Stuttgart erwirbt ätherische Arbeit von Doris Salcedo  |  | Doris Salcedo, Disremembered XV, 2023/24 | |
Die Staatsgalerie Stuttgart konnte mit Hilfe ihres Freundeskreises das Werk „Disremembered XV“ von Doris Salcedo erwerben. Das aus weißer Rohseide geschaffene lange hemdförmige Kleidungsstück schimmert durchsichtig. Zum Saum und den Ärmelborten hin hat Salcedo das Hemd durch feine, quer gelegte, immer dichter werdende Nadeln bestückt. Schließlich verdunkeln die 12.000 bis 15.000 gebrannten Nadeln den weißen Stoff zu einem Grauton. Der Neuzugang von 2023/24, der für die Staatsgalerie als Auftragswerk entstand, ist Teil der gleichnamigen Serie, für die Doris Salcedo langjährige sozialpolitische Recherchen mit persönlichen Erfahrungen ihres Lebens in Kolumbien verbunden hat.
Die Serie entstand aus Begegnungen der Künstlerin mit amerikanischen Müttern, die ihre Kinder durch Waffengewalt verloren haben. Indem Salcedo für die Werkserie die Fragilität eines Hemdes wählt, das aus Seidenfäden und unzähligen Nadeln besteht und so zusammengehalten wird, erinnert sie an das Leiden der Überlebenden, jedoch nicht nur an den verheerenden Verlust, sondern auch an den Mangel an Empathie und die Reaktion der Gesellschaft. Die skulpturale Textilarbeit erinnert an das traditionelle Weben von Leichentüchern und ist hier ein Akt der Verehrung für einen geliebten Menschen. Gleichzeitig ist die zarte Schönheit zweischneidig, da das Kleidungsstück mit den vielen Nadeln für den Träger eine Qual wäre. Hierbei könnte man beinahe von einer „bösartigeren Version des traditionellen Büßerhemds“ sprechen, so die Mitteilung des Museums.
Doris Salcedos „Disremembered XV“ ist ab sofort in der Sammlung der Staatsgalerie zu sehen und tritt in einen Dialog mit Teresa Margolles’ Wandarbeit „Das schwarze Leichentuch“. Deutschlandweit handelt es sich bei diesem Ankauf erst um den zweiten Erwerb eines Kunstwerks der international ausstellenden Salcedo für die Sammlung eines öffentlichen Museums. Die 1958 in Bogota geboren Künstlerin, die vorwiegend mit Skulptur und Installationskunst arbeitet, wurde 2024 mit dem Praemium Imperale geehrt, einem der höchst dotierten Kunstpreise weltweit. Das Stuttgarter Werk zog zuletzt weitere Aufmerksamkeit auf sich, da es als Abbildung auf der Einladung zur Preisverleihung des „Whitechapel Art Icon Award“ zum Einsatz kam. Diese Auszeichnung wird Doris Salcedo am 3. März übergeben. |