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Diego Marcon präsentiert in der Kunsthalle Wien seinen neuen Film „La Gola“ und lässt darin ein hyperrealistisches Paar Menschenpuppen auftreten, das aneinander vorbeiredet

Im Antagonismus der Gefühle



Diego Marcon, La Gola, 2024

Diego Marcon, La Gola, 2024

Den seit einiger Zeit gern benutzten Begriff „Uncanny Valley“, im Englischen für „Unheimliches Tal“, hat der japanische Roboterforscher Masahiro Mori bereits im Jahr 1970 geprägt. Er benennt eine der bekanntesten Ideen aus dem Bereich der digitalen Ästhetik und definiert eine Akzeptanzlücke des Menschen im Umgang mit künstlichen Lebensformen: solange sich Roboter oder digitale Assistenten deutlich von Menschen unterscheiden, akzeptieren wir sie umso mehr, desto fortgeschrittener ihre Fähigkeiten sind. Doch wenn sie uns fast ebenbürtig zu werden drohen, erzeugt diese verschwimmende Grenze die Tendenz, ein Unbehagen zu empfinden. Dieser Effekt ist nicht linear, das heißt, er setzt erst ein, wenn ein Objekt eine bestimmte Schwelle der Wahrhaftigkeit überschreitet.


Mit Akzeptanzlücken im Bereich der bildenden Kunst arbeitet beispielsweise Jordan Wolfson, der mit seinen animatronischen Figuren samt ihren furchterregenden Gesichtern die Abgründe der menschlichen Seele darzustellen sucht. Stefan Kaegi von dem Kollektiv Rimini Protokoll und der Dramatiker Thomas Melle haben die Bezeichnung 2021 für eine Performance mit zwei Automatendoubles verwendet, ebenso die New Yorker Autorin Anna Wiener für ihren 2020 erschienenen Bestseller „Uncanny Valley: A Memoir“, und Gisèle Vienne, deren Kunst sich mit Gewalt an Jugendlichen und Kindern durch autoritäre Dominanz von Erwachsenen bis zum sexuellen Missbrauch und Inzest beschäftigt, war mit ihren Inszenierungen lebensgroßer Puppen ein verstörendes Highlight der vergangenen Art Week in Berlin.

Auch die Figuren des 1985 in Busto Arsizio in der Lombardei geborenen Medienkünstlers Diego Marcon tummeln sich bevorzugt im „Uncanny Valley“. Eine der beunruhigendsten Interpretationen, die 2022 auf der Biennale von Venedig zu erleben waren, schuf Marcon 2017 mit „The Parents Room“. Nun präsentiert die Britin Michelle Cotton, die seit Sommer 2024 die künstlerische Leitung der Kunsthalle Wien übernommen hat, die erste Einzelausstellung von Diego Marcon in Österreich. Die Ausstellung, die im vergangenen Jahr in einem anderen Setting bereits in Hamburg zu sehen war, verwandelt das Erdgeschoss der Kunsthalle im Museumsquartier in ein leuchtend rot gewandtes Kino zur Präsentation seines aktuellen Films „La Gola“.

Ausgangspunkt von „La Gola“, das im Italienischen für „Hals“ oder „Kehle“ steht, ist der Briefwechsel zwischen den Protagonisten Gianni und Rossana, eine Korrespondenz, die den Film strukturiert. Im Verlauf von insgesamt acht Briefen, die aus dem Off zu hören sind, schwärmt Gianni von den Fähigkeiten eines Kochs namens Baptiste und beschreibt die aufeinanderfolgenden vier Gänge eines exquisiten Menüs, während Rossana in vier Botschaften bildhaft und äußerst detailliert die körperlichen Leiden und den fortschreitenden gesundheitlichen Verfall ihrer Mutter schildert. Verkörpert werden die Charaktere durch zwei hyperrealistische lebensgroße Puppen, die nahezu regungslos dargestellt sind. Allein ihre Mimik, die Marcon mittels digitaler Bildsynthese modelliert und animiert hat, gibt vage Auskunft über ihren Gemütszustand. Gleichwohl bleibt offen, wo und über welche Zeitspanne die Briefe entstanden und in welcher Beziehung die beiden zueinander stehen. Begleitet wird das Melodram durch eine musikalische Komposition von Federico Chiari, die in der Kathedrale von Bergamo auf einer von Pietro Corna 2010 erbauten Orgel aufgenommen wurde, einem Instrument, das sich von zwei Spieltischen aus anspielen lässt.

In dem circa zwanzigminütigen Film kommen Gianni und Rossana abwechselnd zu Wort. In zweimal vier verschiedenen Einstellungen fokussiert die Kamera auf die Gesichter der beiden, während ihre Briefe an den jeweils anderen vorgelesen werden. Auf der bildlichen Ebene passiert in den kurzen Sequenzen kaum etwas. Gleichwohl gelingt es Diego Marcon, ein verwobenes Geflecht von Beziehungen freizulegen, das durch Verpflichtungen und Genuss charakterisiert wird und das die Betrachter*innen in ein Wechselbad divergierender Stimmungen und Emotionen eintauchen lässt.

Erzählt in frontalen Close-ups, schwärmt Gianni, der im Anfangsbild beschienen von Sonnenlicht mit geschlossenen Lidern im Sessel sitzend inmitten eines blühenden Gartens zu sehen ist, von den Fähigkeiten des Kochs und beschreibt die Abfolge des Menüs, das er verkosten durfte. Rossana hingegen dokumentiert in durchwegs nächtlichen Einstellungen den zunehmenden Verfall ihrer Mutter. Diese liegt im Sterben, und Rossana begleitet ihre letzten Stunden, auch wenn es der Tochter offensichtlich schwer fällt. Mit Hingabe versorgt sie Körperflüssigkeiten, Wunden und Ausschläge, gibt der Bettlägerigen zu trinken.

Die Briefe von Gianni und Rossana sind Zeugnis unterschiedlicher Lebensrealitäten, deren Antagonismus die Dialektik des Films ausmacht. Auf der einen Seite Schwelgerei, auf der anderen Verzicht und Entsagung. Mit „La Gola“ greift Diego Marcon auch gängige geschlechterspezifische Rollen auf. Die Tochter opfert sich auf und widmet sich ganz der Pflege der Mutter. Der Mann schwärmt, in Tagträumen schwelgend, über die erlebten lukullischen Genüsse. Diese charakterliche Polarität macht Marcon auch kinematografisch erlebbar. Giannis Gesichtsausdruck ist sanft und milde, in warmem Pastell gezeichnet. Rosanna hingegen erscheint zunehmend verzweifelt, aus den vor Schrecken weit aufgerissenen Augen rollen Tränen, ihr blasses Gesicht, halb verdeckt, wird vom Blitz des immer stärker um sie tobenden Gewitters geisterhaft beleuchtet.

Die Figuren sind realistische Puppen, die in der Postproduktion digital bewegt wurden, wenn auch nur sehr wenig. Während die Lippen durchweg geschlossen bleiben, bewegen sich Augen und Lider. Zusätzliche Irritationen schafft Marcon durch Farbkorrekturen, wenn er zum Beispiel für die Pupillen von Rossana das gleiche Blau wie für die Bettwäsche verwendet, die Position der Augen verändert oder Augenbrauen verstärkt. Die Hintergründe sind reduziert, bis auf die anfängliche Gartenszene und den nächtlichen Himmel monochrom gestaltet. Die minimalistische Bildkomposition ermöglicht Diego Marcon eine Fokussierung auf die Briefe, auf die Emotionen, die diese gleichermaßen ausdrücken wie auszulösen vermögen und auf die Gesichtsausdrücke der Figuren, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Giannis genüssliches Schmunzeln und Rossanas erschöpfte Trauer. Durch genaue Beobachtung von Stimmungen, Gesten und divergierenden Gefühlen und deren spektakuläre Übertragung auf die Puppen erzeugt Marcon Hybride, die real und zugleich künstlich erscheinen: Wesen, die mehr Formkörper der Emotionen als individuelle Personifikationen zu sein scheinen.

Die Figuren monologisieren, ohne die Befindlichkeiten des Anderen zu reflektieren. Gleichzeitig weisen die minutiösen Beschreibungen des Erscheinungsbildes von Speisen und Körperoberflächen, die intensiven Schilderungen der jeweiligen Sinneseindrücke durch Aromen und Geruch, von Nahrungsaufnahme und Ausscheidungen, von kulinarischer Schöpfung und körperlichem Verfall drastische Divergenzen aber auch eine überraschende Parallelität auf. Unermüdlich spielt Marcon mit der Dualität menschlicher Wahrnehmung und provoziert, dass man die zwischen Genuss und Grauen changierenden Extreme mit zu sehen, mit zu riechen glaubt.

Die raren, wenngleich liebevollen und sehnsüchtigen Anreden und Grußformeln von Gianni und Rossana verändern sich im Laufe des Briefwechsels. Während er die goutierten Gerichte detailliert und den Zusammenklang der einzelnen Ingredienzien sinnlich beschreibt, sind seine kurzen Nachfragen und Liebesbekundungen an die Frau floskelhaft und offenbaren kein wirklich Interesse an den Befindlichkeiten der Geliebten und ihrer Mutter. Erst im vierten Brief und nach der Beschreibung des fulminanten Desserts richtet er in frappierender Egozentrik und teilnahmslos an derer Situation einen „süßen Kuss“ an Rossana und ihre Mutter.

Der Inhalt der Briefe von Rossana hingegen ist geprägt von detaillierten Beschreibungen der kontinuierlichen Verschlechterung der Verfasstheit der Mutter und von sich selbst, von Sorge und Angst. Ihr Zustand lässt es anfangs noch zu, dem Geliebten zu schreiben, dass sie viel an ihn denke und sie sich danach sehne, von ihm umarmt zu werden. Den dritten Brief beendet Rossana nur mehr mit einem lapidaren „Ciao“ und im letzten Schreiben fehlt der Abschiedsgruß ganz. Die Schilderung einer Traumsequenz, in der die Mutter Rossana erscheint, und ihr Erschrecken, als sie diese beim Aufwachen barfuß am Fenster stehen sieht und der verschreckten Tochter antwortet, dass sie „ihr Bündel schnüre“, verunmöglichen Rossana einen Abschiedsgruß.

Diego Marcon greift auf bekannte Sujets aus Literatur, Film und Kunstgeschichte zurück und kombiniert detaillierte Schilderungen von Küche und Krankheit mit einer aufwendigen und energetischen Partitur. Dabei nutzt er Sprache, Stimmen und Musik, um eine dramatische Spannung zu erzeugen. Zentral sind für ihn Struktur, Syntax und Rhythmus von Sprache und die Mehrdeutigkeit von Wörtern. Allein die Ambiguität des Titels „La Gola“ macht deutlich, welchem Reichtum an divergierenden Bedeutungen die italienische Sprache für den Begriff bereit hält: golosità: Gefräßigkeit – avere la gola arsa: eine trockene Kehle haben – avere un nodo in gola: den Tränen nahe sein. Motive, Farben, Klänge werden wiederholt und in neue Zusammenhänge gebracht. So verweist die Übersetzung von Orgel ins Italienische „organo“ wiederum auf das Organ bzw. den Körper.

Durch geschickte Konfrontation der beiden Charaktere und die Demonstration ihres gegenseitigen Unvermögens, der Gestimmtheit des anderen Bedeutung zu schenken, gelingt Diego Marcon ein tiefsinniges Dokument der Leere, das er durch szenische Gegenüberstellungen, den Kontrast von Autonomie und Abhängigkeit der Figuren, Genuss und Unbehagen als wohldosierte Ingredienzen und das Wechselspiel von Tag und Nacht verstärkt – ein „modus procedendi“, der im Crescendo und Decrescendo sowohl musikalisch als auch in medizinischer Hinsicht eine Entsprechung findet.

Die unheimlichen hybriden Charaktere und ihr beunruhigender Mangel an Empathie tragen zur Zweideutigkeit von „La Gola“ bei. Diego Marcon erzeugt eine Ambivalenz in Bezug auf die Menschlichkeit seiner Subjekte und ihren offensichtlichen Mangel an Gefühlen füreinander. Voller Dualismus und kontrastierenden Elementen fügen sich Momente der Poesie, von Genuss, Traurigkeit und Abscheu zu einem Konglomerat der Mehrdeutigkeit, einem narrativen Mittel und Instrument der Kritik, das eine Situation erzeugt, die hintergründig über unsere Zeit räsoniert.

Die Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“ ist bis zum 2. Februar zu sehen. Die Kunsthalle Wien hat dienstags bis sonntags von 10 Uhr bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 9 Euro; für Personen unter 19 Jahren ist er kostenlos. Die Ausstellung wird von einem Buch begleitet, das Produktionsbilder, das Drehbuch des Films sowie Auszüge aus der Partitur und speziell in Auftrag gegebene Texte enthält. Es kostet 25 Euro. Zudem liegen zwei limitierte Editionen zum Preis von 35 Euro respektive 100 Euro vor.

Kontakt:

Kunsthalle Wien

Museumsplatz 1

AT-1070 Wien

Telefon:+43 (01) 521 891 201

Telefax:+43 (01) 521 891 217

E-Mail: office@kunsthallewien.at

Startseite: www.kunsthallewien.at



14.01.2025

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Jacqueline Rugo

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Variabilder:

Diego Marcon, La Gola, 2024
Diego Marcon, La Gola, 2024

Variabilder:

Diego Marcon, La Gola, 2024
Diego Marcon, La Gola, 2024







Diego Marcon, La Gola, 2024

Diego Marcon, La Gola, 2024

Diego Marcon, La Gola, 2024

Diego Marcon, La Gola, 2024

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

in der Ausstellung „Diego Marcon. La Gola“

Diego Marcon, La Gola, 2024

Diego Marcon, La Gola, 2024




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