 |  | Hans Thoma, Blick ins Tal, 1904 | |
Im südlichen Schwarzwald krönen dichte Tannenwälder bergige Höhen, die sanft zu sprudelnden Bachläufen abfallen. Windschnittig fügen sich wuchtige Eindachhöfe in die Weidehänge. Weit herunter gezogene Dächer sollen vor Stürmen, Schnee und Sonne schützen. Holzverkleidung, umlaufende Balkone, kleinsprossig unterteilte Fenster und vom Hang abgehende, direkt in die Stallungen führende Zufahrten sind ihnen eigen. Lebenslang sollte diese Landschaft den Maler Hans Thoma inspirieren. Sein Geburtshaus, ein eben solcher Hof aus dem Jahr 1750 in Bernau-Oberlehen, existiert noch heute und wird von den Nachfahren bewohnt. Leider ist die holzvertäfelte Stube, in der er am 2. Oktober 1839 das Licht der Welt erblickte und in der Dokumente zum Leben und Werk ausgestellt sind, nur bei besonderen Anlässen zu besichtigen. Dafür weist ein 1912 aufgestellter Gedenkstein vor dem Haus auf Thoma hin. Im Bernauer Rathaus hingegen stellt eine neu arrangierte Dauerausstellung Leben und Werk des prägenden deutschen Landschafts- und Porträtmalers vor, der im November 1924 in Karlsruhe nach einer beachtlichen Karriere starb.
Die von Margret Köpfer neu gestaltete Präsentation im Bernauer Hans-Thoma-Kunstmuseum stellt zunächst in der Form eines Zeitstrahls Lebensstationen vor dem Hintergrund paralleler Zeitgeschehnisse vor. Nach mehreren abgebrochenen Lehren als Lithograf, Dekorations- oder Uhrenschildmaler gelang dem in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Sohn eines Holzarbeiters dank eines Stipendiums im Jahr 1859 die Aufnahme des Studiums an der Großherzoglichen Kunstschule in Karlsruhe unter deren Direktor Johann Wilhelm Schirmer. Von 1877 an war Thoma 22 Jahre lang in Frankfurt am Main ansässig. Der Bewunderer von Gustave Courbet und William Turner erfuhr mit seinen vom Hochschwarzwald beeinflussten Sujets zunächst viel Ablehnung. Trotz vieler Malaufträge seitens des Großbürgertums und Ausstellungen musste er sehr um seine Reputation kämpfen, ehe ihm 1890 der Durchbruch mit einer Soloschau im Münchner Kunstverein gelang. Mit der Berufung zum Direktor der Großherzoglichen Gemäldegalerie in Karlsruhe und zugleich zum Professor an der Großherzoglichen Kunstschule im Jahr 1899, Aufgaben, die er bis 1910 respektive 1919 ausübte, verlegte er seinen Wohnsitz in die badische Hauptstadt. Hier gründete er 1901 die berühmte Majolika-Manufaktur.
Über 50 Gemälde, Grafiken, kunsthandwerkliche Dinge wie Keramiken oder geschnitzte Stühle vermitteln neben persönlichen Schriftstücken in angrenzenden Vertiefungsräumen ein umfassendes Bild von Hans Thoma. 1949 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Ludwig Baur gegründet, kann das Thoma-Museum seinen 75. Geburtstag feiern und inzwischen auf rund 2.000 Werke im eigenen Fundus zurückgreifen, darunter rund 600 von Thoma geschaffene Arbeiten. Die klar gegliederte Neukonzeption behandelt Themen wie Tiere, Techniken, Schwarzwaldbilder oder Reisen, die ihn nach Paris, England, in die Schweiz, die Niederlande sowie allein sieben Mal nach Italien führten. Hier entstanden Gemälde wie die „Zitronenverkäuferin“ oder die „Neapolitanerin“. Es sind aus dem Alltag gegriffene Szenen mit blauem Himmel und anmutig gewinnendem Gesichtsausdruck der Frauen. Neben großformatigen Landschafts- und Genrebildern mit Motiven aus dem Schwarzwald, etwa ein Hochzeitszug oder eine Heuernte, bestechen insbesondere Porträts seiner geschätzten Mutter, die Thoma eindrucksvoll mit Kopftuch und tief zerfurchten Gesicht, zumeist in der Bibel lesend, einfing, oder auch witzige Tierzeichnungen wie die zweier Hähne, deren doppeldeutige Gesichter dezent zum Ausdruck gebrachten Humor offenbaren.
Ein weiterer Aspekt ist Thomas Beschäftigung mit Richard Wagner, dessen Leibarzt Otto Eiser den Maler in Kreise des Komponisten einführte und zur Gestaltung von Kostümen für den „Ring der Nibelungen“ verhalf. Diese Kontakte und enge Beziehungen zu Henry Thode, dem Direktor des Städelschen Kunstinstituts, sowie der Unternehmer- und Kunstsammlerfamilie von Eduard Küchler signalisieren Thomas enge Bindungen zu politisch-weltanschaulichen Kreisen aus antisemitisch eingestellten Personen, die von Zitaten aus Briefen eindeutig belegt werden. In der angegliederten Kabinettschau „Marcel van Eeden 1898“ beleuchtet der Hans-Thoma-Preisträger 2023 die Reise Thomas in die Niederlande im Jahr 1898. Die von ihm besuchten Orte fotografierte Marcel van Eeden und hielt sie auf Gummidrucken fest, kombiniert mit Zitaten von Thoma und seinem Umfeld, die eindeutig völkisch-nationale, antisemitische Aussagen enthalten. Dies und die antifortschrittliche Haltung des Namensgebers führten im vergangenen Jahr zur Umbenennung des seit 1949 verliehenen Hans-Thoma-Preises in „Landespreis für Bildende Kunst Baden-Württemberg“.
In einem separaten Saal vereinen sich Werke aller bislang ausgezeichneten 49 Preisträger, darunter so renommierte Künstler und Künstlerinnen wie Karl Albiker, Otto Dix, Werner Pokorny, Anselm Kiefer, Dieter Krieg, Silvia Bächli, Thomas Ruff, Karin Sander, Tobias Rehberger oder Christa Näher. „Blicke auf Hans Thoma“ lautet der Titel einer separaten Sonderschau zum 100. Todestag, die eine Reihe von Porträts und Landschaftsbilder aus allen Epochen seiner über 60jährigen Schaffenszeit vereint. Keinesfalls versäumen sollte man einen Blick in die nahe katholische Kirche St. Johann, für die Hans Thoma 1912 zwei Seitenaltarbilder mit heimatlichen Motiven schuf, obgleich er 1877 im Rahmen der Eheschließung mit der evangelischen, 19 Jahre jüngeren Cella Berteneder zum protestantischen Glauben konvertiert war.
Auch Freiburg beschäftigt sich mit Thomas nationalistischem Gedankengut
In die Serie der Gedenkausstellungen in Bernau, Karlsruhe und Konstanz reiht sich zudem eine umfassende Schau im Freiburger Augustinermuseum unter dem Titel „Hans Thoma – zwischen Poesie und Wirklichkeit“ ein. Hierzu hat der Kurator Felix Reuße 210 Exponate versammelt, die in einem Dutzend Kapiteln die charakteristischen Aspekte des Werkschaffens speziell am Beispiel von Grafiken vorstellen, ergänzt von ausgewählten Gemälden, kunsthandwerklichen Objekten oder Fotografien. Weitgehend realistisch illustrierte Landschaftsbilder leiten die Auswahl ein. Täler und Wiesen rund um Bernau sind Kernthemen vom Thomas Schaffens, daneben Gegenden vom Hochrhein oder Aufenthalte in den Alpen sowie Italien. Geschult an der französischen Freilichtmalerei, gelang es ihm, deren spezifische Merkmale herauszuarbeiten und in eine unverwechselbare Bildsprache zu überführen, in der neben den realistischen Tendenzen französischer Prägung auch Anklänge an den Jugendstil oder symbolistische Einflüsse auf originelle und poetische Weise, oft derb und kraftvoll, verschmelzen.
Wenn es um Themen des bäuerlichen Lebens geht, wie etwa den Pfeife rauchenden Bauern oder den „Mondscheingeiger“, idealisierte Hans Thoma das naturhafte, volkstümliche Leben bewusst zu Augenblicken des Innehaltens als Gegenbild zur Stadtgesellschaft. Den Kern seiner Porträts machen Darstellungen seiner Mutter und Schwester aus. Realistisch und ungeschönt bildete er Freunde und Auftraggeber vor reduziertem Hintergrund ab, darunter auch Prominente wie den badischen Großherzog Friedrich I. Später inszenierte sich der von ausdrucksstarker Physiognomie mit hohem Wiedererkennungswert gekennzeichnete Künstler mit markantem bärtigem Kopf in grafischen Selbstbildnissen.
Entwürfe für diverse kunstgewerbliche Bereiche wie Stuhllehnen, Betten, Blasebalge, aber auch selbst entworfene Bilderrahmen oder Majoliken leiten zu mythologischen Fabelwesen über. Inspiriert von Italienreisen und seinem Malerfreund Arnold Böcklin, bevölkern ab den 1870er Jahren dämonische Mischwesen seine Landschaften. Der Deutschrömer Hans von Marées regte Thoma darüber hinaus zu nackten Aktfiguren in friedlichen Landschaften oder in sich gekehrten Musikern an, die ideale Urzustände in formal ausgeglichenen Kompositionen, klaren Strukturen und harmonischer Stimmung verkörpern. Wie sehr ihm zeitlebens die Religion Halt und Orientierung bot, zeigen an altdeutsche Vorbilder der Renaissance anknüpfende Bildthemen, unter anderem die Anbetung und Passion Christi.
Ein eigenes Kapitel behandelt das folgenreiche Verhältnis zu Richard Wagner und den von völkisch-nationalistischem Gedankengut geprägten Bayreuther Kreisen. So endet die Schau des volkstümlichen Realisten mit neuromantischen Zügen in einer kritischen Sicht auf sein Werksschaffen, die Marcel van Eeden hier noch einmal gewandt und stimmig auf den Punkt bringt. Eedens Gummidruckabzüge vermitteln eine düstere, Unheil andeutende Atmosphäre in Form dunkler, leicht unscharfer Bilder. Dies zeigt: Thomas ruhige, kontemplative Szenerien sind auf unerwartete Weise politisch und regen zu Überlegungen über Vergangenheit und Gegenwart an.
Die Ausstellung „Blicke auf Hans Thoma“ läuft bis zum 4. Mai. Das Hans-Thoma-Kunstmuseum hat mittwochs bis freitags von 10:30 bis 12 Uhr und von 14 Uhr bis 17 Uhr, samstags, sonn- und feiertags von 11:30 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 6 Euro, ermäßigt 2 Euro.
Hans-Thoma-Kunstmuseum
Rathausstraße 18
D-79872 Bernau im Schwarzwald
Telefon: +49 (0)7675 – 16 00 40
Die Ausstellung „Hans Thoma. Zwischen Poesie und Wirklichkeit“ ist bis zum 30. März zu sehen. Das Augustinermuseum in Freiburg öffnet täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, freitags bis 19 Uhr. Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro; für Personen unter 27 Jahre ist er frei. Der Ausstellungskatalog kostet im Museum 26,90 Euro. |