| | Claude Monet, Mer agitée à Pourville, 1882 | |
„Ich verweile vor diesen wundervollen Seestücken, auf denen ich zum ersten Mal mit einer solchen illusionistischen Kraft das Anschwellen und die langen Seufzer des Meeres verspüre, das Abfließen des Wassers beim Rückzug der Flut, die graugrüne Färbung des tiefen Wassers und die violette Färbung des flachen Wassers über seinem Sandbett“, schrieb in den frühen 1880er Jahren der damals schon betagte Kritiker und Kunsthistoriker Ernest Chesneau über die Meeresbilder von Claude Monet. Vielleicht hat Chesneau ja Monets „Mer agitée à Pourville“ aus dem Jahr 1882 vor Augen gehabt. Denn in der Tat scheinen seine Gedanken genau auf diese wolkenverhangene Küstenpartie mit einem steil abfallenden Felsen zu passen. Nach einem Besuch bei seinem Bruder in dem kleinen Badeort Les Petites-Dalles am Ärmelkanal im Jahr 1880 ließen Monet die Motive der schroffen Steilküsten in der Normandie während der folgenden Jahre nicht mehr los. Um das Jahr 1882 quartierte sich der Impressionist nahe dem kleinen Fischerdorf Pourville bei Dieppe in einem Hotel ein und erkundete hier die Dynamik der Elemente, erstmals auch im Winter. Aber nur ein Gemälde ist aus dieser an der See besonders bewegten Jahreszeit überliefert: „Mer agitée à Pourville“, das jetzt die Abendauktion bei Lempertz in Köln mit 3 bis 4 Millionen Euro anführt.
Ein deutscher Bewunderer der französischen Impressionisten war Max Liebermann, der bei ihnen den Umgang mit einer flüchtigen Malweise erforschte. So prägt ein flotter Pinselstrich auch seine Spaziergänger in der Parklandschaft „Aus dem Grunewald“ von 1912 (Taxe 200.000 bis 250.000 EUR). Ein Jahr später rückte Liebermann einen „Liegenden Spaniel“ groß ins Bild und verlieh ihm damit portraithafte Züge, die sonst eigentlich dem Menschen vorbehalten sind (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR). Bei Emil Nolde steigert sich dann das Kolorit schon ins Expressive, wenn er etwa um 1930 eine abendliche Marschlandschaft in gesättigten Aquarellfarben aufs Papier bringt (Taxe 100.000 bis 120.000 EUR) oder schon 1913 zwei Heiligenfiguren frontal und mit Öl und grober Pinselführung auf die Leinwand bannt (Taxe 300.000 bis 350.000 EUR). Eine eigene, weniger bekannte Position nimmt Arnold Topp mit seinen aus den Fugen geratenen, fast kubistisch zerlegten Stadtansichten in kräftiger Palette ein, wie es seine „Nächtliche Stadt mit Kirche und Friedhof“ von 1917 präsentiert (Taxe 40.000 bis 50.000 EUR).
Skulptur zum Umschreiten
Auf der Suche nach dem Ursprünglichen entdeckte Paula Modersohn-Becker die Landbevölkerung in Worpswede für ihre Kunst. Die dortigen Leute, häufig platziert zwischen den für die norddeutsche Landschaft typischen Birken, wurden zum bestimmenden Sujet in ihrem Schaffen, so auch 1904, als sie einen „Sitzenden Jungen mit Strohhut unter Birken“ und ein rot gekleidetes Mädchen zwischen den Bäumen empfindsam malte (Taxe 200.000 bis 250.000 EUR). Eine wichtige Position steuert Oskar Schlemmer bei. Seine aus geometrischen Einzelteilen konstruierte „Abstrakte Figur – Freiplastik G“ von 1921/23 gilt als ein Hauptwerk seiner Bauhaus-Zeit und als eine der „interessantesten Figuren der 1920er Jahre“, wie Karin von Maur, die Autorin des Werkverzeichnisses zu Schlemmer, betont. Nur in einer freien Bewegung des Betrachters um die weiße Gipsfigur herum kann sie erfasst werden, wofür bei Schlemmer der Begriff „Freiplastik“ steht. Der Schätzpreis von 300.000 bis 500.000 Euro ist auch der Tatsache geschuldet, dass die Figur lange Zeit als Depositum in der Staatsgalerie Stuttgart stand.
Den Weg zur reinen Form beschritt Ewald Mataré bei seinen Tierplastiken, indem er die äußere Gestalt weitgehend stilisierte und abstrahierte und damit zum Wesen der Tiere vordrang, wie im Jahr 1930 bei seiner Bronze „Grasende Kuh II“ (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Die Vertreter der Neuen Sachlichkeit hielten länger am Gegenstand fest, etwa der früh verstorbene Hannoveraner Maler Friedrich Busack, der 1927 seine zweijährige Nichte als „Mädchen mit Puppe und Windrad“ neben Sonnenblumen darstellte und ihren festen erwartungsvollen Blick fast schon als kleine Erwachsene zum Betrachter richtete (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Neusachliche und surreale Tendenzen kombinierte Rudolf Schlichter 1952 bei dem Portrait seiner Frau „Speddy Schlichter“, die ihre langhaarige Katze Bouille-Bouille liebkost und mit suggestiven Augen aus der mit Traumgebilden angereicherten Weltenlandschaft schaut (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR).
Südamerikanischer Einschlag
Den Übergang in die Nachkriegsepoche markiert diesmal nicht nur das deutsche Informel mit Ernst Wilhelm Nays bunter und freudiger „Figurale in Hellblau“ von 1950 (Taxe 250.000 EUR) oder Emil Schumachers erdverbundener und schrundiger Ölmalerei „Roma VIII“ von 1963 (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR), sondern auch der Südamerikaner Joaquín Torres García, der aus der präkolumbianischen Kunst und der europäisch geprägten, geometrischen Abstraktion einen „Universalismo Constructivo“ entwickelte. Sein auf die Grundfarben Gelb, Rot und Blau reduziertes Gemälde „Construcción con sol y luna“ von 1948 ist eines seiner letzten Werke, rückt eine schematisch aufgefasste menschliche Figur in die Mitte der Komposition und umgibt sie mit altamerikanisch inspirierten Motiven, darunter Sonne, Mond, Fische, Gefäße und Herz (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Mit Willem de Kooning ist ein Vertreter des Abstrakten Expressionismus der USA bei Lempertz zugegen, dessen Papierarbeit mit zwei verzerrten weiblichen Aktgestalten aus den frühen 1940er Jahren von seiner Herkunft bei der menschlichen Figur zeugt (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR).
Den Nouveaux Réalistes ging es dagegen um eine Annäherung an das Reale. Mit neuen Techniken und gefundenen Materialien wollten sie die Realität des täglichen Lebens in die Kunst integrieren. Christo schaffte das mit seinen Verpackungen und Verschnürungen von Alltagsgegenständen, etwa dem „Table empaquetée“ von 1961, der nach einer Rechenmaschine unter Leinenstoff und Plastikfolie auf einem Beistelltisch aussieht (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Nam June Paik, der „Vater der Videokunst“, nutze ab 1963 die neuen technischen Möglichkeiten, um Fernsehbilder und Tonaufnahmen zu modifizieren, eigene Videotapes zu schneiden, mit ihren Bild-, Ton- und Farbqualitäten zu spielen und zu außergewöhnlichen Installationen zusammenzustellen. Fünf Arbeiten aus der Sammlung des Kunsthistorikers Wulf Herzogenrath, einem engen Freund von Nam June Paik, stehen in der Auktion zur Verfügung. Am 12. April 1984 konnte Herzogenrath den Talkmaster Alfred Biolek überzeugen, für seine Sendung „Bei Bio“ satt einer reinen Vorstellung der Kunst Nam June Paiks gleich eine neue Arbeit entstehen zu lassen: die Videoinstallation „Baum der Versuchung“, die nun mit 200.000 bis 300.000 Euro angesetzt ist. Daneben gibt es etwa noch die zweiteilige Videoskulptur „Selbstbildnis/Kopf mit einer Hand“ von 1982 (Taxe 40.000 bis 45.000 EUR) oder das gleichaltrige „Candle TV“, ein Fernsehgehäuse mit mattierter Frontscheibe, in dem schwach eine elektrische Kerze flackert (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR).
Auf zur großen Illusion
Wieder malerisch wird’s mit Gerhard Richter und seiner frühen fotorealistisch verschwommenen Abstraktion „Vorhang“ von 1965 in verschiedenen Graustufen (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR) oder Rainer Fettings wandfüllendem, sechs Meter breitem Museumsformat „Großer Wald“ von 1988 mit untergehender roter Sonne (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Mit seiner Kunst reflektiert Albert Oehlen nicht zuletzt über die Möglichkeiten der Malerei und hat 1985 auf einer quadratischen Leinwand mit einer Wegweiserform die Metallplaketten mit den Aufschriften „Hölle“ und „The Alma Band“ angebracht, zu deren Gründungsmitglieder Oehlen selbst gehörte (Taxe 180.000 bis 220.000 EUR). Zwei visuelle Ebenen überlagerte Sigmar Polke 1993 bei einer titellosen Arbeit: einen gemusterten Stoff, der ihm als Malgrund diente, und die organische, zufällig zerlaufende weiße Übermalung teils mit schwarzen Rasterpunkten (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR).
Georg Baselitz portraitierte 2018 mit „Piet M.“ seinen Malerkollegen Piet Mondrian, aber kopfüber und so verschmiert, dass nur noch der Titel und die Initialen PM auf den großen Abstrakten verweisen (Taxe 450.000 bis 600.000 EUR). Um Illusionismus geht es Karin Kneffel in ihren hyperrealistischen Darstellungen von alltäglichen Gegenständen, denen doch stets ein Moment der Irritation innewohnt. So blickt der Betrachter in einem unbetitelten Diptychon von 2003 aus unterschiedlichen Perspektiven auf zwei weiße Porzellannippesfiguren und einen schwarzen Teppich mit Rankenmuster, das sich jedoch logisch von einem Bildteil zum anderen fortsetzt (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Ein Schlüsselbrett ist Gegenstand von Konrad Klaphecks Gemälde mit dem Titel „671“, der genauso viele Fragen aufwirft wie das rote Band, das sich schwungvoll, fast tänzerisch durch die Schlüsselöffnungen zieht (Taxe 200.000 bis 250.000 EUR).
Der Linsenkasten „Auf Unbekanntes“ von 1978/79 mit seinen musikalisch geprägten Elementen ist wichtiges autobiografisches Zeugnis im Schaffen Mary Bauermeisters. Die Künstlerin widmete ihn der Klarinettistin Suzanne Stephens-Janning, der neuen Lebensgefährtin des Komponisten Karlheinz Stockhausen, mit dem Mary Bauermeister selbst von 1967 bis 1973 verheiratet war, und gab mit ihm in gewisser Weise ihren „Segen“ zur der Verbindung (Taxe 50.000 bis 60.000 EUR). Andere über das Malerische hinausweisende Arbeiten der Auktion sind etwa Ad Dekkers’ minimalistisches weißes rundes Polyesterrelief „Eerste fase van cirkel naar vierkant“ – „Erste Phase vom Kreis zum Quadrat“ – von 1968 für 30.000 bis 50.000 Euro, Norbert Krickes flache, aus Edelstahlrohren verschweißte „Große Flächenbahn“ von 1964 für 350.000 bis 370.000 Euro oder Andreas Gurskys frühe Fotografie „Flughafen, Düsseldorf“ von 1985, die eine gen Himmel blickende Menschenansammlung, aber nicht das Objekt ihres Interesses zeigt (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR).
Die Auktion „Modern / Contemporary Art – Evening Sale“ beginnt am 29. November um 18 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum 28. November täglich von 10 bis 17:30 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.lempertz.com. |