Die Kunst, online zu lesen.

Home


Magazin

News


Marktberichte


Ausstellungen


Journal


Portraits


Top Event


Netzkunst





Kunst kaufen
Werben

Translation EnglishFrench

Auktionsanzeige

Am 25.06.2025 25.06.2025 - Auktion für moderne und zeitgenössische Kunst

© Beurret Bailly Widmer Auktionen AG

Anzeige

Ländlicher Garten (mit Bauernhaus) / Arnold Balwé

Ländlicher Garten (mit Bauernhaus) / Arnold Balwé
© Kunsthandel Ron & Nora Krausz


Anzeige

Interieur – Asia Porcelain – Asiatisches Porzellan, um 1911/12 / Joseph Oppenheimer

Interieur – Asia Porcelain – Asiatisches Porzellan, um 1911/12 / Joseph Oppenheimer
© Kunsthandel Ron & Nora Krausz


Newsmailer Eintrag

Bestellen Sie bitte hier:


Suchen mit Google

Google
WWW
kunstmarkt.com

Ausstellungen

Aktuellzum Archiv:Ausstellung

Eine kleine, aber reizvolle und aufschlussreiche Ausstellung führt im Berliner Bode-Museum 80 Jahre nach Kriegsende Paul Klees „Angelus Novus“, Walter Benjamins tiefgründige Deutung und deren aktuelle Bezüge zusammen

Ein neuer Engel im Sturm



Paul Klee, Angelus Novus, 1920

Paul Klee, Angelus Novus, 1920

Wie kommen Kunstwerke in die Museen, wem haben sie vorher gehört und welchen Weg haben sie zurückgelegt? Provenienzforschung bedeutet mehr als die Klärung von Eigentumsverhältnissen und die Wiedergutmachung historischen Unrechts. Sie ermöglicht eine „biografische Sicht“ auf bekannte Kunstwerke, denn deren Mythos lebt auch von den geschichtlichen Umständen, den Personen und den Erzählungen, mit denen sie verbunden sind. Ein Hauptwerk der Kunst des 20. Jahrhunderts, Paul Klees „Angelus Novus“ aus dem Jahr 1920, steht im Mittelpunkt einer kleinen, wunderbaren Ausstellung in Berlin und wird anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs im Bode-Museum gezeigt. Dass es dieses Bild noch gibt, ist fast ein Wunder. Zudem wird das fragile Blatt des Israel Museums in Jerusalem höchst selten verliehen. Es ist daher ein Glücksfall, dass die aquarellierte Ölfarbzeichnung mit der einzigartigen Biografie noch bis Anfang Juli in der sehenswerten Schau zu bestaunen ist.


Gemessen an seiner Bedeutung ist das Blatt mit nicht mal 30 auf 25 Zentimetern verblüffend klein. Nun hängt die in braunen und goldgelben Tönen auf gebräuntem Papier gehaltene Zeichnung in einem abgedunkelten Kabinett des Museums vor einer purpurnen Wand. Es ist ein irritierendes Bild: Auffällig an der schwebend gezeichneten Gestalt sind der im Verhältnis zum Körper übergroße Kopf, die empor gestreckten Arme mit erhobenen Fingern, die nur leicht ein Paar Flügel andeuten, und die rudimentären Beine mit an Vogelfüße erinnernden drei Zehen. Deutlich sind zudem die großen Ohren und die Kehle beziehungsweise der Hals, vor allem jedoch die wie unbezeichnete Schriftrollen dargestellten Haare, die wie vom Sturm zerzaust wirken. Der Blick der Gestalt geht geradeaus, in den Horizont gerichtet, aus dem Bildraum heraus und am Betrachter vorbei. Dabei hebt die Gestalt die flügelartigen Arme und Hände wie zur Abwehr. Es scheint, als wolle sie etwas aufhalten. Die Geste ihrer Flügelarme scheint auszudrücken: Stopp!, Genug! Doch der verstrubbelte Vogelleib wirkt wenig respekteinflößend. Zudem erscheint er eher wie eine Projektion im perspektivlosen Raum.

„Angelus Novus“ gilt als eines der frühen Bilder in der von Paul Klee geschaffenen Motivgruppe von Engeln, die etwa fünfzig zwischen 1915 und 1940 entstandene Werke umfasst, und verdankt seine Berühmtheit auch seinem Vorbesitzer, dem deutsch-jüdischen Intellektuellen Walter Benjamin (1892-1940), der das Engelsbild 1921 im Rahmen einer Klee-Werkschau der Galerie Hans Goltz in München erwarb und es zunächst bei seinem Freund Gershom Scholem unterstellte. Im November 1921 schickte Scholem die Zeichnung nach Berlin, wo sich Benjamin eine neue Wohnung einrichtete. Im September 1933 ging Benjamin auf der Flucht vor den Nationalsozialisten ins Exil nach Paris und ließ das Bild zurück, 1935 konnten es ihm Freunde nachbringen. Als Benjamin die Stadt vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1940 verlassen musste, blieb es wiederum zurück. Der französische Schriftsteller Georges Bataille versteckte es mit weiterem Nachlass in der Bibliothèque nationale de France. Auf der Flucht beging Walter Benjamin am 26. September 1940 in Portbou an der spanisch-französischen Grenze Suizid. Gegen Ende des Krieges gelangte die Zeichnung mit weiteren Unterlagen an Theodor W. Adorno in New York, der sie später an Gershom Scholem weitergab, so wie es in einem Testament von Benjamin gewünscht war. Der „Angelus Novus“ hing bis zu Scholems Tod in dessen Wohnung in Rechavia, einem von Intellektuellen, Wissenschaftlern und Denkern bewohnten Stadtteil von Jerusalem. Dann ging er als Geschenk an das Israel Museum.

Der „Angelus Novus“ hat Benjamin nicht nur sein Leben lang begleitet, sondern wurde für ihn zum Sinnbild des Nachdenkens über die Geschichte. Auf dem Höhepunkt der Nazi-Herrschaft, die ihn wenig später in den selbstgewählten Tod hetzen sollte, verwendete er den „Angelus Novus“ in seinem Essay „Über den Begriff der Geschichte“ von 1940 als anschauliche Grundlage für seine Gedanken zum „Engel der Geschichte“. Obwohl Walter Benjamin den Übergang von Klees „Angelus Novus“ zu seinem „Engel der Geschichte“ deutlich kenntlich macht, ist es seit dieser Deutung fast unmöglich geworden, den „Angelus“ ohne Benjamins Interpretation zu betrachten. Selten wurde ein Bild so eindringlich einer einzigen Deutung überschrieben. Gleichzeitig fällt es schwer, Benjamins „Engel der Geschichte“ nicht selbst als Expression seiner düsteren geschichtlichen und persönlichen Umstände in dieser Zeit zu deuten.

In seinem letzten Text, in dem sich seine Reflexionen über das Verhältnis von Historie, Messianismus und Glück verdichten, unterzog Benjamin die Zeichnung einer Deutung, an der sich spätere Zeitdiagnostiker abgearbeitet haben. Er beschrieb den Engel, „als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Ein „Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst.“ „Der Engel der Geschichte muss so aussehen“, konstatierte der Philosoph. „Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet.“ Und am Ende des Textes schreibt Benjamin: „Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Der Fortschritt als Sturm, gegen den ein Engel sich nicht stemmen kann, wohl wissend, dass auch die Zukunft voller Trümmer und Zerstörungen wartet. Dabei konnte Benjamin, als im September 1940 sein Leben endete, die Dimensionen der Schoa und die Ruinenstädte Dresden, Berlin, Würzburg oder Köln höchstens erahnen. Erst später begannen die systematischen Bombardierungen. Sie sind in Klees Werk und Benjamins Interpretation vorweggenommen. Für Benjamin war der Engel ein Denkbild, in dem sich dunkel und prophetisch andeutete, was nur wenige Jahre später tatsächlich als Unglück über das 20. Jahrhundert hereinbrechen sollte.

Im Bode-Museum sind nun nicht allein Klees „Angelus Novus“, der als große Ausnahme vom Israel Museum in Jerusalem entliehen werden konnte, und die Manuskripte von Benjamins oben genanntem Text aus der Akademie der Künste in Berlin zu sehen. Kurator Neville Rowley hat außerdem eine 1510 von Giambattista Bregno in Marmor gefertigte kniende Engelsfigur mit verbrannten Armstümpfen ausgewählt, die bei der Bombardierung der Museumsinsel 1945 zu Schaden kam. An der gegenüberliegenden Wand hängt eine Reproduktion von Michelangelo Merisi da Caravaggios Gemälde „Der heilige Matthäus mit dem Engel“, das als verschollen gilt. Das Bild aus dem einstigen Kaiser-Friedrich-Museum verschwand zu Kriegsende 1945 aus dem Flakbunker Friedrichshain.

Albrecht Dürers „Melencolia I“, eine Allegorie des saturnischen Grübelns, ist einer Fotografie des zerstörten Dresden von Richard Peter sen. mit dem „Blick vom Rathausturm nach Süden“ und einem Portrait von Walter Benjamin zur Seite gestellt – das Gesicht voller Schwermut, voller Vorahnung, aufgenommen von Gisèle Freund. In einer Vitrine liegen Schreibmaschinenseiten, gedruckt in einem schmalen Buch und als Handschrift-Faksimiles: Walter Benjamins dichter und intensiver Essay zum „Angelus Novus“ von 1940. Zudem präsentiert Rowley Ausschnitte aus Wim Wenders’ legendärem Film „Der Himmel über Berlin“ von 1987, in dem zwei Engel über das geteilte Berlin wachen und in dem ausdrücklich auf Klees Aquarell und Benjamins Interpretation des Blattes Bezug genommen wird.

Neben diesen sorgsam ausgewählten Exponaten, die die Wirkkraft von Klees „Angelus Novus“ hervorheben, weist die Schau auch auf etwas hin, was die Besucher*innen nicht sehen können und was wohl auch Benjamin nicht wusste: Unter Klees Bild verbirgt sich ein Porträt. Der amerikanischen Künstlerin R. H. Quaytman war 2015 beim genaueren Betrachten von Klees Zeichnung aufgefallen war, dass der Künstler das Bild auf einen Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert kaschiert hatte, der kaum sichtbar ist, sodass er jahrzehntelang von seinen Besitzern – Walter Benjamin, Theodor W. Adorno und Gershom Scholem – übersehen wurde. Dieses Bild zeigt Martin Luther, gezeichnet von Lucas Cranach d.Ä. Ein kleines Monogramm am linken unteren Bildrand von Klees „Angelus“ ist mit bloßem Auge erkennbar. Annie Bourneuf hat in ihrer 2024 erschienenen Untersuchung „Im Rücken des Engels der Geschichte“ diesen Sachverhalt analysiert. Demnach könnte die bildliche Überlagerung als „Vision einer neuen Kunst“ vor dem Hintergrund der alten gelesen werden, aber auch die darin aufgerufenen religiösen Beziehungen sind Bourneufs Meinung nach von Bedeutung, was wiederum eine Brücke zu Benjamins auf „interreligiöse Verständigung“ abzielendes, nach dem Klee-Gemälde benanntes Zeitschriftenprojekt zulässt.

Kurator Neville Rowley sagte, dass der „Angelus Novus“ anlässlich des 80. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs für die Öffentlichkeit von besonderer Bedeutung sei. „Klee schuf diesen Engel nach dem Ersten Weltkrieg, und diese Vision der Geschichte als eine Abfolge von Katastrophen ist von Dauer.“ Den „Angelus Novus“ nun eine Zeitlang und aus denkwürdigem Anlass wieder in Benjamins Heimatstadt Berlin zu haben, ist ein außergewöhnliches Ereignis. Und auch Benjamins Deutung des „Angelus Novus“ provoziert hundert Jahre nach der Entstehung des Bildes Fragen – nicht nur die, ob der Betrachtende die Vorder- oder die Rückseite des Engels sieht und ob das für die Deutung eine Rolle spielt. Man staunt, wie aktuell Benjamins Sätze heute in unserer zerrissenen, von Ideologien durchzogenen, krisengeschüttelten, kriegerischen Zeit wieder sind, wie er Gewalt ablehnte, Fortschritt hinterfragte, eine kritische Erinnerungskultur anmahnte. Auch die Skepsis, wie denn ein Engel, möglicherweise etwas Göttliches, von Bedeutung sein könnte bei diesem verzweifelten Kampf gegen den Faschismus und der sich herannahenden zivilisatorischen Katastrophe. Wo Klees und Benjamins Engel der Geschichte wohl momentan weilt? In Kiew, über den zerstörten Kibbuzim im Süden Israels und den Siedlungen in Gaza? In Äthiopien, in Myanmar, im Sudan? Sein Blick wird fassungslos bleiben. Der Sturm der Zukunft weht ihn weiter. „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei“, schrieb Benjamin. Die seltene Gelegenheit zum Bestaunen des „Angelus Novus“ sollte man nicht versäumen.

Die Ausstellung „Der Engel der Geschichte – Walter Benjamin, Paul Klee und die Berliner Engel 80 Jahre nach Kriegsende“ ist bis zum 13. Juli zu sehen. Das Bode-Museum hat täglich außer montags und dienstags von 10 bis 17 Uhr, am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt regulär 12 Euro, ermäßigt 6 Euro.

Kontakt:

Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst

Bodestraße 1-3

DE-10178 Berlin

Telefon:+49 (030) 20 90 56 01

Telefax:+49 (030) 20 90 56 02

Startseite: www.smb.museum



30.05.2025

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Jacqueline Rugo

Drucken

zurück zur Übersicht


Empfehlen Sie den Artikel weiter:
an


Weitere Inhalte:

Veranstaltung vom:


08.05.2025, Der Engel der Geschichte - Walter Benjamin, Paul Klee und die Berliner Engel 80 Jahre nach Kriegsende

Bei:


Staatliche Museen zu Berlin

Kunstsparte:


Zeichnung

Kunstsparte:


Arbeiten auf Papier

Stilrichtung:


Moderne Kunst

Variabilder:

Paul Klee, Angelus Novus, 1920
Paul Klee, Angelus Novus, 1920

Künstler:


Paul Klee










Copyright © '99-'2025
Kunstmarkt Media
Alle Rechte vorbehalten


Impressum





Zum Seitenanfang Magazin

 Amazon export/import Schnittstelle xt:commerce u. oscommerce  Amazon ebay rakuten yatego meinpaket export/import Schnittstelle xt:commerce u. oscommerce