Nan Goldin kontrovers in Berlin | | Nan Goldin, Picnic on the Esplanade, Boston, 1973 | |
Die Wogen um die Eröffnung der Ausstellung von Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie in Berlin haben sich etwas beruhigt, und der Nahostkonflikt überschattet nicht mehr ganz die Inhalte ihrer Kunst. Unter dem programmatischen, fast schon unfreiwillig prophetischen Titel „This Will Not End Well“ präsentiert die renommierte Fotokünstlerin einen Querschnitt durch ihr vielfach ausgezeichnetes, nicht selten kontrovers diskutiertes Schaffen von 1980 bis in die Gegenwart. Gerade zu Berlin hat die 1953 in Washington D.C. geborene Nan Goldin eine sehr persönliche Beziehung. Hier feierte 1986 ihre filmische Diashow „Ballade der sexuellen Abhängigkeit“ seine Deutschland-Premiere und seit 1991 lebte die Künstlerin immer wieder in Berlin. „Ich sage das nicht leichtfertig. Der einzige Ort, an dem ich mich wie ich selbst und wohlfühle sowie echte Liebe für meine Freunde empfinde, ist Berlin“, so Goldin 2010 in einem Interview.
Folglich schließt sich ein Kreis, wenn jetzt Goldins Diashow „Ballade der sexuellen Abhängigkeit“ in einer rund 42minütigen Projektion erneut zu sehen ist. Ihre Diashow „The Other Side“ von 1992-2021 ist ein als eine persönliche Hommage angelegtes historisches Porträt von Goldins Trans-Freund*innen, die sie zwischen 1972 und 2010 immer wieder fotografiert hat. Gesellschaftliche Randthemen sind der rote Faden durch ihr Werk. Speziell die Auseinandersetzung mit der menschlichen Körper und dessen Erfahrungen prägt Nan Goldins Schaffen. Ihre Fotoarbeit „Memory Lost“ von 2019-2021 dokumentiert eine klaustrophobische Reise durch den Drogenentzug und schließt inhaltlich an die gleichaltrige Videoarbeit „Sirens“ an. Diese belegt den Trip einer Drogenekstase und deren bewusstseinserweiternden Verlauf. 2022 wurde Goldin für ihr künstlerisches Wirken mit dem Berliner Käthe-Kollwitz-Preis ausgezeichnet. Im selben Jahr gewann ihre filmische Dokumentation „All the Beauty and the Bloodshed“ beim 79. Internationalen Filmfest von Venedig den Goldenen Löwen.
In der Spaltung der (Kunst-)Welt durch den Gaza-Krieg ist die Retrospektive zum Werk der aus einer jüdischen Familie stammenden Künstlerin am Wochenende vereinnahmt und turbulent eröffnet worden. Wie im Vorfeld erwartet, kam es zu einer massiven Störung der Vernissage. „Ich habe beschlossen, diese Ausstellung als Plattform zu nutzen, um meiner moralischen Empörung über den Völkermord in Gaza und im Libanon Ausdruck zu verleihen“, erklärte eine streitbare Nan Goldin, die die BDS-Bewegung zum Boykott Israels unterstützt, in ihrer rund 14minütigen Eröffnungsrede. Der Künstlerin ging es vor allem darum, die Gräueltaten der israelischen Armee anzuprangern und die deutsche Öffentlichkeit von ihrem israelkritischen Standpunkt zu überzeugen: „Die gesamte Infrastruktur Palästinas ist zerstört worden. Die Krankenhäuser, die Schulen, die Universitäten, die Bibliotheken. Es ist auch ein kultureller Völkermord. Warum kannst du das nicht sehen, Deutschland?“, fragte Goldin.
Wurde ihre Rede von lautstarkem Applaus aus Teilen des Publikums begleitet, brüllten diese Leute die anschließende Ansprache von Direktor Klaus Biesenbach nieder. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), verurteilte dieses Verhalten der Besucher sowie Goldins Rede scharf: „Das ist nicht unser Verständnis von Meinungsfreiheit.“ Und er fuhr fort: „Ich empfinde die von Nan Goldin im Zuge der heutigen Eröffnung ihrer Retrospektive gemachten Äußerungen als unerträglich und durch ihre Einseitigkeit gefährlich verharmlosend.“ Vielleicht kann ja das Symposium „Kunst und Aktivismus in Zeiten der Polarisierung“ vom Sonntag, das von der SPK eigens zur der Goldin-Schau aufgelegt und von dem muslimisch-jüdischen Ehepaar Saba-Nur Cheema und Meron Mendel organisierte wurde, einen Weg aus der Spaltung der Kunstwelt weisen: Ein Tenor war, nicht mehr den radikalen Stimmen die Oberhand gewinnen zu lassen, sondern vielmehr Zwischentöne hörbar zu machen.
Die Ausstellung „Nan Goldin. This Will Not End Well“ ist bis zum 6. April 2025 in zu sehen. Die Neue Nationalgalerie hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr sowie donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 6 Euro. Im Rahmen der Ausstellung erscheint ein Katalog im Steidl Verlag, der im Handel 48 Euro kostet.
Neue Nationalgalerie
Potsdamer Straße 50
D-10785 Berlin
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