 |  | Ferdinand Georg Waldmüller, Hansl’s erste Ausfahrt, 1858 | |
Bis vor kurzem hing Ferdinand Georg Waldmüllers „Hansl’s erste Ausfahrt“ noch im Museum Wiesbaden. Die Bundesrepublik Deutschland hatte das Gemälde aus dem Jahr 1858 dorthin verliehen. In den Kunstbestand des Bundes kam die unbeschwerte Genreszene 1960, nachdem die amerikanischen Streitkräfte das Bild im berüchtigten Salzbergwerk Altaussee in der Steiermark sichergestellt und es im Juli 1945 in den Central Collecting Point in München überführt hatten. Vor dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs im März 1938 gehörte es der österreichischen Unternehmerin Grete Klein und ihrem Ehemann Karl Klein, die als Juden von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Kleins Babyschuhfabrik in Wien übergaben die Nazis an eine nicht-jüdische Mitarbeiterin, Schmuck und Silber mussten die Kleins 1939 unter Wert an eine öffentliche Ankaufstelle veräußern. Im Dezember dieses Jahres gelang Grete und Karl Klein die Flucht nach Palästina. Ihre Villa in Mödling wurde enteignet, auch der sonstige in Österreich verbliebene Besitz ging auf das Deutsche Reich über. Darunter befand sich eine umfangreiche Kunstsammlung mit weiteren Gemälden, geschliffenen Gläsern aus Böhmen oder Zinntellern mit Judaica-Motiven. Bis heute gelten viele der Kunstgegenstände als verschollen.
Waldmüllers Genreszene kam dann wohl an die Münchner Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich, die bei ihren Erwerbungen von der antisemitischen Verfolgungspolitik des NS-Staats erheblich profitierte. Spätestens im Dezember 1938 verkaufte sie das Gemälde an Hitlers „Sonderauftrag Linz“ für das geplante Führermuseum. Gerade Adolf Hitler schätzte Waldmüllers Kunst sehr, die seinen Vorstellungen einer heilen Welt im einfachen Leben der Bauern entsprach. So sollten im Führermuseum über 60 Gemälde Waldmüllers präsentiert werden. Auch bei „Hansl’s erster Ausfahrt“ scheint alles sorglos. Der kleine Junge im Leiterwagen wird von lachenden Geschwistern in einer Scheune umringt, während die Mutter aufgeregt gestikuliert und die vielleicht ein wenig besorgte Großmutter in das Dunkel des Schattens verbannt ist. Nichts trübt die von Sonnenlicht überflutete Kinderschar. Heutzutage zeugt das biedermeierliche Meisterwerk aber vom Schicksal der Familie Klein. Im Juli an die Erben von Grete Klein restituiert, wird es nun in deren Auftrag im Dorotheum versteigert und soll 400.000 bis 600.000 Euro einspielen.
In der Auktion „Gemälde des 19. Jahrhunderts“ steht ein weiteres Genrebild von Ferdinand Georg Waldmüller zum Verkauf. Da sein „Mutterglück“ eines seiner begehrten Motive war, führte er mehrere Fassungen davon aus. Die Reverenz an die mütterliche Liebe und eine geborgene Kindheit ist für 100.000 bis 140.000 Euro zu haben. Insgesamt strahlt das Angebot im Dorotheum nur so von Frohsinn und Unbekümmertheit. Denn auch bei Friedrich Gauermanns Alpe bei Zell am See mit einer Ziegenhirtin beim Melken und einem jungen Burschen beim Flötespielen (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR), bei Josef Lauers feinem Stillleben mit Rosen, Vogelnest, Sperling, Schnecke, Schmetterling und Walderdbeeren am Waldboden (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR), Johann Hamzas freudigen „Kunstblumenbinderinnen“, Marie Egners spätsommerlichen „Gemüsefeldern in Schladming“ (Taxe je 20.000 bis 25.000 EUR) oder Olga Wisinger-Florians Wiesenausschnitt „Mai“ aus einem Zyklus der zwölf Monate trübt kein Wölkchen die Stimmung (Taxe 60.000 bis 90.000 EUR). Etwas realistischer schildert Waldmüllers Biedermeierkollege Johann Baptist Reiter den „Schulgang“ eines nicht gerade gut situierten Geschwisterpaars, wobei der kleine Bruder aber immer noch munter zu seiner Schwester aufblickt (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Bei Friedrich Boser und seinen beiden „Kleinen Blumenverkäuferinnen“ von 1850 klingt ebenfalls eine Spur von Mitleid an (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR).
Venedig über alles
Die Auktion beginnt am 22. Oktober wie üblich im Dorotheum mit den stimmungsvollen Veduten aus Italien, wobei diesmal Antonietta Brandeis uns mit einem etwas lädierten „Blick auf den Ponte Vecchio“ zunächst nach Florenz und mit dem „Arco di Settimo Severo, Colonna Foca nel Foro Romano“ dann nach Rom mitnimmt (Taxe je 5.000 bis 7.000 EUR), ehe sie mit der stillen Ansicht der Ca’Foscari am Canal Grande, auf dem zwei Gondeln schippern, in ihrem angestammten Venedig-Terrain aufkreuzt (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Die Serenissima inspirierte zudem Luigi Querena 1860 zu seiner fokussierten Perspektive auf den unbewohnten und schon ein wenig zerfallenen Fondaco dei Turchi am Canal Grande (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) und seiner Fernsicht von einem Kai im Sestiere Castello über den Bacino di San Marco auf den Dogenpalast, den Campanile, die Kuppeln von Santa Maria della Salute bis zur Insel San Giorgio Maggiore (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Rubens Santoro rückt die Aufmerksamkeit mit seinen Gondeln auf einem engen Kanal wieder mehr ins zentrale Geschehen der sommerlichen Lagunenstadt (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR), ebenso Giovanni Migliara, der vor der Accademia di Belle Arti steht und den neugotischen Palazzo Cavalli-Franchetti und die mächtig aufragende Basilika Santa Maria della Salute in Augenschein nimmt (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Der gebürtige Erfurter Friedrich Nerly ließ sich 1837 in Venedig nieder und gehört zu den Malern, die sich immer wieder mit der eindrucksvollen Architektur der Lagunenstadt beschäftigten. Besonders beeindruckte ihn der spätgotische Palazzo Contarini Fasan am Canal Grande, der im Lauf der Jahrhunderte zur „Casa di Desdemona“ nach Shakespeares „Othello“ poetisch umgedeutet wurde. Das greift Nerly in seinem Gemälde auf und zeigt die Fassade mit dem berühmten Balkon, auf dem eine junge Venezianerin steht und sich von einem Kakadu ein Zuckerstück von den Lippen nehmen lässt, während ein Gondoliere die intime Szene hingerissen beobachtet (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Dass Venedig und die Lagune bis in die jüngere Zeit ihre Faszination ausgeübt haben, macht Luigi Pagan deutlich, der noch in den frühen 1970er Jahren eine belebte Menschenmenge am Canal Vena in Chioggia in einem spätimpressionistischen Duktus farbenfreudig einfing (Taxe 12.000 bis 14.000 EUR). Der Neapolitaner Salvatore Fergola nahm sich 1848 mit der Conca-Grotte nahe Gaeta, die als Badeplatz mit Schöpfvorrichtung diente, ein eher ungewöhnliches Sujet vor (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Nach so viel Italien stellt uns Cornelis Springer dann noch den markanten Glockenturm Wijnhuistoren im niederländischen Zutphen mit einem regen Markttreiben vor (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR), Leopold Forstner in moderner Flächigkeit eine ruhige Straße der gut erhalten Altstadt von Ohrid im Norden Mazedoniens (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR).
Östliche Welten
Gut bestückt ist die Auktion wieder mit Kunst aus Osteuropa. Diese führt zunächst einmal nach Polen, wo sich die Maler für das Leben ihrer Landsleute oder anderen Bevölkerungsgruppen aus dem Osten interessierten, so etwa Alfred von Wierusz-Kowalski, der seinen Reiter nach der „Erfolgreichen Fuchsjagd“ in verschneiter Weite etwas trübsinnig blicken lässt (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Auch Tadeusz Ajdukiewicz und Józef Brandt ließen sich wie Wierusz-Kowalski an der Akademie der Bildenden Künste in München ausbilden und schufen Szenen aus dem Alltag, Ajdukiewicz etwa einen Pferdemarkt auf freiem Feld (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR), während Brandt eine große Anzahl von Kosaken beim Überqueren des Dons schildert und womöglich ein kriegerische Auseinandersetzung impliziert (Taxe 150.000 bis 220.000 EUR). Eine historische Schlacht hat sich Jan Czeslaw Moniuszko 1891 zum Thema genommen: Wild geht es bei der Belagerung Mailands durch Kaiser Friedrich Barbarossa zu, der seine Autorität in der abtrünnigen Stadt versucht, wieder herzustellen, und dabei von dem schlesischen Herzog Boleslaw I. unterstützt wird (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR).
Als Schlachtenmaler aus dem Kaukasus wurde Franz Roubaud, ein in Odessa geborene Russe französischer Abstammung, bekannt, der ebenfalls in München studierte. Auch bei ihm überquert ein farbenprächtiger Reiterverband der Kosaken gerade die Furt eines Flusses irgendwo in den südlichen Steppengebieten Osteuropas (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Ganz anders Alexej Harlamoff, der sich hauptsächlich dem Portrait und der menschlichen Charakterstudie verschrieben hat. Im Stil des poetischen Realismus zeigt er ein einfaches namenloses Mädchen mit Halskette vor neutralem Himmelhintergrund, das mit seinen ein wenig traurigen Augen das Publikum betören soll (Taxe 50.000 bis 80.000 EUR). Der modernste Zugriff bei den Russen gelingt Leonid Pasternak mit einem virtuosen, farbleuchtenden Pastell aus dem Jahr 1915, bei dem sich Reisende auf einem Landsitz zum Abschied vorbereiten (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR).
Philippinische Portraitkunst
Sogar bis zu den Philippinen dringt diesmal die Auswahl im Dorotheum vor. Der 1857 geborene Juan Luna y Novicio war über seine Heimat hinaus ein populärer philippinischer Maler. Das lag nicht zuletzt an seinen längeren Aufenthalten in Rom, Madrid und Paris. So wählte er 1886 auch eine Frau aus den Volksschichten der spanischen Hauptstadt zum Thema, die er in ihrem temperamentvollen Auftreten, ihrem offenen Wesen und ihrer charakteristischen Kleidung mit einem roten Manila-Schal, einem reich bestickten Seidentuch, gekonnt festhielt. Für das qualitätvolle Gemälde werden immerhin Taxe 100.000 bis 150.000 Euro fällig. Überhaupt ist die Portraitkunst in der Auktion gut vertreten. Friedrich von Amerling stellt uns gleich mehrere Persönlichkeiten vor: Da wäre Arif Mehmet Efendi, der zwischen 1850 und 1855 das Amt des osmanischen Botschafters in Wien bekleidete und von Amerling im strengen Profil mit Turban dargestellt wurde (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR), zum gleichen Preis auch der Wiener Silberwarenfabrikant Josef Carl Klinkosch, der sich jetzt vielleicht von seiner Ehefrau trennen könnte; denn das ebenfalls ansprechende Pendant mit Elisabeth von Klinkosch wird für 25.000 bis 35.000 Euro separat versteigert.
Der Italiener Giuseppe Tominz porträtierte Amalia Tonello, die Ehefrau Gaspare Tonellos, eines Professors für Schiffbau und Manöver an der k. k. Akademie für Nautik in Triest, in einem opulenten Abendkleid aus schwarzem Samt, Satin und Spitze und gab seinem Gemälde mit einem voluminösen roten Samtkissen sowie einem zur Seite gezogenen grünen Vorhang ein barockes Gepräge (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Der Südtiroler Anton Psenner betonte bei seinem Tondo mit den kleinen Schwestern Josefa und Antonia Romen samt Blumenkorb mehr die natürliche Anmut und gestaltete den Hintergrund mit Schloss Sigmundskron bei Bozen um 1825/26 ein wenig renaissancehaft (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR). Mit einer psychologischen Durchdringung und einer realistischen Behandlung seiner Figuren setzte sich Ferdinand von Rayski von den eher idealisierten Tendenzen in der Portraitkunst seiner Zeit ab, was etwa sein „Jagdhelfer“ deutlich macht, hinter dem der Bauernbursche Moritz Kratsch vermutet wird (Taxe 8.000 bis 15.000 EUR). Dieser Idealismus findet sich etwa in Paul Emil Jacobs’ römischer Mutter mit ihren beiden Kindern, ein Sinnbild für mütterliche Liebe und Fürsorge von 1854 (Taxe 7.000 bis 9.000 EUR), und in dem Porträt von Jeanne-Euzénou de Kersalaün, Baronne Desponty de Saint-Avoye, die Hermann Winterhalter, der jüngere Bruder des weitaus bekannteren und gefeierten Franz Xaver Winterhalter, um 1860 in einem weißen Tüllkleid mit roten Schleifen und Schärpe auf eine ovale Leinwand bannte (Taxe 7.000 bis 10.000 EUR).
Exotisch wird es dann bei Jacques Majorelle, der sich für den Orient begeisterte und in den späten 1910er Jahren in Marrakesch niederließ. Im Westen Afrikas fand er auch die weiblichen Modelle für seine erotischen Halbakte, deren körperliche Schönheit Majorelle in den Mittelpunkt seiner Gemälde rückte, so etwa eine junge dunkelhäutige Frau mit rosafarbenem Turban (Taxe 90.000 bis 130.000 EUR) oder 1955 die barbusige „Schöne Zohra“, für die er Goldpulver in seine Farben mischte, um den Schimmer ihres Inkarnats zu erhöhen (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Von der trockenen Hitze Afrikas geht es dann noch in kalte Gefilde, etwa mit Stanislaw Zukowski, der einen Nachtzug durch einen verschneiten Wald fahren und die Lichter sowie den Rauch des Dampfkessels effektvoll rot glühen lässt (Taxe 5.000 bis 7.000 EUR), oder mit Giacomo Grosso. Bei ihm hat sich eine Gruppe von sechs Bergsteigern auf einen Alpengletscher aufgemacht und wird von einem Schneesturm überrascht, der ihnen doch etwas Schrecken einjagt (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR).
Die Auktion „Gemälde des 19. Jahrhunderts“ beginnt am 22. Oktober um 18 Uhr. Eine Besichtigung der Objekte ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr, am 19. Oktober von 14 bis 17 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet alle Kunstwerke unter www.dorotheum.com. |