Berlinde de Bruyckere in Hamburg  |  | Berlinde de Bruyckere, Lift Not the Painted Veil, 2025 | |
Das Hamburger Ernst Barlach Haus widmet der Bildhauerin Berlinde de Bruyckere aktuell die erste Einzelausstellung in Hamburg. Die 1964 geborene Belgierin beschäftigt sich in ihren körperhaften, großformatigen Skulpturen mit Themen wie Gewalt und Gefahr, Heiligkeit und Animalität, Schmerz, Verlust und Erlösung. Dabei verwendet sie Materialien wie Decken, Metallplatten, Holz und Wachs. Über ihre Arbeit sagt sie: „Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass mich vor allem beschädigte Skulpturen anziehen – solche, die von Holzwürmern zerfressen sind, denen Gliedmaßen fehlen und die mit winzigen Löchern übersät sind.“ Im Herbst 2021 besuchte De Bruyckere das Ernst Barlach Haus und war von den Holzskulpturen Ernst Barlachs beeindruckt. Seine Holzskulptur „Der Zweifler“ von 1911, die von innerer Qual, einer tiefen Reflexion und der Suche nach Wahrheit inmitten von Unsicherheit geprägt ist, griff die Künstlerin auf und regte sie zu einer eigenen Umsetzung an.
Laut Museumsdirektor Karsten Müller erzählen ihre Figuren von verletzten Körpern, unterdrückter Identität, verlorener Stimme, Bruch, Kontrolle, Verlust und Überleben. Ihre Skulpturen halten eine Spannung zwischen schmerzlichen Erfahrungen und Schönheit, Verzweiflung und Hoffnung aufrecht und betonen das Existenzielle. Deshalb bestehe eine Verbindung zu Barlach, der Menschen zwischen Schmerz, Einsamkeit, Hoffnung und Glauben darstelle. Müller erläutert, dass beide Künstler auf ihre Weise die verletzlichen Seiten des Menschen, seine Widerstandskraft und sein inneres Wesen erforschen. Für die Ausstellung wählte Berlinde de Bruyckere daher mehr als drei Skulpturen und Zeichnungen aus verschiedenen Jahrzehnten von Barlach aus, die sie neben ihre eigenen Arbeiten präsentiert.
„Lift Not the Painted Veil“ ist sowohl der Titel der neuen Arbeit als auch der Ausstellung. Er entstammt dem Drama des britischen Romantikers Percy Bysshe Shelley: „Lift not the painted veil which those who live call Life.“ Das Verdecken des Subjekts mit einem Schleier ist auch ein zentrales Thema bei Barlach und De Bruyckere. In ihrem neuen Werk setzt sie dieses Thema in einer polychromen Skulptur um und will nach eigenen Worten den vollständig entkörperlichten Körper vollständig umhüllen. Bei seiner Entstehung dachte sie an die „Pleureants des Tombeaux des Ducs de Bourgogne“ aus dem fünfzehnten Jahrhundert – Mönche mit schmerzverzerrten Gesichtern, die als äußerst realistische und eindringliche Alabasterskulpturen dargestellt sind. Gleichzeitig erinnerte sie sich an die irakischen Gefangenen in Abu Ghraib, die von US-Soldaten gefoltert, mit Elektroschocks gequält und sexuell missbraucht wurden, und an die Bilder der in weiße Tücher gehüllten Leichen der Kriegsopfer im Gazastreifen. Berlinde de Bruyckere betont: „Was ich damit erreichen möchte, ist nicht, dass die Menschen meine Arbeit als etwas Schönes ansehen. Ich möchte sie dort berühren, wo sie fürchten, berührt zu werden.“
Die Ausstellung „Berlinde de Bruyckere – Lift Not the Painted Veil“ bis zum 2. November zu sehen. Das Ernst Barlach Haus hat dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 9 Euro, ermäßigt 6 Euro; für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre ist er kostenfrei. Zur Ausstellung erscheint ein zwanzigseitiges Künstlerbuch für 35 Euro, in der Vorzugsausgabe für 300 Euro.
Ernst Barlach Haus
Baron-Voght-Straße 50a
D-22609 Hamburg
Telefon: +49 (0)40 – 82 60 85 |