 |  | Maurice de Vlaminck, Ruderboot bei Chatou, um 1906 | |
Im Von der Heydt-Museum in Wuppertal herrscht bereits sommerliche Stimmung. Hell strahlende Landschaften mit glitzernden Seen und Flüssen, auf denen sich Wassersportler vergnügen, spielen im Werkschaffen des französischen Malers Maurice de Vlaminck eine zentrale Rolle. Flirrende Einsprengsel in Rotorange und Gelb konterkarieren effektvoll in einem Komplementärkontrast das Blau-Weiß des Wassers und des Himmels, ergänzt von leuchtend hellen grünen Partien. Ungestüm sowie instinktiv sticht die en plein air aufgetragene, skizzenartige Pinselführung mit überlängten Strichen ins Auge, die an impressionistische „Taches“ denken lässt. Doch im Gegensatz zu maßgeblichen Impressionisten fehlen Ausflügler und Staffagefiguren, sind nicht nur Angler, Segler oder Kanuten, sondern auch Dampfer oder Schlepper mit rauchenden Schloten sowie Fabriken am Seine-Ufer in Vlamincks Bilder eingezogen und verweisen damit bewusst auf Wirtschaft und Arbeit.
Das Von der Heydt-Museum hat nun gemeinsam mit dem Museum Barberini in Potsdam die erste Retrospektive des Malers in Deutschland seit seinem Tod im Jahr 1958 realisiert. Als Mitglied der „Fauves“, der Gruppe der „Wilden“, die sich 1905 um Henri Matisse und André Derain scharte, prägte Vlaminck die französische Kunst des frühen 20. Jahrhunderts nachhaltig. Der Kuratorin Anna Storm ist es gelungen, mit der Schau „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ und rund 50 Gemälden zu einer neuen wirkmächtigen Präsenz des Künstlers beizutragen. Hinzu kommen in Wuppertal zehn dialogisch zur Seite gestellte Gemälde aus dem Eigenbestand unter anderem von Pierre Bonnard, Henri Matisse, Pablo Picasso oder Paul Cézanne, die das rein monografische Konzept der ersten Station im Palazzo Barberini nun zugunsten einer gelungenen Einbettung in den zeitlichen Kontext instruktiv ergänzen.
Trotz eines kühlen Blicks gelang es Maurice de Vlaminck, satte Farben zum Klingen zu bringen. Wohl kein zweites Gemälde der Ausstellung, wie die 1905 entstandenen „Boote“, offenbart so offensichtlich diesen Bezug zu musischen Akkorden. Seismografisch gerasterte Wellenformationen ähneln unverkennbar Notationen. In anderen Ansichten strukturieren wuchtige Brücken das Geschehen stakkatohaft. Die Charakteristika der um 1904 bis 1908 entstandenen Ansichten des Seine-Tals sind vor dem Hintergrund von Vlamincks Lebensweg zu verstehen. Geboren am 4. April 1876 in Paris als Sohn eines aus Flandern stammenden Musikinstrumentenhändlers und einer Klavierlehrerin, wuchs er in der Nähe von Chatou auf, wo er die Seine-Landschaft mit dem Rad erkundete. Wie ein Tausendsassa betätigte sich Maurice de Vlaminck zunächst als professioneller Radrennfahrer, Boxer, Romanschriftsteller, Soldat und Violinist, ehe er im Jahr 1900 André Derain kennenlernte, der ihn darin bestärkte, Maler zu werden. Zwar nahm er privaten Zeichenunterricht, blieb aber Autodidakt ohne Akademieausbildung.
Wilde malerische Gesten und kräftiges Kolorit prägen seine frühen Gemälde, mit denen die Hauptausstellung einsetzt. Schon im Jahr 1905 konnte Vlaminck fünf eigene Werke im Pariser Salon d’Automne in einem Raum zusammen mit Bildern von Charles Camoin, André Derain, Albert Marquet und Henri Matisse präsentieren, darunter auch das in Wuppertal gezeigte Bild „Park in Carriéres-Saint-Denis“. Es besticht durch kühl leuchtende, intensive Farben, die das Publikum damals schockierten und Kritiker brandmarkten. Rasch verfestigte sich der Begriff „Fauves“ für die Künstler. Doch nun war der Durchbruch geschafft, und Maurice de Vlaminck konnte von seiner Kunst leben. Schon 1912 war er auf der Kölner Sonderbundausstellung vertreten. Ein Jahr zuvor erwarb August von der Heydt das erste Gemälde Vlamincks für die Museumssammlung, ein Stillleben, das nun der Schau als Label dient. Später sollten noch vier weitere Arbeiten von ihm den Weg in das Museum finden, von denen zwei 1937 im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ verlorengingen. Vlamincks letzte Retrospektive in Deutschland fand 1929 in der Düsseldorfer Galerie Flechtheim statt.
Die in fünf Raumkapitel griffig gegliederte Kernschau widmet sich zunächst verschiedenen Ansätzen und Einflüssen, die die Abkehr von den akademischen Regeln und vom abbildenden Charakter der Farbe verfolgen. Neben pointillistischen Einschlägen sticht insbesondere die Inspiration durch den von Maurice de Vlaminck hochverehrten Vincent van Gogh ins Auge, die im Gemälde „Häuser in Chatou“ mit seiner extrem übersteigerten Farbigkeit und den quirlig gebogenen, langen und dicken Pinselstrichen besonders zum Ausdruck kommt. Um 1908 ebbte mit dem Aufkommen des Kubismus in Frankreich der Fauvismus ab. Speziell in Vlamincks Stillleben zeichnen sich in der Folge Veränderungen ab. Eine zurückgenommene, von Blau beherrschte Farbpalette, dunkleres Kolorit oder wenige nahsichtig eingesetzte Dinge verdeutlichen das Experimentieren mit Raum und Farbe, das auch das Schaffen seiner Zeitgenossen bestimmte.
Im dritten Abschnitt werden die nach 1906/07 eintretenden Veränderungen ebenfalls deutlich. Der von Cézanne und Picasso vorgegebene Trend schlägt sich bei Maurice de Vlaminck nieder. Das leuchtende kontrastreiche Kolorit fehlt nun, die Behandlung von Räumen orientiert sich eng an Bildern Cézannes. Nur allzu offensichtlich verwendet Vlaminck im Gemälde „Opium“ aus dem Jahr 1910 eine kubistische Figuration. Nach wiederum voller Leuchtkraft glitzernden und nachhaltig vom Impressionismus gestalteten Flusslandschaften aus den Jahren um 1905/06 mündet die thematisch wie chronologisch gegliederte Auswahl im fünften Saal in Vlamincks Spätwerk. Der Erste Weltkrieg entfachte erneut einen stilistischen und motivischen Wechsel. Verschneite Dorflandschaften und Wälder in stark abgedunkeltem Kolorit kennzeichnen die 1920er bis 1950er Jahre. Hinzu kommen derbe bäuerliche Szenen, in lodernden Flammen stehende Gebäude sowie insbesondere Heuschober vor finsterem Gewitterhimmel. Es ist eine sehr düstere, eigenwillige Interpretation des Spätimpressionismus, die zum Abschluss beinahe ein bedrohliches, unheimliches Gefühl hinterlässt. Die letzten Schaffensjahrzehnte des am 11. Oktober 1958 verstorbenen Künstlers sind allerdings noch nicht detailliert erforscht.
In einem vorangestellten Kabinett wird ergänzend die Betroffenheit Vlamincks an der Aktion „Entartete Kunst“ thematisiert, gleichfalls aber auch dessen Anbiederung an den Nationalsozialismus und sein Lob für deren Kulturpolitik. Im Jahr 1941 nahm er an einer vom Propagandaministerium ausgerichteten Deutschlandreise teil. Werke Maurice de Vlamincks wurden von Arno Breker erworben, der 1943 auch eine Porträtbüste von ihm schuf. Zudem gehörte Vlaminck 1942 dem Ehrenkomitee der großen Pariser Breker-Schau an und schloss sich Brekers Schmähungen gegenüber Pablo Picasso an.
Intelligent vom Herzstück der Ausstellung in zwei Kabinetten abgegrenzt, kontextualisieren eine Auswahl französischer Grafiken der losen Gruppe der „Nabis“ sowie expressionistische Papierarbeiten der 1905 gegründeten Künstlergemeinschaft „Brücke“ die Arbeiten Vlamincks, die hinsichtlich der Wirkung der Farbe Vorbildfunktionen für beide Bewegungen einnahmen. Gelegenheit zum weiteren Aufatmen nach dem finsteren Ende im Schaffen des Franzosen bieten großformatige Gemälde neuer wilder Malerei. Humorvoll und unbekümmert ins Bild gesetzte Alltagsmotive von Dieter Krieg etwa überführen auf bezeichnende Art und Weise in ihrer kraftvoll betonten, heftig anmutenden Malweise die ungestüme Kunst Vlamincks und der Fauves ironisch in die Jetztzeit.
Die Ausstellung „Maurice de Vlaminck. Rebell der Moderne“ ist bis zum 18. Mai zu besichtigen. Das Von der Heydt-Museum hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Prestel Verlag erschienen, der im Museum 34 Euro kostet. |