativ riskanten Seehandel animieren. Da der amerikanische Kontinent im selben Jahr entdeckt wurde, sucht man ihn hier noch vergebens. Rasch geraten dann wirtschaftliche Faktoren in den Blick. Nürnbergs Lage an bedeutenden Handelsstraßen begünstigte den Fernhandel und das unternehmerische Engagement im innovativen Industriezweig des Bergbaus, der hohe Erträge abwarf. Zu den eigentümlichsten Exponaten zählt eine kleine Felslandschaft aus kostbaren Erzen, Mineralien und Naturalien. Im 1563 entstandenen Kunstkammerstück der „Scheurlschen Erzstufe“ sind winzige arbeitende Figürchen eingelassen. Auch auf dem um 1600 gefertigten, vergoldeten „Imhoff-Holzschuher-Pokal“ sind Szenen aus der Erzgewinnung und dem Bergbau zu entdecken, die der Goldschmied Hans Pezolt aus grafischen Vorlagen übernommen hat.
Zu den in alle Welt exportierten Nürnberger Markenprodukten zählten insbesondere Waffen. Neben Stangenwaffen oder Knechtsharnischen hatte die Fertigung von Ringpanzerhemden Konjunktur, wie ein aus Stahlringen und mit Nieten verschlossenes Stück zeigt, dessen Herstellung rund ein halbes Jahr dauerte. Dem treten Luxuswaren und Exotika gegenüber, die zur Selbstdarstellung der Patrizierfamilien gehörten wie etwa Gewürze, präparierte Paradiesvögel aus Ozeanien oder der bemalte Panzer einer grünen Meeresschildkröte. Hingucker im Kapitel, das den Austausch zwischen dem westlichen und dem östlichen Europa behandelt, ist das aus dem Warschauer Nationalmuseum entliehene Marienretabel der Patrizierfamilie Imhoff. Gemalt um 1440 in Nürnberg vom Meister des Wolfgangaltars für die Breslauer Elisabethkirche, gilt der Flügelaltar als frühes Zeugnis für den Kunstexport der Stadt. Dagegen importierten Nürnbergs Honoratioren gerne Kirchenfenster aus Straßburg oder Wirkteppiche aus Brüssel, wie es der imposante, um 1495 im Auftrag der Familie Holzschuher gewebte, luxuriöse Grabteppich vor Augen führt. Aber auch zu Norditalien bestand ein enger Wissens- und Ideenaustausch. So verlegte der Nürnberger Anton Kolb um 1500 den gewaltigen Vogelschauplan Venedigs. Im Nachlass des Ratsbaumeisters Wolf Jacob Stromer fand sich ein zerlegbares Modell der Rialtobrücke, nach dessen Vorbild er die Nürnberger Fleischbrücke errichtete.
Pilgerreisen in das Heilige Land zu den Wirkungsstätten Christi steigerten das eigene Ansehen und bilden ebenso ein separates Kapitel wie das Interesse an Kunst, Waffen und Kunsthandwerk aus dem osmanischen Reich. Dieser Konnex entsprang der ambivalenten Nachbarschaft von Osmanen und Habsburgern, beflügelt durch die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II. im Jahr 1453 und das Vordringen der Türken bis vor Wien. Holzschnitte von Albrecht Dürer mit verschlungenen, kreisrunden Ornamenten belegen den Einfluss dieser historischen Ereignisse auf die Kunst. Hinzu kommt immer wieder die Darstellung von schwarzen Menschen in Gemälden und Glasfenstern. Weiße Familien schmückten sich teils mit ihnen in ihren Wappen, während sie von deren Ausbeutung profitierten. Oftmals wurden die Gesichtszüge rassistisch überzeichnet. Geprägt vom Blick weißer Künstler und Auftraggeber, spiegeln sie nicht die Lebensrealität schwarzer Mitmenschen. Ob gewollt oder ungewollt transportieren sie Klischees oder Rassismen.
Als nach der Kolumbus-Fahrt von 1492 die spanische Krone in Amerika Machtstrukturen aufbaute, versuchten auch rasch Nürnberger Akteure, daran zu partizipieren. Das kostbare „Schlüsselfelder Tafelschiff“ eines Nürnberger Händlers von etwa 1503 symbolisiert die Eroberung der Neuen Welt. Auf Basis einer per Schiff nach Nürnberg gelangten indigenen Vorlage wurde hier im Jahr 1524 bei dem Drucker Friedrich Peypus der Plan von Tenochtitlán erstellt. Das mit afghanischem Ultramarin kolorierte Prachtexemplar gehörte einst dem Erzherzog Ferdinand und gilt als die älteste erhaltene Karte einer amerikanischen Stadt. Tenochtitlán, die Hauptstadt des Reiches der Azteken, wurde 1521 erobert und zerstört.
Die Nürnberger Handelshäuser investierten zudem in koloniale Handelsfahrten nach Südostasien. Für den turbulenten Austausch auf der Seeroute von Lissabon entlang der afrikanischen Küste nach Indien steht die bewegte Geschichte von Albrecht Dürers berühmten Holzschnitt „Rhinocerus“. Seine Grafik bildet ein aus Indien stammendes Panzernashorn ab, das 1515 nach Lissabon gelangt und von dort noch im selben Jahr auf eine Reise nach Rom geschickt worden war, wo es nach einem Schiffbruch nicht lebend ankam. Dürer hatte das Nashorn selbst nie gesehen und sein Blatt nach Beschreibungen und einer ihm zugähnlichen Skizze ausgeführt. Doch auch künstlerische Ideen aus Europa fanden ihren Weg nach Südostasien: Künstler in Ceylon und am indischen Hof der Mogulkaiser übertrugen Dürers Motive in ihre Arbeiten, wie überraschenderweise eine Seite aus dem prachtvollen Jahangir-Album um 1608/18 offenbart. Dies macht zum Abschluss der Schau noch einmal prägnant deutlich: Sichtweisen des Fremden verdeutlichen Sichtweisen des Eigenen.
Die Ausstellung „Nürnberg Global 1300-1600“ läuft bis zum 22. März 2026. Das Germanische Nationalmuseum hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20:30 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 10 Euro, ermäßigt 6 Euro; mittwochs ist er ab 17:30 Uhr frei. Zur Ausstellung ist im Deutschen Kunstverlag ein umfangreicher Katalog erschienen, der im Museum 36 Euro, im Buchhandel 48 Euro kostet. |