 |  | Egon Schiele, Weiblicher Akt, auf den Arm gestützt, 1912 | |
Wieder einmal ein weiblicher Akt, von denen Egon Schiele so viele gezeichnet hat. Doch sein Blatt aus dem Jahr 1912, auf dem der Wiener Expressionist die Konturlinien reduziert mit ockerbrauner Gouache im Wechsel mit hauchdünn aufgetragener schwarzer bis blauer Wasserfarbe ausgefüllt hat, lässt dann doch etwas aufhorchen. Die von oben gesehene Gestalt mit aufgestütztem Arm hat Schiele in einer überraschenden Pose mit wechselnden Drehungen des Körpers und einem stark nach unten gebeugten Kopf wiedergegeben. Auf anatomische Korrektheit kam es ihm dabei nicht an: Der linke ausgestreckte Arm scheint viel zu lang zu sein und an falscher Stelle in den Leib zu treten, der Kopf mit dem blonden Haar gar nicht auf dem Hals zu sitzen, die gesamte Figur mehr zu schweben und beinahe aus dem Bild zu fallen, wäre da nicht der Arm, der wie ein Blumenstiel vom unteren Blattrand emporwächst, um die geschlossene körperliche Fülle wie eine Blüte zu tragen. Man meint, Schiele habe mit dem Akt eine Gleichzeitigkeit von Bewegungsmomenten eingefangen.
Nun ist Schieles „Weiblicher Akt, auf den Arm gestützt“ unangefochten der Star in der Auktion „Moderne“ im Wiener Dorotheum und tritt am 20. Mai mit einer Schätzung von 400.000 bis 600.000 Euro auf das Auktionspult. Von Egon Schiele listet der Katalog weitere, diesmal nicht kolorierte Zeichnungen, die dann bei seiner „Sitzenden mit gesenktem Kopf“ und dem „Liegenden weiblichen Akt mit angewinkelten Beinen“ auch nur mit je 70.000 bis 100.000 Euro veranschlagt sind. Sein Wiener Kollege Gustav Klimt steuert ebenfalls mehrere Zeichnungen bei, von denen ein sitzender zusammengekauerter Halbakt von vorne, der eben sein Kleid nach oben rafft und seine Scham offenbart, um 1908/09 als Studie zu seinem allegorischen Gemälde „Tod und Leben“ entstand und bei 50.000 bis 70.000 Euro die Spitzenposition einnimmt.
Mit österreichischer Moderne eröffnet das Dorotheum die Auktion. Am Beginn nimmt uns Carl Moll für 100.000 bis 180.000 Euro zu einem Frühlingstag in den menschenleeren ungestörten „Garten in Döbling“ um 1908 mit und präsentiert uns später noch zum halben Preis seinen Blick in den sommerlich erblühten „Garten der Villa Ast“ aus den 1930er Jahren, die nahe seinem eigenen Grundstück auf der Hohen Warte in Wien lag und damals von Franz Werfel und dessen Gattin Alma Mahler-Werfel, Molls Stieftochter, bewohnt wurde. Winterlich wird es dann mit dem Tiroler Alfons Walde, der 1930 an einem strahlenden Sonnentag zwei Skifahrer bei der „Rast“ in den dick verschneiten Bergen auf kleinem Format festhielt (Taxe 70.000 bis 130.000 EUR).
Während Oskar Laske um 1940 in seinem „Sturz des Ikarus“ an einer südlichen palmenbestandenen Küste mit kleinen Menschlein sich der griechischen Mythologie zuwandte (Taxe 14.000 bis 20.000 EUR), griff Herbert von Reyl-Hanisch auf die Bibel zurück und malte 1922 eine dräuende Urlandschaft mit erschreckten und angstvollen nackten Menschen bei der „Sintflut“ (Taxe 35.000 bis 60.000 EUR). Rudolf Wacker stellt ein neusachliches „Stillleben mit blühendem Kaktus und Puppe“ zur Verfügung, das im Entstehungsjahr 1925 der Vorarlberger Landeshauptmann Otto Ender ankaufte (Taxe 60.000 bis 100.000 EUR). Werner Berg bediente ebenfalls diese Gattung 1957 mit seinen „Wächserne Legenden“, einem farbintensiven Gemälde von Votivfiguren und einem Armreliquiar, gegossenen aus rotem Wachs (Taxe 100.000 bis 160.000 EUR). Später folgen noch Helene Funke mit ihrem gemäßigt expressiven „Stillleben mit Zitrone und Teekanne“ um 1920 (Taxe 12.000 bis 18.000 EUR), Albert Paris Gütersloh mit seinem seltsam entrückten „Stillleben mit Kerze und Melone“ von 1960 (Taxe 5.000 bis 8.000 EUR) und Gerhild Diesner mit ihrer flächigen, von der Pop Art beeinflussten Malweise einer blauen Blumenvase samt „Rosa Mohn“ vor hellgelber Wand aus dem Jahr 1967 (Taxe 14.000 bis 26.000 EUR).
Die Reise beginnt
Seit seiner Privatisierung zu Beginn der 2000er Jahre hat das Dorotheum sein Filial- und Repräsentanznetz stark ins europäische Ausland ausgedehnt, was sich bis heute im Angebot der Auktionen niederschlägt. Reichhaltig vertreten ist diesmal die Kunst aus Frankreich mit bekannten Namen aus Impressionismus, Moderne und Surrealismus. Pierre-Auguste Renoir macht mit einer sommerlichen „Paysage à Cagnes“ samt einer Bäuerin neben wogenden Feldern von 1898 auf sich aufmerksam (Taxe 220.000 bis 330.000 EUR), Marc Chagall mit der Gouache „Le retour au village devant le bouquet“ von 1970/76, auf der er sein typisches Motivrepertoire von Liebespaar, Esel und Blumenstrauß zur Nacht arrangiert hat (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR), während es mit Victor Brauners „Vertige“ von 1951 und einer kastenartigen Figur, die sich jeder klaren Definition entzieht und mechanisch und organisch zugleich ist, in den Surrealismus geht (Taxe 160.000 bis 240.000 EUR). In seinem Gemälde „Der ägyptische Mond“ von 1948 kombiniert Brauner altägyptische Darstellungen mit einer vom Primitivismus beeinflussten flächigen Malweise (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Von seinen Surrealisten-Kollegen sind noch André Masson mit seiner formaufgelösten Strandszene „Figures et coquillages“ von 1930 bei 80.000 bis 120.000 Euro und Francis Picabia mit seiner dunklen, amorphen „Composition abstraite“ von 1947 bei 70.000 bis 90.000 Euro an der Versteigerung in Wien beteiligt.
In Italien ist das Dorotheum ebenfalls gut aufgestellt. Giorgio de Chirico, einer der Hauptvertreter der Pittura metafisica, ist für seine traumähnlichen kulissenartigen Stadtansichten bekannt, die er nach Renaissance-Vorbild mit Häusern samt Arkaden, Türmen und Statuen, selten mit Menschen bestückte. Eine derartige rätselhafte Idealarchitektur ist nun mit seiner „Piazza d’Italia“ von 1954 für 250.000 bis 350.000 Euro zu haben. Einer neobarocken fülligen Formgebung und Anklängen an die Antike wandte er sich 1929 bei seinen „Cavalli antichi in riva al mare“ zu (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Aus Versatzstück von Häuserfassaden, Säulenstümpfen, Treppenanlagen, einer Spielfigur und einem Segelboot hat René Paresce 1933 seine „Paesaggio“ in einer Lagune konstruiert (Taxe 22.000 bis 36.000 EUR). Seine „Treue zum Bild der Frau“ verstand Massimo Campigli als „Wahl des vorherrschenden Themas in der Kunst aller Zeiten“. Mit seinem Ölgemälde eines weiblichen „Idolo“ von 1963 knüpft er daher an alte etruskische, kultisch verehrte Götterbilder an (Taxe 45.000 bis 65.000 EUR).
Für Marino Marini war dagegen die Motivwelt von Reiter und Pferd prägend. In dem Gemälde „L’idea. Composizione“ von 1960 legte er dies exemplarisch, gleichwohl dramatisch nieder und fing die Intensität eines Konflikts zwischen Pferd und stürzendem Reiter in einer reduzierten Farbpalette von Weiß, Schwarz und Grau ein (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Auch als Bildhauer trat Marini hervor, etwa 1958/59 mit seiner Bronze „Guerriero“. Doch er nahm sich nicht die Pose eines aufrecht stehenden Kriegshelden zum Vorbild: Seine Figur ist horizontal ausgerichtet und entspricht weniger einer menschlichen Gestalt als vielmehr der einer mythischen tierähnlichen Kreatur (Taxe 180.000 bis 280.000 EUR). Die Futuristen wollten im frühen 20. Jahrhundert die italienische Kunst erneuern und konzentrierten sich dabei auf die Geschwindigkeit und Dynamik des modernen Lebens. In seiner Kohlezeichnung „Tango Argentino“ zerlegte Gino Severini dafür das tanzende Paar kubistisch in geometrische Einzelformen und fing die elektrisierende Energie der Bewegung ein (Taxe 110.000 bis 160.000 EUR). Auf Fortunato Deperos Zeichnung „Ritratto Psicologico dell’Aviatore Azari“ von 1923 tritt zu den drei Personen dann schon das bei den Futuristen beliebte Flugzeug hinzu, dem Tullio Crali 1929 in seinem kleinen Ölgemälde „Aerei su grattacieli“ mit drei Propellermaschinen die alleinige Vorherrschaft gab (Taxe je 8.000 bis 12.000 EUR).
und führt sogar nach Amerika
Bei der Kunst aus Deutschland treffen wiederum Malerei, Bildhauerei und Zeichnung aufeinander. In Conrad Felixmüllers Aquarell „Der schöne Schmuck“ trägt seine Frau Londa eine Kreation aus einem extravaganten Collier und einem Ring, die ihr befreundeter Bielefelder Gold- und Silberschmied Rudolf Feldmann schuf. Er war auch der erste Besitzer des Blattes aus dem Jahr 1924; denn Schmuck und Tafelsilber wurden häufiger gegen Druckgrafik und Aquarelle zwischen den beiden Familien getauscht (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Mit seiner weiß gehöhten Kohlezeichnung „Liegender Akt auf Fell“ schuf Otto Dix 1932 kein Abbild eines gängigen Schönheitsideals, sondern war eher der Idee der „nuda veritas“ verpflichtet (Taxe 100.000 bis 180.000 EUR).
Sein Verismus-Kollege George Grosz legt bei seiner Zeichnung „Die wahre Jakobsleiter“ noch mehr sozialkritische Verve an den Tag, wenn er das biblische Thema als Anklage gegen die brutale Unterdrückung politischer Opposition und die Hierarchie der Macht nutzt (Taxe 28.000 bis 35.000 EUR). Erst in November 2022 hatte eine deutsche Firmensammlung Renée Sintenis’ Bronze „Großes Vollblutfohlen“ bei Van Ham in Köln für 120.000 Euro netto erworben. Nun trennt sie sich schon wieder von dem hochbeinig stelzenden Jungtier auf etwas wackligen Beinen und will dafür 150.000 bis 180.000 Euro sehen. Mit Paul Feiler kommt ein 1918 in Frankfurt geborener Deutscher zum Zug, der 1933 vor den Nazi zuerst in die Niederlande, dann nach England floh und dort heimisch wurde. Sein Komposition „Venice at Night“ von 1954 erinnert nur noch rudimentär mit der angedeuteten Wasseroberfläche und den Gondeln an die Stadt in der Lagune (Taxe 35.000 bis 50.000 EUR).
Die Länderreise im Dorotheum geht diesmal sogar nach Übersee: Ungewöhnlich viele Positionen stammen aus Kuba und Mexiko, darunter Francisco Toledos humorvolle Abstraktion „Personaje amarillo“ von 1965 (Taxe 18.000 bis 24.000 EUR), José Mijares’ „Abstraccion Concreta“ aus der Mitte der 1950er Jahre (Taxe 3.000 bis 4.000 EUR) oder Mario Carreños gestapelte Rechteckfelder von 1956, die mit ihren Binnenformen noch eher an einen indigenen Motivschatz erinnern (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Die Kubanerin Loló Soldevilla pflegte eher eine verspielte Art der Konkreten Kunst, was ihre Eisenskulptur in freischwingenden Linien mit weiß bemalten Holzscheiben deutlich macht (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Der von Sklaven abstammende Agustín Cárdenas bezog sich häufig auf die afrikanische Kunst, gehörte während seiner Zeit in Paris den Surrealisten an und schuf als Bildhauer amorphe Gebilde, die nicht selten an Totemfiguren denken lassen, so auch in der Holzstele von 1956, die das Dorotheum nun für 18.000 bis 25.000 Euro offeriert.
Mit dem tschechischen Maler, Grafiker, Buchillustrator, Fotografen, Bühnenbildner und Schriftsteller Josef Capek, der zu den maßgeblichen Personen im Kulturleben der jungen Tschechoslowakei gehörte und noch am 12. April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde, kehrt die Offerte im Dorotheum den europäischen Kontinent zurück. Sein Blumenstillleben „Schlehdorn in einer Vase“ von 1921 zeigt sich kubistisch inspiriert (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Capeks slowakischer Mitstreiter war Mikuláš Galanda, der sich der weiblichen Schönheit und Anmut in einem lyrisch-poetischen Ton verschrieben hatte, so wie bei seinem „Mädchen“ in üppigen Formen von 1928 (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Mit dem Ungarn Izsák Perlmutter bleibt es im Vielvölkerstaat der Habsburger Monarchie. Der 1866 in Pest geborene Maler ist für eine impressionistische Strandszene mit Strandkorb, spazierender Frau samt Sonnenschirm und Segelboot im Hintergrund verantwortlich (Taxe 14.000 bis 24.000 EUR). Zum Abschluss der Auktion streift das Angebot nochmals die österreichische Kunst und hat Carry Hausers kubistisch zergliedertes Aquarell eines nackten „Trunkenen“ von 1919 (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR), einen stillen abendlichen „Blick auf den Ossiacher See“ von Arnold Clementschitsch um 1945 (Taxe 14.000 bis 20.000 EUR) oder den „Wiener Prater um 1900“ zu bieten, wie ihn sich Gottfried Kumpf in seiner naiven Bildsprache 1965 vorstellte (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 20. Mai um 18 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr, sonntags von 14 bis 17 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Kunstwerke unter www.dorotheum.com. |