Julie Mehretu in Düsseldorf  |  | in der Ausstellung „Julie Mehretu. Kairos / Hauntological Variations“ | |
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen widmet Julie Mehretu in Düsseldorf eine Überblicksausstellung. Für die Schau in K21 hat das mit Susanne Gaensheimer und Sebastian Peter besetzte Kuratorenteam rund 100 Arbeiten der äthiopisch-amerikanischen Künstlerin ausgewählt, die Mehretus künstlerische Entwicklung von den frühen Zeichnungen der 1990er Jahre bis zu den jüngsten abstrakten Gemälden nachverfolgen. Außerdem geben sie erstmalig einen Einblick in das Quellenmaterial, das Mehretu seit Mitte der 1990er Jahre sammelt und als Ausgangsmaterial ihrer Werke nutzt. Dass dieses Archivmaterial wie ein richtungsweisender Atlas für ihre malerischen Gesten und Zeichen fungiert, wird anhand der 57teiligen Serie „Archive Pages“ von 1997 nachvollziehbar. Als gezeichnete Vorläufer und Miniaturen machen 20 frühe Papierarbeiten zudem deutlich, wie Mehretu ihre großformatigen Gemälde Schicht für Schicht aus der Zeichnung entwickelt hat.
Die Druckgrafik hat Mehretus Praxis seit Mitte der 1990er Jahre beeinflusst. Ihre Experimente mit verschiedenen Techniken wie Siebdruck, Tiefdruck und Fotogravur haben es ihr ermöglicht, die Druckgrafik als Experimentierfeld für die Abstraktion zu nutzen. Sie untersucht Möglichkeiten, die Grenzen traditioneller Verfahren zu erweitern und schichtet deshalb in ihren Arbeiten verschiedene Techniken. Dadurch entstehen überlagerte Bildwelten mit vielfältigen Zeichen- und Linienführungen sowie ein stetig wachsendes Repertoire an Symbolen. In den frühen 2000er Jahren wendet sie sich großformatigen Arbeiten zu und malt Werke wie „Rise of the New Suprematists“ von 2001 und „Black City“ von 2007, die aus fragmentierten Topografien und Stadtlandschaften bestehen. Diese lassen sich keinem bestimmten Ort zuordnen. Stattdessen basieren die Bilder auf einem Mix aus historischen, zeitgenössischen und utopischen Strukturen. Die Künstlerin hat für ihre Arbeiten ein eigenes Vokabular angelegt. Die Anordnung dieser „characters“ verweist auf das sich ständig verändernde wirtschaftliche, soziale und politische Weltgeschehen. In ihren Werken reflektiert Mehretu damit den Prozess des Schreibens und Umschreibens von Geschichte.
In den 2010er Jahren verändert sich das Œuvre Mehretus. Die architektonischen Strukturen verschwinden langsam, die Hintergründe werden grau. Stattdessen nehmen ihre expressiven Markierungen mehr Raum ein. Das 2015 entstandene Werk „Conjured Parts“ stellt aufgesprühte Formen stark manipulierter, unscharfer Fotografien in den Vordergrund. Die Bilder zeigen den Aufstieg von Autoritarismus und weißer Vorherrschaft, die mit Bürgerkriegen und ethnischen Konflikten, katastrophalen Klimaveränderungen und emanzipatorischen Bewegungen in Verbindung stehen. Mit dem Ende der 2010er Jahre ändert Julie Mehretu ihre Malweise erneut. So erinnern die Gemälde „Desire was our breastplate“ von 2022 und „TRANSpainting (recurrence)“ von 2023 an Kalligrafie, Graffiti und Höhlenmalerei.
Julie Mehretu wurde 1970 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geboren und floh 1977 während der Militärdiktatur von Mengistu Haile Mariam mit ihrer Familie in die USA. Dort studierte sie Kunst und erlangte an der Rhode Island School of Design 1997 einen Master of Fine Arts. Ihre Arbeit ist beeinflusst von der eigenen Biografie und der Auseinandersetzung mit Krisen, Umbrüchen und Konflikten der Geschichte. In diesem Zusammenhang bezeichnet Mehretu ihre großformatigen Werke als „story maps of no location“. Sie eröffnete große Einzelausstellungen im Museum of Contemporary Art Australia in Sydney und im Palazzo Grassi in Venedig und schuf außerdem ein 25 Meter hohes Glasfenster für das Obama Presidential Center.
Die Ausstellung „Julie Mehretu. Kairos / Hauntological Variations“ läuft bis zum 12. Oktober. K21 hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, jeden ersten Mittwoch im Monat bis 22 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, für Studierende 5 Euro; Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre haben freien Eintritt.
K21 – Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Ständehausstraße 1
D-40217 Düsseldorf
Telefon: +49 (0)211 – 83 81 600 |