Illuminierte Handschriften für das Heute in Frankfurt  |  | Willem Vrelant, Stundenbuch nach dem Brauch der Römischen Kirche, Flandern 3. Viertel des 15. Jahrhunderts | |
Das Museum Angewandte Kunst in Frankfurt präsentiert derzeit erstmals seinen vollständigen Bestand spätmittelalterlicher illuminierter Handschriften. Mit der Ausstellung „Text & Spirit“ geht Kuratorin Eva Linhart zugleich der Frage nach, was die Bücher und Fragmente mit feinster Malerei und dekorativer Ausstattung aus Gold, Lapislazuli oder Purpur heute bedeuten können, und nimmt dazu das Smartphone in den Blick, das ebenso ein ständiger Lebensbegleiter ist, die zeitlichen Abläufe eines Tages strukturiert und auch als Prestigeobjekt dient. In der Benutzung beider Kommunikationsmedien sieht Linhart einen Vorgang, sich aus dem unmittelbaren Hier und Jetzt gedanklich zu lösen, um sich im Geiste einzukapseln. Zudem untersucht Linhart weitere Fragestellungen zu Alltagsritualen, Wertmaßstäben, Mode, Kunst, Restaurierung oder Religion.
Die christlichen Bücher des Spätmittelalters in der Eigenschaft von Psaltern, Brevieren und Stundenbüchern entstanden im Rahmen einer Gebetspraxis. Sie dienten weniger der Informationsvermittlung, sondern übernahmen in einem Prozess des Sich-Einfühlens die Rolle eines Mediums für eine spirituelle Lebensgestaltung. Als Lebensbegleiter strukturierten sie den Tag, die Woche, das Jahr sowie das ganze Leben. Um die eigene Gottesfurcht zugunsten der Vorsorge für das himmlische Seelenheil im Zusammenleben zu demonstrieren, wurden die illuminierten Gebetsbücher zu exklusiven sowie repräsentativen Luxusobjekten: Sie wurden zu modisch-performativen Accessoires im Wechselspiel von Sehen und Gesehenwerden. Aufgrund ihres kleinen Formats wurden die wertvollen Bücher in einem Beutel am Gürtel getragen und übernahmen eine vergleichbare Funktion wie heutzutage die Designerhandtaschen.
Die Ausstellung „Text & Spirit“ kam im Rahmen eines Digitalisierungsprojekts zustande. Dabei wurden die Handschriften, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Empfindlichkeit sowie außergewöhnlicher Kostbarkeit bisher selten oder noch nie ausgestellt und erforscht worden sind, in Gänze mit dem Ziel gescannt, sie in Gestalt von Büchern und Buchfragmenten auf der digitalen Museumsplattform öffentlich verfügbar zu machen. Die Schau ist daher auch für eine selbständige Beschäftigung mit dem Thema entlang der Digitalisate mit begleitenden Videointerviews und vertiefendem Literaturangebot angelegt.
Die Ausstellung „Text & Spirit. Erleuchtungsgrafik. Mittelalterliche Handschriften zwischen Alltagspraxis, Luxus und Glaube“ läuft bis zum 22. Juni. Das Museum Angewandte Kunst hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs zusätzlich bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 6 Euro. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist er frei, ebenso für jeden Gast am letzten Samstag im Monat.
Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
D-60594 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (0)69 – 212 340 37 |