 |  | am Stand der Galerie Mendes Wood DM | |
Ein wolkenverhangener Himmel und gelegentliche Regenschauer in Brüssel konnten eingefleischte Fans der Art Brussels am vergangenen Donnerstag, dem Vernissagetag der 41. Ausgabe der Kunstmesse, nicht einschüchtern. Alles, was in der zum Teil von exzentrischen Persönlichkeiten geprägten belgischen Sammlerszene Rang und Namen hat, tummelte sich ab dem späten Vormittag in den Hallen 5 und 6 des Brüsseler Messegeländes. Vor drei Jahren ist die Messe, die zwischenzeitlich wesentlich innenstadtnäher auf dem Tour & Taxis-Areal residierte, wieder hier an ihrem angestammten Standort vor Anker gegangen. In den anlässlich der Weltausstellung 1935 im Art Déco-Stil errichteten Hallen machten in diesem Jahr 165 Galerien aus 35 Ländern auf über 800 Künstler*innen aufmerksam. 38 Prozent der Aussteller waren Erstteilnehmer. Knapp 100 Galerien sind zum wiederholten Mal dabei. Die Messe verzeichnete heuer rund 24.800 Gäste, was einen leichten Rückgang gegenüber den jeweils rund 26.000 Besucher*innen der beiden vorherigen Ausgaben bedeutet.
Zu den regelmäßigen Ausstellern gehört die Düsseldorfer Galerie Van Horn. Inhaberin Daniela Steinfeld sagte: „Ich zeige einen kuratierten Stand mit Werken von Künstler*innen, die ich bereits in den letzten beiden Jahren in Brüssel eingeführt habe, sowie ganz neue Positionen. Darunter neue, dreidimensionale Wandreliefs von Jan Albers, Gemälde, Collagen und Skulpturen von Anys Reimann, expressive Gemälde von Koen Delaere und malerische Wandobjekte von Elisabeth Vary. Zum ersten Mal in Brüssel zeige ich die Lampenobjekte von Claus Föttinger und an trompe l’œil erinnernde Malereien von Helene Appel. Auch ein Lichtkasten von Stefan Wissel ist dabei.“ Trotz weltweiter Krisen blickte die Düsseldorfer Galeristin positiv in die Zukunft. Mit der Messeteilnahme verband die Rheinländerin neben guten Verkäufen vor allem eine weitere Vertiefung ihrer langjährigen Beziehungen zu belgischen Sammlern und Institutionen.
Die Art Brussels gliederte sich in die Sektionen „Prime“ mit 106 Galerien, „Solo“ mit 28 Galerien, „Discovery“ mit 35 Teilnehmern, die Newcomer in Einzel- oder Doppelkonstellationen vorstellten, sowie „Invited“ mit neun Galerien. Junge Galerien ohne Messeerfahrung waren hier eingeladen, für überschaubare 5.000 Euro Standmiete an der Art Brussels teilzunehmen. Ihre Premiere feierte in diesem Jahr die neue Sektion „’68 Forward“ mit 14 Galerien und Kunst, die aus dem Fahrwasser der 68er-Bewegung hervorgegangen ist. Mit dabei waren sowohl tonangebende Pioniere als auch übersehene Talente. Messedirektorin Nele Verhaeren setzte damit wieder auf klar definierte Sektionen, um die „bestmögliche Lesbarkeit der Messe für das Publikum“ zu garantieren, bezeichnete die diesjährige Ausgabe als „Grand Cru-Edition“ und freute sich über den mit 30 Prozent hohen Anteil internationaler Besucher*innen am Preview-Tag: „Die Atmosphäre in den Gängen war pulsierend und positiv. Trotz der unsicheren Marktlage und des geopolitischen Kontextes konnten sowohl etablierte als auch Newcomer-Galerien auf der Messe zahlreiche Verkäufe realisieren.“
Aus Paris war die Galerie 22,48 m² angereist. Galerist Rosario Caltabiano hatte seinen Stand in diesem Jahr dem Thema Wasser gewidmet. Die Werke der beiden französischen Künstler Jean-Baptiste Caron und Nicolas Boulard kreisen um die fluide Natur dieses lebenswichtigen Stoffes in verschiedenen Aggregatzuständen. Gleichzeitig spielen sie mit seinen metaphorischen Eigenschaften. Die Spiegelarbeiten in unterschiedlichen Formaten und Größen des 1983 geborenen Caron müssen von den Betrachter*innen durch den eigenen, möglichst feuchten Atem aktiviert werden. Erst wenn man ganz nah an sie herantritt und sie anhaucht, geben sie ihr Geheimnis in Form mal poetischer, mal eher konzeptueller Textbotschaften preis (Gesamtinstallation aus 25 Spiegeln: 30.000 Euro, einzelne Spiegel, je nach Größe: 500 bis 6.000 Euro).
Sein 1976 geborener Landsmann Nicolas Boulard wiederum hat an verschiedenen Orten der Welt, wie zum Beispiel in Japan, im Hafen von Le Havre oder an der Loire, Wasserproben entnommen. Diese hat er in flache, rechteckige Glaskörper mit Horizontlinien eingeschlossen, welche in Holzrahmen an die Wand gehängt werden können. Abhängig von der Temperatur des Ausstellungsraums, spielt sich in diesen Glascontainern en miniature der Prozess von Kondensation, Nebel- und Tropfenbildung entsprechend der natürlichen Wetterverhältnissen ab. Form und Farbe der Holzrahmen sind von Arbeiten anderer Künstler wie Claude Monet oder Hiroshi Sugimoto inspiriert, so dass kunstgeschichtliche Bezüge erkennbar werden. Alle Arbeiten sind Unikate und trugen Preisschilder zwischen 6.000 und 8.000 Euro.
Die in Brüssel fest etablierte Galerie Sorry We’re Closed konnte bereits an den ersten Messetagen Arbeiten der 1967 geborenen Künstlerin Julia Isídrez verkaufen. Die in einem kleinen Ort in Paraguay lebende Bildhauerin gilt als eine der wichtigsten Künstler*innen ihres Landes. 2024 waren ihre Arbeiten auf der Biennale in Venedig zu sehen. Sie hat von ihrer Mutter eine jahrhundertealte, noch aus der präkolumbianischen Zeit stammende Technik der Keramikproduktion erlernt. Ihre indigenen Vorfahren aus dem Volk der Guaraní nutzten diese traditionell zur Herstellung von Urnen und Votivvasen. Isídrez allerdings beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit drängenden aktuellen Fragestellungen wie Kolonialismus, Globalisierung und dem Einbruch der Moderne in traditionelle Lebensweisen. Inspiriert von Pflanzen und Tieren ihrer Heimat, schafft sie teils beunruhigende Wesen mit diversen Ausstülpungen, mehreren Köpfen oder nur auf zwei Augen und einen kugelförmigen Körper reduzierte Phantasmagorien. Einige ihrer Schöpfungen wie Fische mit vier Beinen oder kleine Drachenskulpturen wirken wie ungezähmte Dämonen und Fabelwesen, die den Gemälden von Hieronymus Bosch entsprungen sind. Eine zusätzliche symbolische Aufladung erfahren die Gefäße, die zu Preisen zwischen 4.000 Euro und 15.000 Euro zu haben waren, durch ihre Schwarzfärbung, die Isídrez mit einer speziellen Räuchertechnik erzeugt.
Gute Verkäufe meldete die Galerie Templon mit Hauptsitz in Paris und einer Filiale in Brüssel. „Ein großer Erfolg war für uns die Einzelpräsentation des jungen belgischen Malers Antoine Roegiers“, so eine Sprecherin der Galerie und verwies darauf, dass bereits am zweiten Messetag alle fünf Gemälde am Stand zu Preisen zwischen 22.000 Euro und 40.000 Euro abgegeben waren. In nahezu altmeisterlicher Manier malt der in Paris lebende Roegiers apokalyptische Landschaften, die von streunenden Hunden, Krähen, Unheil verkündenden Eulen, karnevalesken Masken und altertümlich uniformierten Soldaten bevölkert sind. Diese tragen allerdings keine Waffen, sondern spielen Musikinstrumente. Das desillusionierte Personal seiner Bilder scheint ziellos und in Endlosschleife in diesen surrealen Welten herumzuirren. Inspirationen für seine teils aberwitzigen Bildideen, die Titel wie „La grande parade“ oder „La mélancolie du déserteur“ tragen, findet Antoine Roegiers sowohl bei den flämischen Meistern als auch in zeitgenössischen Animationsfilmen. Der Zuspruch für Isídres und Roegiers macht eines deutlich: Rätselhaft aufgeladene figurative Kunst, die sich allzu einfachen Lesarten und Deutungsmustern entzieht, stößt rund 500 Jahre nach Pieter Bruegel d.Ä. in Belgien immer noch auf großes Interesse.
Ebenso beliebt sind Anleihen beim Surrealismus und ein gewisser Hang zum experimentierfreudigen Ausbrechen aus malerischen Konventionen und zur Selbstironie. Bestes Beispiel: Die Malerin Louise Delanghe. Unter dem Titel „Afterglow Rituals“ hatte die Pizza Gallery aus Antwerpen ihre Koje auf eine Soloschau der 1994 geborenen Künstlerin ausgerichtet. Galerist Robert Monchen hat vier klassische Gemälde und zwei kreuzförmige fragile Materialcollagen mitgebracht. Die Künstlerin rekurriert in ihren Werken auf kunstgeschichtliche Vorbilder ebenso wie auf Narrative aus ihrer Familiengeschichte. Auf den farbintensiven figurativen Bildern Delanghes reichen sich Motive der Selbstfindung und der Selbsterfindung die Hand. Inspiriert von einem historischen Kuhgemälde, das sie auf dem Flohmarkt gefunden hat, stellt sich die Malerin, das tradierte Genre des in Adels- und Großbürgerkreisen beliebten Reiterbildes unerschrocken zitierend, zum Beispiel auf dem Bild „Cowgirl (Stad van Gerwen 17)“ als elegant gekleidete Reiterin auf einer weißen Kuh dar. Es handelt sich zweifelsohne um ein Selbstporträt der Künstlerin; allerdings sind nur Beine und Rumpf zu sehen, der Kopf ist außerhalb des Bildes. Das Gemälde umgibt ein massiver Rahmen aus dunklem Holz, der typisch für Delanghe Gebrauchsspuren aufweist. Bei den beiden kreuzförmigen Wandobjekten, die sie in Arte Povera-Anmutung aus gefundenen Fotografien, recycelten Leinwandfragmenten, Kordeln und Fundstücken der Natur assemblageartig zusammengefügt hat, spielt das Enigmatische wiederum eine große Rolle.
Die in Stockholm und Paris beheimatete Galerie Andréhn-Schiptjenko hatte unter anderem Arbeiten der britischen Künstlerin Linder Sterling, Jahrgang 1954, nach Brüssel verfrachtet. Die feministische Künstlerin, die sich meist schlicht als Linder bezeichnet, wird zur Zeit mit einer großen Retrospektive in der Londoner Hayward Gallery geehrt. Bekannt ist sie für ihre eklektischen und provokanten Fotomontagen, in denen sie Fundstücke aus der Kunstgeschichte, der Mode, der Werbung, der Pornografie und anderen Quellen mit chirurgischer Präzision neu kombiniert, um tradierte Geschlechterrollen auf den Prüfstand zu stellen und das männliche Blickregime zu entlarven. Ihre Collage „No age will be silent“ von 2017, ein für ihre Werkästhetik typisch wilder Mix aus Postkarten antiker Stätten, einem Pin-Up-Foto, Rosenmotiven und einem Kolibri, wurde für 15.000 Euro angeboten.
Erst seit zwei Jahren ist der deutschstämmige Kurator und Autor Nicolaus Schafhausen in Brüssel als Galerist tätig, der zuletzt bis März 2019 Direktor der Kunsthalle Wien war. Seine Galerie KIN tat sich mit der ebenfalls in Brüssel beheimateten Galerie Gauli Zitter für eine Duo-Präsentation der belgischen Künstler Michael Van den Abeele und Laurent Dupont zusammen. In einer Mischung aus Ernst und Ironie arbeiten diese medienübergreifend mit Malerei, Skulptur und Installation. Von dem Belgier Laurent Dupont, Jahrgang 1976, standen etwa gefundene Obstkisten und andere banale Verpackungen in der Messekoje, deren Schriftzüge und visuelle Elemente der Künstler äußerst präzise mit exakt den Farben des Originals übermalt hat. Was zunächst wie ein simples Objet trouvé aussieht, ist in Wirklichkeit die konzeptuell unterfütterte, aufwendige Übermalung eines kurzlebigen Massenprodukts.
Für sein an Minimalismus und Neo-Geo-Vorbilder erinnerndes Kreisbild „Bigger Circle“ nutzte Michael Van den Abeele 2022 einen partiell gebleichten Denim-Stoff. Daneben stand eine Art vertikal aufragender Raumteiler mit dem Titel „Against Nutrition (Big)“ von 2024, zusammengenäht aus sorgfältig aufgetrennten Chipstüten. Warum das alles von tieferer Bedeutung sein könnte als auf den ersten Blick ersichtlich, erläuterte Galerie-Direktorin Micaela Dixon: „Van den Abeeles Arbeiten beleuchten die Bedingungen ihrer Produktion in einer Zeit, in der unsere Fähigkeit, funktionsfähig zu bleiben, unser wichtigster Wert ist.“ Für Abeeles Werke rief sie Preise zwischen 12.000 Euro und 15.000 Euro auf.
Das globale Umfeld für den Kunstmarkt ist angesichts der durch Donald Trump ausgelösten Turbulenzen auf den Finanzmärkten und fortdauernder Krisen und Konflikte auf keinen Fall rosiger geworden. Der aktuelle Art Basel and UBS Global Art Market Report verzeichnet für 2024 einen weltweiten Umsatzrückgang von zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das hatte auch Auswirkungen auf die Kauflust der Sammler bei der diesjährigen Art Brussels, die dem Vernehmen nach sich eher Arbeiten zu vierstelligen oder niedrigen fünfstelligen Euro-Preisen zulegten – aber davon wohl nicht zu wenige. Die Stimmung auf der diesjährigen Art Brussels war daher keineswegs von reinem Pessimismus geprägt. Dazu noch einmal die Düsseldorfer Galeristin Daniela Steinfeld: „Ja, es sind turbulente Zeiten, die Börsen spielen verrückt (aus gutem Grund) und die Welt befindet sich im Umbruch. Ich habe dennoch keine Befürchtungen, sondern setze eher Hoffnung in das Bedürfnis vieler Menschen nach Bedeutung, nach positiver Bewegung und Berührung – alles was die Kunst geben kann. Ich glaube, dass gerade jetzt Kunst und Kultur eine wichtige Aufgabe haben, und dass die Menschen sich gerne, jenseits der schlechten Nachrichten des Tages, mit Bleibendem und Schönem umgeben möchten.“ |