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Marktberichte |
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Von einer Kunstmarktflaute kann keine Rede sein: Irene Lehr fährt mit ihrer Auswahl an Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts wieder eine hohe Verkaufsrate und gute Ergebnisse ein  Malen mit dem Gewehr

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 |  | Max Liebermann, Gartenlokal an der Havel, um 1920/22 | |
Es ist ein angenehmer und entspannter Sommertag, das Gartenlokal an der Havel dicht gefüllt. Vergnügt sitzen die Berliner Herrschaften mit ihren Kindern unter dem grünen Dach der Baumkronen und unterhalten sich angeregt, während sich zwischen ihnen die Kellnerinnen und Kellner hindurchschlängen und für Verpflegung sorgen. Mit diesem zu Beginn der 1920er Jahre entstandenen Gemälde ist Max Liebermann nicht nur eine Momentaufnahme des Berliner Gesellschaftslebens, sondern auch ein Beispiel für seine meisterhafte Beherrschung von Licht und Farbe geglückt. Sein „Gartenlokal an der Havel“ beweist seine Fähigkeit, die Atmosphäre eines quirligen Ortes einzufangen. Die gesellige Runde, ein impressionistisches Vorzeigestück Liebermanns, war nun das Spitzenlos der vergangenen Auktion von Irene Lehr in Berlin und angemessen mit 250.000 Euro angesetzt. Mit einem Zuschlag bei 260.000 Euro legten die Interessenten dann noch eine Schippe drauf. Sowohl bei Schätzung als auch Zuschlag um den Faktor Zehn geringer fiel das Ergebnis für Liebermanns unprätentiöses Selbstbildnis mit Mütze um 1920 aus.
Ihre Versteigerung kann die Berliner Auktionatorin wieder als Erfolg werten: Mit ihrer sorgfältigen Auswahl an Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts traf sie erneut den Nerv der Käufer, erzielte mit knapp 95 Prozent eine ungewöhnlich hohe losbezogene Verkaufsrate und generiete einen Bruttoumsatz von 2,86 Millionen Euro, was fast dem Vorjahresergebnis von 3,08 Millionen Euro bei etwas mehr verkauften Positionen entsprach. Zwei weitere Male erreichte Irene Lehr mit ihren 388 Losnummern die Sechsstelligkeit: Genau 100.000 Euro kamen für eine titellose dichte Gesichtslandschaft auf einem Hochformat von Marwan zusammen (Taxe 30.000 EUR), der darüber hinaus mit allen seinen Werken reüssierte, etwa dem hingekritzelten und aquarellierten „Kopf, Nr. 176“ bei 15.000 Euro (Taxe 5.000 EUR), 120.000 Euro waren es für die expressive, fast kalligrafische Abstraktion „Il tuo disordine“ von Piero Dorazio aus dem Jahr 1958 (Taxe 70.000 EUR).
Ein Garant für den Erfolg von Irene Lehr, der sich hier schon andeutet, ist ihre transparente, oft moderate Preisgestaltung, die während der Auktion teils deutlich nach oben korrigiert wurde. So machte sich Ernst Fritschs „Wisent“ von 1921, das ruhig und vertraut à la Franz Marc in einer paradiesischen Farblandschaft lagert, erst bei 30.000 Euro davon (Taxe 12.000 EUR), Stanislaw Kubickis Aquarell mit einer zackig und kubofuturistisch zerlegten „Aloe III“ von 1929 bei 38.000 Euro (Taxe 6.000 EUR) und Curt Lahs’ fantasievoller Farbkosmos „Weibliche Figur mit Fabelwesen“ von 1919 bei 6.500 Euro (Taxe 1.000 EUR). Weitere Entdeckungen versprachen einige Werke der Neuen Sachlichkeit, so etwa Eugen Knaus’ Stillleben mit Kaktus, Zeitung und bauchiger Vase am Fenster samt Ausblick auf Eisenbahngleise und kahle Winterbäume für 30.000 Euro (Taxe 8.000 EUR), Carl Grossbergs menschenleere „Montagehalle mit Schrotthaufen“, eine akkurate Bleistiftzeichnung vom Fabrikgelände des Würzburger Druckmaschinenherstellers „Koenig & Bauer“ aus dem Jahr 1924, für 8.000 Euro (Taxe 2.000 EUR) oder Hans Fischer-Schuppachs Zeichnung einer Künstlerin beim Zeichenstudium „In der Akademie“ für 600 Euro (Taxe 300 EUR).
Mit beherztem Frauenanteil
Den Militarismus der Kaiserzeit griff Hans Bohn 1913 in seinem monumental in den Vordergrund gerückten „Berliner Wachtmeister“ auf, der nun bei 3.200 Euro über ein neues Zuhause wacht (Taxe 2.500 EUR). Symbolistischer verarbeitete Gottfried Brockmann 1925 zwischenmenschliche Beziehungen und zeichnete für sein „Dreigespann“ einen Mann mit Peitsche und Zügel, die an drei leere Stühle angelegt sind. 2.600 Euro waren sein Lohn (Taxe 1.800 EUR). Immer wieder macht Irene Lehr auf vergessene weibliche Positionen aus dem frühen 20. Jahrhundert aufmerksam. Diesmal durften sich Luise Deicher über 1.200 Euro für ihr „Stillleben mit Obstschale“ in einem expressiven Realismus (Taxe 400 EUR), Eugenie Fuchs über 5.000 Euro für die spätimpressionistische Sportszene „Lawn-Tennis-Turnier“ im Club „Rot-Weiß“ in Berlin-Grunewald von 1920 (Taxe 6.000 EUR) und vor allem Louise Loeber über 17.000 Euro für ihre vom Konstruktivismus beeinflusste niederländische Wohnanlage eines „Hofje“ von 1923 in kräftigem Kolorit freuen (Taxe 8.000 EUR). Mit dem Bildnis eines ruhig sitzenden „Jungen mit Fußball“ in neusachlicher Distanziertheit von 1930 zählte die Hamburger Malerin Lucia Meiling-Eckhold bei 5.000 Euro ebenfalls zu den Gewinnerinnen (Taxe 1.500 EUR).
Aber auch die bekannten Namen der klassischen Moderne stießen bei Irene Lehr auf reges Interesse. So war etwa Conrad Felixmüllers expressiver Holzschnitt „Sängerin und Komponist“ von 1923 bei 5.500 Euro gefragt (Taxe 2.800 EUR), ebenso Hermann Max Pechsteins flott hingestrichelte und aquarellierte Zeichnung dreier Badender „In den Dünen von Nidden“ aus dem Jahr 1911 bei 11.000 Euro (Taxe 4.000 EUR), Christian Rohlfs’ dunstiges Aquarell der „Kirche im Maggiatal“ von 1935 bei 22.000 Euro (Taxe 9.000 EUR) oder Karl Hofers Mädchen, das sich seit 1945 etwas schüchtern hinter einer überdimensionierten Christblume versteckt, bei 46.000 Euro (Taxe 45.000 EUR). Nicht ganz so gewinnbringend war Paul Klees lustige Tuschezeichnung „Physiognomisches Teilbild“ von 1925, auf der sich Nasen, Augen und Münder selbständig machen. Sie erreichte nur 18.000 Euro (Taxe 20.000 EUR). Zum Limitpreis von 14.000 Euro wurde zudem César Kleins biblische Interpretation „Adam und Eva“ nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies übernommen; für Kleins vor kurzem erst dahinter wiederentdeckte „Italienische Landschaft mit Brücke“ fand sich bis dato noch kein Käufer (Taxe je 15.000 EUR).
Georg Muches unbetitelte Abstraktion, auf der verschiedene Farbzonen einem Glasfenster ähnlich durch schwarze Umrisslinien deutlich voneinander getrennt sind und aus sich selbst heraus leuchten, hatte in den letzten Jahren schon mehrere Auktionsauftritte hinter sich, etwa im Mai 2018 bei Grisebach für 100.000 bis 150.000 Euro. Doch blieb die um 1916 entstandene Leinwand stets liegen. Irene Lehr hatte die Schätzung nochmals weiter auf 60.000 Euro reduziert, was nun mehrere Sammler auf den Plan rief, die schlussendlich 86.000 Euro dafür spendierten. Die gegenstandslose Kunst setzten nach dem Zweiten Weltkrieg Fritz Winter mit seinen schwebenden ausgefransten Farbfeldern „In der Mitte Rot“ von 1965 bei 32.000 Euro (Taxe 35.000 EUR) oder Dorothea Tanning mit ihrer Zeichnungscollage „Paysage essouflé“ von 1962 bei 10.500 Euro fort (Taxe 3.500 EUR). Nicht unentdeckt blieben gleichfalls Niki de Saint Phalles mit dem Gewehr ausgeführtes Schießbild „Tir“ samt verlaufenen Farbströmen in Rot und Schwarz von 1964 bei 27.000 Euro (Taxe 10.000 EUR), Maina-Miriam Munskys figuratives Acrylgemälde mit der emotionalen Ausnahmesituation eines Abortus unter dem Titel „Eingriff III“ von 1973 bei 11.000 Euro (Taxe 3.000 EUR) oder Dóra Maurers konstruktive zeichnerische Dokumentation des Experiments „Signs of moving light – Optical deformations (No.1)“ von 1973/74 für 8.500 Euro (Taxe 5.000 EUR).
Göttinnen der Abstraktion
Bei den bildhauerischen Positionen überzeugten Alfred Lörchers voluminös ausformulierte Terrakottafigur „Schlafendes Mädchen“ in typisch elegischer Ruhe von 1950/52 bei 5.500 Euro (Taxe 2.500 EUR), die als zwei gewundene Röhren abstrakt gebildete „Kleine Gaia“ von Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff bei 8.000 Euro (Taxe 5.000 EUR) oder Christa von Schnitzlers kantige, reduzierte und schwarz gefasste Holzskulptur „Große Stehende“ von 1969 bei 10.000 Euro (Taxe 2.000 EUR). Hans Scheib ließ sich im Jahr 2000 von altägyptischer Kunst zu seiner Aktgruppe „Drei Sonnen“ inspirieren und ergatterte damit nun 7.500 Euro (Taxe 1.200 EUR). Jo Jastram stand dem mit seinem in einen weiten Überwurf gekleideten „Afrikanischen Händler“ von 1996 bei 6.000 Euro nicht nach (Taxe 2.200 EUR), während sich Arman mit seiner Akkumulation mehrerer Farbpinsel in Rot und Weiß bei 12.000 Euro behauptete (Taxe 5.000 EUR).
Ein weiterer Schwerpunkt der Auktion lag auf ostdeutscher Kunst, die bei Irene Lehr stets ihre Abnehmer findet. Leicht tat sich diesmal Horst Strempel mit seinen kraftvoll ausformulierten „Sackträgern“ aus dem Jahr 1948, die bei 26.000 Euro mit großen Schritten davoneilten (Taxe 8.000 EUR). Willi Sitte präsentierte seine „Demonstranten auf der Flucht“ von 1974 bei 8.500 Euro (Taxe 6.000 EUR), Max Uhlig seine aus kurzen Pinselstrichen konstruierte „Bildnisstudie F.U.“ von 1987 bei 9.300 Euro (Taxe 5.000 EUR), Stefan Plenkers sein in ein Hochformat eingepasstes Interieur „Frau und Fisch“ von 1991 bei 4.000 Euro (Taxe 1.500 EUR) und der erst vor kurzem verstorbene Konrad Knebel die triste menschenleere Stadtvedute „Eckhaus mit gelbem Balkon“ von 1999 bei 5.000 Euro (Taxe 1.800 EUR). Eberhard Göschel gesellte sich mit seiner zehnteiligen Radierfolge „Besteigung des Ätna“ von 1987 samt feinen Liniengespinsten bei 15.000 Euro hinzu (Taxe 5.000 EUR), Wolfgang Mattheuer mit seinen beiden nachdenklich stimmenden Farbsiebdrucken „Abendlandschaft“ und „Sonne“ für jeweils 3.000 Euro (Taxen 1.200 EUR und 1.500 EUR).
Ost-West-Verbindungen
Aus Dresden hatte sich Gerhard Richter 1961 in die BRD abgesetzt und stieg hier zu einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart auf. Seine gegenstandslose Grafitzeichnung vom „24.4.90“, auf der sich filigran mehrere Linien frei bewegen, wurde vom Publikum mit 28.000 Euro hofiert. Sein Künstlerfreund Sigmar Polke, ein gebürtiger Schlesier, blickte 1987 dann nochmals in den „Fernen Osten“. So lautet der Titel einer für sein Œuvre ungewöhnlichen Papiercollage aus ausgeschnittenen und zusammenhanglos aufgeklebten Zeitungsfragmenten über einer abstrakten Aquarellspritzerei, in deren Mitte ein Kapitän zur See mit einem Fernglas den Betrachter fixiert. Bei 26.000 Euro lächelte hier wiederum Fortuna (Taxe je 15.000 EUR). Aus Schlesien, aus Waldenburg, stammt auch Hermann Vogt, der sich als Künstler Hermann Waldenburg nennt. Seine seriell wie auf einem Fließband aufgereihten, völlig uniformen „Kastanien und Lampe“ von 1976 wurden mit 4.000 Euro belohnt (Taxe 1.800 EUR), Stefan Hoenerlohs schaurige Vedute eines menschenleeren dunklen Stadtplatzes unter dem irreführenden Titel „Cascata d’Acqua con Delfini“ von 1997 mit 12.000 Euro, Bruno Gollers aus ihrem Zusammenhang gerissene, schiefe „Säule“ um 1985 mit 9.500 Euro und Peter Bömmels’ kryptische Figuration „Rotes Boot (Ist es ein Fischer?)“ von 1983 mit 16.000 Euro (Taxe je 5.000 EUR).
Auch die grafischen Arbeiten waren im Auktionshaus Lehr gesucht. So verabschiedete sich Horst Janssens aus feinen Strichen entwickeltes frontales „Selbstbildnis“ von 1975 mit ernstem Blick erst bei 8.500 Euro (Taxe 3.000 EUR). Leiko Ikemuras aus wenigen roten und schwarzen Linien aufgebaute Menschenkonstellation „Fliegender Teppich“ verdreifachte ihre Schätzung auf 2.400 Euro, ebenso wie Günter Brus’ Konvolut mit vier hintergründig humorvollen Farbstiftzeichnungen auf 12.000 Euro. Amerikanischer Minimalismus lag mit Donald Judds Radierung samt vier Kuben von 1974 für 3.200 Euro (Taxe 1.500 EUR) und mit Ellsworth Kellys schwarz-weißer Lithografie eines Viertelkreises unter dem Titel „Black Curve I (White Curve I)“ von 1973 für 4.200 Euro vor (Taxe 3.000 EUR), und Heinz Mack steuerte das 1960 mittels einer rechteckigen Aluminiumfolie rhythmisch geprägte „Lichtrelief“ für strahlende 13.000 Euro bei (Taxe 2.500 EUR).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |  | Kontakt: Dr. Irene Lehr Kunstauktionen Sybelstraße 68 DE-10629 Berlin |
 | Telefon:+49 (030) 881 89 79 | Telefax:+49 (030) 881 89 95 |  |  | Startseite: www.lehr-kunstauktionen.de |
05.06.2025 |
Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Ulrich Raphael Firsching |  |
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 Max Liebermann,
Selbstbildnis
(Brustbild mit Mütze
fast von vorne), um
1920 |  | Taxe: 25.000,- EURO Zuschlag: 26.000,- EURO Losnummer: 203 |  |  |  |  |  | 
 Horst Strempel, Die
Sackträger, 1948 |  | Taxe: 8.000,- EURO Zuschlag: 26.000,- EURO Losnummer: 336 |  |  |  |  |  | 
 Carl Grossberg,
Montagehalle mit
Schrotthaufen
(Koenig & Bauer),
1924 |  | Taxe: 2.000,- EURO Zuschlag: 8.000,- EURO Losnummer: 129 |  |  |  |  |  | 
 Dorothea Tanning,
Paysage essouflé,
1962 |  | Taxe: 3.500,- EURO Zuschlag: 10.500,- EURO Losnummer: 341 |  |  |  |  |  | 
 Gerhard Richter,
24.4.90, 1990 |  | Taxe: 15.000,- EURO Zuschlag: 28.000,- EURO Losnummer: 300 |  |  |  |  |  | 
 Sigmar Polke, Ferner
Osten, 1987 |  | Taxe: 15.000,- EURO Zuschlag: 26.000,- EURO Losnummer: 293 |  |  |  |  |  | 
 Paul Klee,
Physiognomisches
Teilbild, 1925 |  | Taxe: 20.000,- EURO Zuschlag: 18.000,- EURO Losnummer: 172 |  |  |  |  |  | 
 Fritz Winter, In der
Mitte Rot, 1965 |  | Taxe: 35.000,- EURO Zuschlag: 32.000,- EURO Losnummer: 381 |  |  |  |  |  | 
 Lucia
Meiling-Eckhold,
Junge mit Fußball,
1930 |  | Taxe: 1.500,- EURO Zuschlag: 5.000,- EURO Losnummer: 236 |  |  |  |  |  | 
 Willi Sitte,
Demonstranten auf
der Flucht, 1974 |  | Taxe: 6.000,- EURO Zuschlag: 8.500,- EURO Losnummer: 325 |  |  |  |  |  | 
 Ernst Fritsch,
Wisent, 1921 |  | Taxe: 12.000,- EURO Zuschlag: 30.000,- EURO Losnummer: 87 |  |  |  |  |  | 
 Niki de Saint Phalle,
Tir, 1964 |  | Taxe: 10.000,- EURO Zuschlag: 27.000,- EURO Losnummer: 306 |  |  |
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