| | Bruno Goller, Frauenkopf, 1957 | |
Ausgestreckt auf einem Sofa und umfangen von einem Netz ornamentaler Formen, schaut ein Uhrmacher auf die Wand seines Verkaufsraumes. Man könnte annehmen, dass die Aufmerksamkeit dem zappelnden Ballett der Uhren und damit dem Beruf gilt. Doch sein Blick ruht auf einem kleinen kecken Frauenkopf, der etwas dreist über einer der Uhren hinwegschaut. Dessen unwiderstehliche Anziehungskraft katapultiert den braven Uhrmacher gedanklich aus Raum und Zeit. Die Sehnsucht nach ewiger Liebe lässt die Uhren verstummen. In der originellen Art eines Stilllebens ist kein Ticken mehr vernehmbar.
Das 1949 von Bruno Goller gemalte Bild offenbart markante Charakterzüge des Düsseldorfer Künstlers und markiert eine neue Ausrichtung weg von narrativen Elementen hin zur Wirkungsmacht von Dingen. Subtile erzählerische Momente verschwinden ebenso nahezu vollkommen aus seinen Bildern wie etwa Darstellungen männlicher Personen. Typisiert durchziehen Gegenstände Gollers Werke, die aus Erinnerungen entspringen oder enge Korrespondenzen zu seinem privaten Leben aufweisen. Katzen, Ohren, Hüte, insbesondere durch eine magische Präsenz auffallende Frauen begegnet man an vielen Stellen seiner Kunst. Überwiegend sitzen sie in einem Rahmen, aus dem sie gelegentlich ausbrechen, ja sogar den Bildrahmen überschreiten.
Bruno Goller zählt zu den Einzelgängern der Kunstwelt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der dennoch eine große Wirkung ausübte. Geboren 1901 in Gummersbach im Bergischen Land, nahm er nach dem Besuch der Oberrealschule Unterricht beim Düsseldorfer Landschaftsmaler Julius Jungheim. Ab dem Jahr 1927 war er bis zu seinem Tod 1998 in Düsseldorf ansässig, einer Stadt, die er fast nie verließ. Dort bewegte er sich im Umkreis der Galerie von Johanna Ey, die gelegentlich Werke von ihm erwarb und anbot. Goller wurde Mitglied in der Künstlergruppe „Das Junge Rheinland“ und Mitbegründer der Rheinischen Sezession. Als 1936 in der Düsseldorfer Galerie Rudolf Stuckert seine erste Einzelausstellung stattfand, wurde kein Bild verkauft. Bis zum Ende des Dritten Reiches zog er sich in die Innere Emigration zurück. Ab 1940 musste er Kriegsdienst leisten, 1943 vernichteten Brandbomben sein Düsseldorfer Atelier.
1949/50 nahm Bruno Goller einen Lehrauftrag an der Kunstakademie Düsseldorf wahr, 1953 wurde er dort zum Professor für Malerei berufen. Diese Tätigkeit übte er bis zum Eintritt in den Ruhestand 1964 aus. Seine Klasse für Malerei besuchten so prominente Künstler wie Konrad Lueg, Johannes Geccelli, Jochen Hiltmann, Konrad Klapheck oder Blinky Palermo. Die erste große Retrospektive nach seinem Tod veranstalteten die Krefelder Kunstmuseen im Jahr 2001. Erst jetzt nach fast einem Vierteljahrhundert ehrt das Kunstmuseum Bonn den Maler wieder mit einer großen Werkschau. Dazu hat der Kurator Christoph Schreier 72 Gemälde und 25 Grafiken zu einem chronologischen Parcours vereint, in dem maßgebliche Facetten und dezente Wandlungen aus über 70 Schaffensjahren Gollers einprägsam vorgestellt werden.
Die Auswahl setzt ein mit frühen, ab 1922 entstandenen Werken, die das Kriegsinferno überstanden haben. Dazu gehören Mädchenbildnisse aus den späten 1920er Jahren, die sehnsuchtsvolle und träumerische Blicke der Personen offenbaren. In seiner weiteren künstlerischen Entwicklung sollte Goller zu einer emotionalen Distanziertheit übergehen. Bis weit in die 1950er Jahre ist das Kolorit stark erdfarben getönt. „Das Haus brennt“, ein Ölgemälde aus dem Jahr 1957, bildet den Übergang in strenge kompositionelle Formalisierungen. Einzelne Elemente sind in die Fläche gerückt, in einem organischen Formenspiel steigt der Rauch aus den Fenstern. In der Folge ging Bruno Goller seine Motive noch strenger und formalisierter an und enthob die Thematik einer Zeitgebundenheit. Kühl und etwas abgründig anmutend, fließen viele Dinge in seinen Gemälden zusammenhangslos ein, zu denen Waren aus dem Hut- und Putzmacherladen der als Modistin tätigen Mutter stammen. Dazu kommen karyatidenhafte Frauenfiguren, die Goller durch ihr stelenhaftes Auftreten monumentalisiert und in eine überwirkliche Aura katapultiert, was deren beherrschende Rolle herausstellen soll. Mit blasser Haut und leerem Blick zeigen sie ähnlich Marmorstatuen eine emotionale Distanz.
Seine Motive arrangierte Goller auf einer Farbfläche nebeneinander und trennte sie strikt durch Rahmen. Das evoziert eine Nähe zu Stillleben und Collagen. Trotzdem gelang es dem Künstler, durch farbliche und formale Angleichungen eine bildnerische harmonische Einheit zu erzielen. Goller führte in Zurückgezogenheit ein geordnetes ereignisloses Leben ohne Skandale. Sein scheues introvertiertes Wesen war durch ein bürgerliches dezentes Auftreten in konventionellen Umgangsformen geprägt. Rahmen und geometrische Formen, strukturierte geordnete Systeme spiegeln in seinen Bildern diesen Wunsch nach Ordnung in aufwühlenden Zeiten. Entgegen dem Strom der Zeit blieb er der Figuration treu und schöpfte seine Anregungen aus dem Surrealismus und der Neuen Sachlichkeit. So fand er einen individuellen Ausdruck, der durch eine suggestive, fast magische Aufladung von Bildmotiven überzeugt. Oft stehen Dinge bei ihm wie in einem Setzkasten zusammenhanglos nebeneinander, die gerade in dieser Separierung eine spezielle Ausdruckskraft erlangen. Dies führte später etwa Konrad Klapheck in der ihm eigenen Form fort.
Ab den 1950er Jahren nahmen prägnante Schattierungen, scharfe Umrisse oder mosaikartige Musterungen zu. Hüte, Katzen, Frauen oder Ohren dienten ihm als metaphorische Platzhalter für Erinnerungen. Katzen hielt Bruno Goller zeitlebens als Haustiere und interpretierte sie als Symbol altägyptischer Götter oder bedrohliche Chimären. Eine magische Stille durchzieht manche Aneinanderreihung von Konsumgegenständen, die an Serienproduktionen der Pop Art erinnert. Im Spätwerk dann schwanken die Gemälde zwischen emotionsloser Starre und spielerischer kompositorischer Freiheit. Weniger die Ikonografie, mehr die konkrete Bildgestaltung wandelte sich. Die Palette hellte sich zuletzt sichtbar auf, intensivere, leuchtende Farben und größere Ausmaße lösten ein gedämpftes Kolorit und kleine Formate ab. Blumige und souveräne Bilder führten den Reigen dieses eigenständig und rätselhaft agierenden Malers optimistisch zu einem glücklichen Ende.
Die Ausstellung „Bruno Goller. Retrospektive 1922-1992“ ist noch bis zum 19. Januar 2025 zu sehen. Das Kunstmuseum Bonn hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs bis 19 Uhr geöffnet. Das Haus bleibt an Heiligabend, 1. Weihnachtsfeiertag und Silvester geschlossen. Der Eintritt beträgt 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der im Museum 30 Euro kostet. |