 |  | Ivan Konstantinovich Ajvazovskij, Wellengang auf hoher See, 1898 | |
Die See ist aufgewühlt. Weiße Gischt steht auf den Wellenkämmen, löst sich von ihnen, wird aufgewirbelt und steigt in den dunkel dräuenden Himmel auf. So sah Ivan Konstantinovich Ajvazovskij im Jahr 1898 die Naturgewalt des Meeres. In seinem Spätwerk schilderte der armenisch-russische Künstler virtuos einen „Wellengang auf hoher See“ und steigerte die Dramatik, ohne sie dabei mit menschlichen Wesen und ihren verzweifelten Rettungsversuchen zu verknüpfen. Hierfür nutzte Ajvazovskij lediglich die Dynamik der Wellen und die Lichtführung, betont durch den hervorragend ausgeführten Farbverlauf zwischen den hellen und dunklen Blautönen des Wassers. Nun war sein „Wellengang auf hoher See“ der Favorit in der Auktion „Gemälde, Zeichnungen und Grafik Alter Meister & des 19. Jahrhunderts“ bei Koller in Zürich. Und das Gemälde, das durch seine reduzierte Farbpalette einen modernen Eindruck vermittelt, übertraf die Hoffnungen: Von 200.000 Franken schoss es in einem Duell zwischen zwei Telefonbietern auf 1,4 Millionen Franken und ging bei knapp 1,7 Millionen Franken an einen Privatsammler in der Türkei.
Insgesamt verzeichnete Koller bei seiner Versteigerung am 19. September ein glänzendes Ergebnis: Die losbezogenen Verkaufsraten lagen zwischen 75 Prozent bei den Gemälden Alter Meister und knapp 88 Prozent in der Abteilung Zeichnung und Grafik, wertmäßig konnte Koller nach eigenen Angaben 134 Prozent der Schätzpreissumme einfahren, was an einigen beachtenswerten Steigerungen wie bei Ajvazovskij lag, und konstatierte einen vollen Erfolg, der die oft wiederholte Behauptung widerlege, der Auktionsmarkt befinde sich im Abschwung. Das ging auch auf das Konto einer Frau im Kerzenlicht. Die Charakterstudie der verhärmten Alten schlummerte unter falscher Zuweisung fast ein halbes Jahrhundert in einer Schweizer Privatsammlung. Nun konnte sie von den Spezialisten bei Koller und dem amerikanischen Kunsthistoriker Arthur Wheelock als eigenhändiges Werk von Jan Lievens, einem Zeitgenossen und Schüler Rembrandts, identifiziert werden. Die vorgesehenen 10.000 bis 15.000 Franken waren da selbstredend zu wenig. In einem hitzigen Bietgefecht konnte sich ein amerikanischer Sammler die Tafel erst bei 260.000 Franken sichern.
Eine Waldlandschaft, in die Denis van Alsloot die Göttin Diana, die eben die Schwangerschaft von Callisto entdeckt, an einem See samt reichem Nymphengefolge integriert hat, raste zwar nicht so sehr in die Höhe; dennoch können sich die 310.000 Franken sehen lassen, die eine belgische Institution in die großformatige Leinwand investiert hat (Taxe 90.000 bis 120.000 SFR). Eine Generation jünger waren die beiden Landschaftsmaler Salomon van Ruysdael und Jan van Goyen, die zu den Protagonisten des sogenannten „tonalen“ Landschaftsstils gehören, der in Haarlem ab den späten 1620er Jahren in einem monochromen Kolorit Gestalt annahm. Auch ihre Bilder waren gefragt: Ruysdaels „Segelschiffe auf dem Haarlemmermeer mit Schloss Heemstede im Hintergrund“ bei 105.000 Franken (Taxe 80.000 bis 120.000 SFR), seine weite farbreduziertere „Landschaft mit Wagen auf einer sandigen Straße“ von 1647 bei 100.000 Franken (Taxe 60.000 bis 80.000 SFR), genauso wie Goyens „Seelandschaft mit Fischern und Schiffen“ von 1650 (Taxe 100.000 bis 150.000 SFR). Von den Seestücken wurde nur Ludolf Backhuysens konkretes historisches Ereignis von der Ankunft Zar Peters des Großen in seinem Boeier vor Amsterdam aus dem Jahr 1697 taxgerecht bei 48.000 Franken übernommen.
Überraschendes bei den Stillleben
Zahlreich waren in der Auktion auch die flämischen und niederländischen Stillleben vertreten. Während Balthasar van der Ast mit seinem Früchtekorb von 1624, aus dem Trauben, Äpfel und Aprikosen und Kirschen nur so hervorquellen (Taxe 100.000 bis 150.000 SFR), und Cornelis de Heem mit seinem Arrangement von Trauben, Kirschen, Orangen und Austern um ein Römerglas in einer Nische kein Glück hatten (Taxe 40.000 bis 60.000 SFR), freute sich Adriaen Coorte über 180.000 Franken für sein Stillleben mit Walderdbeeren, Spargel, Johannisbeeren, Stachelbeeren und einem blauen Schmetterling von 1689, die mit Schlaglicht beleuchtet effektvoll aus dem schwarzen Hintergrund hervortreten (Taxe 80.000 bis 120.000 SFR). Zu unteren Schätzung kamen der um 1615 geschmackvoll gesteckte „Blumenstrauß in einer Glasvase mit Schmetterligen“ von Ambrosius Bosschaert d.Ä. bei 150.000 Franken und der zentrale Traubenkorb, den Isaac Soreau auf der Holzplatte um einen Pfirsichzweig, einen aufgebrochenen Granatapfel um einen Blumenstrauß in einer Glasvase angereichert hat, bei 120.000 Franken ans Ziel.
Wertzuwächse auf niedrigerem Preisniveau verbuchten Bartholomeus Assteyns Komposition aus verholzten Früchten, einem Schmetterling, einer Schnecke und einer Libelle auf einer Steinplatte bei 18.000 Franken, Daniel Seghers’ Blumengirlande mit Rosen, Tulpen und Narzissen bei 30.000 Franken (Taxe je 10.000 bis 15.000 SFR), Floris van Schootens gedeckter Tisch mit Käse, Brot, Bierglas und gerösteten Kastanien bei 50.000 Franken (Taxe 30.000 bis 40.000 SFR) und Johann Falchs Waldstillleben mit Schlange, Eidechse, Schmetterlingen und einer Schnecke auf roten giftigen Pilzen bei 24.000 Franken (Taxe 7.000 bis 10.000 SFR). Mit Caroline Friederike Friedrich war auch eine Stilllebenmalerin des Dresdner Klassizismus zugegen, die ihre Pendants mit zwei Blumensträußen in Glasvasen in ihrer glasklaren, realistischen Auffassung günstig bei 17.000 Franken platzierte (Taxe 12.000 bis 18.000 SFR).
Unheimliche Welten
Die ältesten Werke der Koller-Auktion stammten aus Italien und waren der religiösen Kunst der Gotik verpflichtet. Die Versteigerung startete mit einem toskanischen Künstler aus dem Umkreis Barnaba da Modenas und seiner auf Goldgrund gemalten Madonna mit Kind samt einer Beweinung Christi am Grab und den Heiligen Antonius Abbas und Katharina von Alexandrien. Der Tafel, die in ihrer Stilisierung und den Beschriftungen noch in der Tradition byzantinischer Ikonen stand, gelang bei einem Zuschlag von 130.000 Franken ein fulminanter Auftakt. Dahinter folgte ebenso beeindruckend eine Wiederentdeckung des vorwiegend im Burgund während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts tätigen Malers Antoine de Lonhy. Sein Bild mit dem Erzengel Michael als Seelenwäger, das ursprünglich zu einem fünfflügeligen Altar einer Dominikanerkirche gehörte, konnte ein international tätiger Kunsthändler erst bei 170.000 Franken erwerben (Taxe je 40.000 bis 60.000 SFR). Für Schreckensvisionen in der Nachfolge von Hieronymus Bosch lassen sich immer Liebhaber finden, so auch diesmal für die Leinwand mit dem siegreichen „Christus im Limbus“, die von 20.000 Franken auf 62.000 Franken kletterte. Der linke Flügel eines Reisealtars mit der Darstellung der Anna Selbdritt, der laut Wappen auf der Rückseite um 1516 in der Werkstatt Lucas Cranachs d.Ä. für Herzog Johann den Beständigen entstand, ließ sich bei 42.000 Franken gleichfalls nicht lumpen (Taxe 20.000 bis 30.000 SFR).
Die Portraitkunst stieß bei Koller ebenso auf Widerhall, etwa schon die drei Edeldamen mit Federhut, die alle im 16. Jahrhundert von Malern aus der Schule von Fontainebleau mit hohem Stilisierungsgrad gefertigt wurden und Zuschläge bis zu 23.000 Franken erreichten (Taxen zwischen 6.000 und 10.000 SFR). Einen persönlicheren Zugriff erlaubten sich Thomas de Keyser bei seinem repräsentativen Bildnis eines schwarz gekleideten vornehmen Herren mit weißer Halskrause sowie Justus Sustermans bei seinem Bruststück eines bärtigen italienischen Edelmanns und schnitten mit 34.000 Franken respektive 64.000 Franken gut ab (Taxen je zwischen 20.000 und 30.000 SFR). Mit dem Engländer Thomas Gainsborough und dem Schweden Alexander Roslin hatte auch die Portraitmalerei des Klassizismus ihre würdigen Vertreter. Sie behaupteten sich mit dem Bildnis eines gewissen John Mason um 1762 bei 18.000 Franken (Taxe 7.000 bis 10.000 SFR) und eines namenlosen Adeligen in rotem, goldbesticktem Wams samt Jacke bei 11.000 Franken (Taxe 10.000 bis 15.000 SFR).
Das 19. Jahrhundert
Die Neueren Meister erfreuten sich mit einem losbezogenen Absatz von 85,4 Prozent eines noch höheren Zuspruchs. Das lag nicht zuletzt an den moderaten Bewertungen, die nicht selten übertroffen wurden. Doch nach dem Ajvazovskij-Höhepunkt klaffte erst einmal eine große Lücke. Der Zweitplatzierte auf der Zuschlagsliste war Jean-Baptiste Camille Corot, der seinen atmosphärischen Waldrand mit „La chevrière italienne“ für anvisierte 120.000 Franken loswurde. Sein französischer Kollege Eugène Boudin tat sich mit seiner typischen Hafenszene „Le port de Trouville“ an einem bewölkten Sommertags des Jahres 1879 bei 110.000 Franken wiederum leicht (Taxe je 100.000 bis 150.000 SFR) und durfte mit seiner flüchtigen Ölskizze „Paysage normand“ aus der Mitte der 1890er Jahre sogar 48.000 Franken einfahren (Taxe 20.000 bis 30.000 SFR). Weitere Freilichtmaler der Schule von Barbizon langten desgleichen kräftig zu, etwa Théodore Rousseau mit seinen Kühen an einem Tümpel des „Paysage du Berri“ für 32.000 Franken (Taxe 5.000 bis 7.000 SFR), Karl Daubigny mit seiner farbfrischen Strandszene für 7.000 Franken (Taxe 4.000 bis 6.000 SFR) oder Henri Fantin-Latour mit seiner orientalisch inspirierten „Danse d’Almées“ für 14.000 Franken (Taxe 6.000 bis 8.000 SFR).
Der Belgier Jean-Baptiste Robie zauberte dann einige weiße, rosarote und rote Rosen stimmungsvoll auf eine Holztafel und hatte bei 11.500 Franken beträchtliche Einkünfte (Taxe 2.000 bis 3.000 SFR). Für den Katalanen Francesc Masriera und seine reich geschmückte „Favorita“ im durchsichtigen Chiffongewand von 1881 wurden 17.000 Franken bewilligt (Taxe 7.000 bis 10.000 SFR), für den weitgereisten Italiener Carlo Bossoli und seinen Panoramablick über den Genfersee, die Stadt Genf und den Mont Blanc 42.000 Franken (Taxe 25.000 bis 35.000 SFR), und bei dem Polen Alfred von Wierusz-Kowalski waren die 10.000 bis 15.000 Franken für die beiden „Pferdefuhrwerke bei Tauwetter“ deutlich zu niedrig angesetzt. Die erzielten 85.000 Franken entsprechen eher der üblichen Marktlage.
Einzig bei Carl Spitzweg war ein höherer Ausfall zu konstatieren: seine alpine Schlucht mit zwei „Schulkindern unter dem Ammergauer Kofel“ sollte 90.000 bis 120.000 Franken einspielen, wurde bei dieser Summe aber verschmäht. Diese Scharte konnte seine kleine summarische Vedute „Am Schlagbaum vor dem Städtchen“ trotz ihrer Steigerung von 10.000 Franken auf 34.000 Franken nicht wieder auswetzen. Gut schlugen sich auf deutscher Seite dann noch Emilie Preyer mit ihrem farbenfrohen Früchtestillleben samt Sektschale auf einer weiß leuchtenden Damastdecke bei 32.000 Franken (Taxe 20.000 bis 30.000 SFR) und Hans Thoma mit seiner wiederum für 4.000 bis 6.000 Franken zu günstig taxierten sommerlichen Landschaft am Hochrhein mit Bauersleuten zwischen Kornfelder bei 12.000 Franken.
Die Arbeiten auf Papier
Zusammen mit dem Nachverkauf konnte Koller alle Schweizer Veduten losschlagen, die den Auftakt bei den Zeichnungen und Grafiken des 15. bis 20. Jahrhunderts bildeten. Preisliche Höhepunkte waren hierbei die 4.000 Franken für die duftige Morgenstimmung auf dem Aquarell „Blick von Brunnen auf den Vierwaldstättersee mit der Tellskapelle im Hintergrund“ von Gabriel Lory fils aus dem Jahr 1822 und für Johann Ludwig Bleulers farbintensivere Gouache „Le Château de Gottlieben“ um 1825 (Taxe je 1.000 bis 1.500 SFR) sowie die 6.500 Franken für seinen imposanten Blick auf „Le Palais féderale à Berne“ hoch über der Aare (Taxe 1.200 bis 1.800 SFR). Bei der alten Druckgrafik konnten die Käufer bei niedrigen Schätzungen erneut nicht an sich halten und spendierten etwa 6.500 Franken für Albrecht Dürers Kupferstich „Die drei Bauern“ (Taxe 1.800 bis 2.500 SFR) oder 9.000 Franken für Rembrandts 1636 radiertes „Studienblatt mit sechs Frauenköpfen“ (Taxe 4.000 bis 6.000 SFR).
Dafür ging bei gleicher Bewertung Lovis Corinths Lithografie „Selbstbildnis mit Model“, ein Probedruck für das Plakat zu seiner Ausstellung im Kunsthaus Zürich von 1924, leer aus. Der französische Illustrator René Vincent reüssierte mit seinem Plakatentwurf für die Automarke „Salmson La Nouvelle 10HP Les Cyclecars“ im Stil des Art Déco bei 2.800 Franken (Taxe 1.000 bis 1.500 SFR). Joaquín Domínguez Bécquer und sein 1857 aquarellierter Blick einer jungen Frau aus der Alhambra in Granada auf das umliegende Bergland bei Abenddämmerung animierten die Sammler zu 11.000 Franken (Taxe 3.000 bis 5.000 SFR), Adolph von Menzel und seine Ölstudie mit Esel, Ziege und Schwein zu 14.000 Franken (Taxe 10.000 bis 15.000 SFR). Mit Caspar Wolf und seiner Gouache ging es um 1775 noch einmal zur Tellskapelle in der Hohlen Gasse bei Küssnacht und mit 5.500 Franken leicht bergauf (Taxe 3.000 bis 5.000 SFR).
Diesen Wert ergatterte zudem der Sieneser Manierist Francesco Vanni mit seiner linienbetonten, fast schon nazarenerhaften Darstellung von Gottvater im Kreis unzähliger Engel (Taxe 2.000 bis 3.000 SFR). Weitere Zeichnungen der Alten Meister bewiesen ihre Zugkraft, so ein Tondo aus der Werkstatt Jörg Breus d.Ä. mit der „Kapitulation einer flämischen Stadt vor Kaiser Maximilian I.“ bei 4.500 Franken (Taxe 3.000 bis 4.000 SFR), eine Sacra Conversazione mit den Heiligen Sebastian, Rochus und Domenikus von Jacopo Negretti, genannt Palma il Giovane, bei 3.200 Franken (Taxe 2.000 bis 3.000 SFR) oder Charles-Joseph Natoires Studienblatt mit Christus am Kreuz und der klagenden Maria Magdalena zu seinen Fußen, das 1737 einen Kupferstich vorbereitete, bei 11.000 Franken (Taxe 7.000 bis 10.000 SFR). Den Vogel schoss aber das Brustbildnis eines unbekannten Mannes mittleren Alters mit Kappe ab. Dahinter stand ein Künstler aus der Werkstatt von Jean Clouet, vielleicht der französische Hofmaler selbst, was den Preis von 2.000 Franken auf 25.000 Franken katapultierte.
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |