| | Ferdinand Hodler, Genfersee mit Mont-Blanc am frühen Morgen. März, 1918 | |
Es mag Segen oder Fluch von Staaten mit Gebirgen wie der Schweiz sein, dass Menschen aus dem Flachland sich vor allem an die bergige Landschaft erinnern. Schließlich ist ein ganzes Land mehr als nur seine Umwelt, wenn diese auch sehr prägend ist. So kann etwa die Schweiz auf bedeutende Künstler wie Albert Anker, Ferdinand Hodler, die Familie Giacometti oder die Dada-Bewegung aus Zürich verweisen. Schweizer Kunst in ihrer malerischen Breite offeriert nun das Auktionshaus Koller in Zürich, darunter auch ein spätes Highlight von Hodler. Wegen einer verschleppten Lungenentzündung war er im Herbst 1917 gezwungen, sein schlecht beheizbares Atelier im Genfer Stadtteil Acacias zu meiden und in seiner Wohnung am Quai du Mont-Blanc zu bleiben. Diesem äußeren Umstand verdankt sich eine Reihe von Ansichten des Genfersees mit der Alpenkette, die Hodler von seiner Wohnung aus gemalt hat und die zu seinem künstlerischen Vermächtnis geworden sind. In März des Todesjahres 1918 hielt er Ausschau über den „Genfersee mit Mont Blanc am frühen Morgen“. Das azurblaue Gewässer zieht sich grenzenlos über den gesamten Bildvordergrund, gelbe Sonnenstrahlen spiegeln sich im stillen Wasser, und am Horizont erheben sich in dunklerem Blau die Alpen. Scharfkantig mit einer dickeren Kontur gegen das zarte Sonnengelb in Szene gesetzt, scheinen sie unwirklich klein im Vergleich zum hohen weiten Himmel und dem breit gelagerten See. Durch Formwiederholung, Symmetrien und Parallelen verleiht Hodler dem Werk Stabilität und Ruhe. Dafür sieht Koller nun 4 bis 6 Millionen Franken vor.
Natürlich fehlen die Berge anderer Schweizer Künstler*innen nicht, die sich genauso an ihrer Heimat erfreuten. In Clara Porges’ Ölbildern ragen sie wie beeindruckende bunte Knochen oder Zähne in den Himmel. Vielleicht hören Wanderer sogar das freundliche Lachen des „Piz Lagrev“ im Wind, der in der warmen Morgendämmerung der Sonne erstrahlt, während zu seinen Füßen noch verschlafene Nebelschwaden liegen (Taxe 45.000 bis 60.000 SFR). Eine windstille Ruhe in zarten Blaunuancen mit leuchtendem Grün des Bergsees favorisierte Porges im „Cavloccio See mit Piz dei Rossi“ (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR). Eine fruchtbare Kombination aus Gewässer und Gebirge bannte 1927 Giovanni Giacometti im „Blick auf Silsersee von Capolago“ in lichtdurchfluteten Pastelltönen und kräftigem Grün mit breiter Pinselführung auf die Leinwand (Taxe 150.000 bis 250.000 SFR). Dasselbe Motiv aus einer anderen Perspektive thematisierte Gottardo Segantini 1960 im winterlichen „Silsersee mit Blick auf Maloja“. In feiner divisionistischer Tupfentechnik erstrahlt die Schneelandschaft in intensivem Blau und Weiß (Taxe 80.000 bis 120.000 SFR). Giacometti tritt zudem mit einem dichten „Schneefall“ von 1919 an, der die Bedeutung des Lichts in einer Winterlandschaft in feinen Weiß-, Grün-, Blau- und Rosatönen beispielhaft vorführt (Taxe 150.000 bis 250.000 SFR).
Die Schweizer Alpen und weitere Landschaften
Der Winter hatte es auch Cuno Amiet angetan. Seine „Wintersonne“ von 1927 in expressivem Kolorit strahlt weiß gegen den roten Himmel mit grünlichem Beiwerk hinab auf den rosa und im Schatten blau gefärbten Schnee. Das Werk illustriert eindrücklich, wie es Amiet möglich war, sowohl Mitglied der „Brücke“ als auch der „Schule von Pont-Aven“ zu werden (Taxe 160.000 bis 240.000 SFR). Als Schweizer Vielmaler steuert Cuno Amiet mehrere Bilder zur Auktion bei, darunter einen weiteren „Wintergarten“ von 1942 (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR), einen bunten Blumenstrauß von 1931 (Taxe 30.000 bis 50.000 SFR), ein „Blumenstillleben im Atelier“ von 1953 oder den gleichaltrigen, lockeren „Blick aus dem Atelier“ mit Obstschale auf grün belaubte Bäume (Taxe je 20.000 bis 30.000 SFR).
Die romantisch überhöhte Perspektive auf die Berge mit einem winzigen Menschen, der auf einem Felsen im Gebirgsbach sitzt, malte Alexandre Calame 1849 im „Souvenir de Rosenlaui“. Mit seiner von Vertikalen dominierten Komposition steht das Bild exemplarisch für diese Schaffenszeit des Künstlers (Taxe 40.000 bis 60.000 SFR). Der sonnig klare Winter in „Bever mit Blick auf Piz Brinz“ des weniger bekannten Carl Albert von Salis kontrastiert gelbe Dorfbauten samt Kirche mit den violett-blauen Bergen des Hintergrunds (Taxe 8.000 bis 12.000 SFR). Jüngeren Datums sind die farbintensiven Arbeiten von Walter Ropélé, der sich 2022 „Im Bergell“ in blauen, orangefarbenen und grünen Tönen austobte (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR) oder magentafreudig die „Isola Maria“ 1997 mit blühender Blumenwiese vor dem Bergmassiv überhöhte (Taxe 12.000 bis 18.000 SFR). In „La Maison basse“ von 1950 kombiniert Albert Schnyder ein einstöckiges Bauernhaus im Schweizer Jura und braune Pferde in seiner charakteristischen flächigen Bildsprache (Taxe 3.000 bis 5.000 SFR).
An den Strand der Normandie mit ihren schwarzen Klippen führt Félix Vallottons „Plage au matin, Houlgate“ von 1913. Das seit etwa 40 Jahren nicht mehr öffentlich ausgestellte Werk ist eines von zwei Arbeiten, das die schwarzen Gesteinsformationen zum Inhalt hat, die sich über vier Kilometer zwischen Houlgate und Villers-sur-Mer an der Küste der Normandie erstrecken (Taxe 300.000 bis 500.000 SFR). Auch auf Vallotton trifft man bei Koller noch häufiger, etwa auf sein rosafarbenes Blumenstillleben mit Silberteller von 1920 (Taxe 40.000 bis 60.000 SFR), mit dem Rückenakt „Petite baigneuse“ von 1911 am Sandstrand (Taxe 100.000 bis 150.000 SFR) oder dem halb verschleierten Akt mit selbstbewusstem Blick „Femme blonde drapée de noir“ von 1908 auf seine bekannten Aktdarstellungen (Taxe 50.000 bis 80.000 SFR). Auch Gustave Buchet sah 1937 einen weiblichen Akt in Rückenansicht beim Abtrocknen des Körpers (Taxe 8.000 bis 12.000 SFR). Bei Alice Bailly geht es dagegen züchtig zu, wenn sich ihr Auge in dem „Paysage d’talie II“ von 1926 auf den belebten Marktplatz von Verona richtet (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR).
Der Blick ins Interieur und auf den Menschen
In Augusto Giacomettis „Atelier I“ summt die schillernde Farbskala regelrecht vor Energie. Gegenstände sind zwar erkennbar, doch die Farbe der roten Stuhlkissen und des magentafarbenen Teppichs gehen ohne Kontur ebenso ineinander über wie die Leinwand auf der Staffelei und blauen Vorhänge (Taxe 70.000 bis 90.000 SFR). Dicke Farbpunkte mit Leerflächen der Leinwand nutzte der Maler 1913 für sein mosaikartiges Frontalportrait der in Weiß gekleideten Bildhauerin Helene Scholz-Zelezny (Taxe 100.000 bis 180.000 SFR). Eine freundliche Zeichnung seiner zweiten Frau Berthe mit hochgestecktem Haar hielt Ferdinand Hodler an einem 28. August fest (Taxe 5.000 bis 8.000 SFR).
Deutliche Einflüsse des Jugendstils finden sich in der flächigen Gestaltung bei Ernest Biélers Portrait der blonden „Jeune Saviésanne“ (Taxe 60.000 bis 100.000 SFR). Im Kontrast hierzu steht ein Portrait des Realisten Albert Anker, der einen blonden Knaben mit schwarzer Mütze in einem Brustbild zeigt (Taxe 200.000 bis 300.000 SFR). Auch Eduard Boss’ Apfelschälerin bei der Arbeit in der Küche weist in ihren expressiven Farbflächen deutlich mehr Binnenstruktur auf (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR). Einen freundlichen Gruß an Picasso in der Sprache der Abstraktion schuf Max von Moos 1956 mit seinen Gitarre spielenden „Musikanten“ und ihren fratzenhaften Köpfen (Taxe 7.000 bis 9.000 SFR).
Impressionismus & Moderne
In der Abteilung Impressionismus & Moderne stehen zwei Arbeiten mit bis zu siebenstelligen Werten an der Spitze. Claude Monets „Bassin d’Argenteuil“ von 1875 stammt aus seinen impressionistischen Anfängen. Bunte Segelboote, Lichtreflexe im Wasser und die Atmosphäre des wolkigen Himmels, die seitlich durch das offene Ufer und das hoch aufragende Flusshaus gegenüber gerahmt werden, bannt der 35jährige Maler gekonnt in kleinen lockeren Farbtupfern auf die Leinwand. Sie ist eines von insgesamt 50 Bildern, die Monet zwischen 1872 und 1875 entlang des dortigen Abschnitts der Seine malte (Taxe 2 bis 3 Millionen SFR). Dahinter rangiert mit 400.000 bis 700.000 Franken René Magrittes um 1941 datierte Gouache „Moralité du sommeil“. Langes blondes Haar rahmt eine leere schwarze Körpersilhouette mit einem gelben Gitter, die vor einem Fenster mit blauen Gardinen steht. Dieselbe Gestalt findet sich als Illustration im gleichnamigen Gedicht des surrealistischen Poeten Paul Éluard. In surrealistischen unheimlichen Bahnen bewegen sich zudem die düstere Fastnachtskomposition „Nocturne“ von Kurt Seligmann (Taxe 50.000 bis 80.000 SFR) oder Alfred Kubins eigenwillig skelettierter „Geist einer Schildkröte“ auf einer Zeichnung des Jahres 1904 (Taxe 4.000 bis 6.000 SFR).
Pierre-Auguste Renoirs grüne Landschaft um 1910 ist wohl in Cagnes-sur-Mer zu verorten und lässt mit wogenden Pinselzügen die grün-gelben Bäume der Region mit ihren goldgelben Feldern unter freundlichem Himmel schwingen (Taxe 220.000 bis 320.000 SFR). Vierzehn Jahre später fing Gustave Loiseau die morgendliche nebelige Dämmerung an der Eure im Spätwerk „Le bras du parc“ mit „touche croisée“ ein (Taxe 80.000 bis 100.000 SFR). Ebenfalls mit pointillistischen Mittel hat er 1899/1900 seinen hellen Wintertag bei „Tournedos-sur-Seine. Neige, givre, soleil“ gemalt (Taxe 150.000 bis 250.000 SFR). Noch als Impressionist tritt Paul Signac mit dem frühen Hafenausschnitt „Port-en-Bessin, Brick“ in der Normandie von 1884 auf (Taxe 80.000 bis 140.000 SFR). Sommerlich zeigt sich Nikolai Bogdanov-Belskys „Fluss mit Häusern“ von 1932 (Taxe 6.000 bis 8.000 SFR), während er in den grazilen Birken eines Waldsaumes den Herbst thematisiert (7.000 bis 9.000 SFR). Eine ebenfalls herbstliche, fast verwirrend komplexe Baum- und Aststruktur gestaltete um 1910 der belarussisch-ukrainisch-amerikanische Künstler Abraham Manievich mit „Pensées d’automne“ (Taxe 25.000 bis 40.000 SFR). Kubistisch beeinflusst zeigt sich André Lhotes Landschaft „Le rivage“ von 1912 (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR).
Postwar & Contemporary
Der Konzeptkünstler Sol LeWitt setzt sich in seinen fünf Arbeiten der Auktion mit dem Quadrat und dem Würfel auseinander: In den zwei gelb schraffierten Arbeiten „Lines in two directions“ und „Horizontal and Vertical Lines“ von 1971 (je 1.000 bis 2.000 SFR), in der ebenfalls durch horizontale, vertikale und diagonale Geraden strukturierten schwarzen Tuschezeichnung (Taxe 1.500 bis 2.500 SFR) und der 1987 geschaffenen, etwas schnoddrigen Gouache eines farbigen Würfels (Taxe 4.000 bis 5.000 SFR). In sauberer korrekter Ausführung ist sein isometrischer „Cube“ von 1997 aus der gleichnamigen Werkserie mit 90.000 bis 150.000 Franken das teuerste Werk des Quintetts. Mark Tobey wartet mit vier Positionen in kleinteiligen Farbgefügen auf: Einer rot-weißen Komposition von 1957 (Taxe 20.000 bis 25.000 SFR), einem türkisfarbenen Blättermeer von 1969 (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR) und einer mit schwarzem Tuschegekritzel übergangenen weißblauen Himmelswolke von 1956 (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Seine 1967 als Collage und Tempera gearbeitete „Festa“ vereint meisterhaft Tobeys Spiel übereinandergelegter Schichten und bunter Pinselzüge (Taxe 90.000 bis 160.000 SFR). Neben druckgrafischen Umsetzungen beschäftigte sich Franz Gertsch auch malerisch mit der Pflanze „Pestwurz“, etwa als 1993/94 die markante Erscheinung ihrer Blätter mit ihrer von Adern überzogenen Oberfläche großformatig und braun auf Papier niederlegte (Taxe 150.000 bis 250.000 SFR).
Bewegung durch eine optische Illusion in Schwarz und Weiß konstruierte Marcello Morandini in den vier Wandarbeiten der Serie „343“ aus dem Jahr 1989 durch Verschiebung und Aufspaltung eines Quadrats (Taxe je 2.500 bis 3.500 SFR). Roni Horn bezieht sich in ihrem sechsteiligen Werk „Steven’s Bouquet“ von 1991 auf das Gedicht „Bouquet of Roses in Sunlight“ von Wallace Stevens aus dem Jahr 1947. In dieser Arbeit der Konkreten Poesie kontrastiert Horn die Materialität des silbrigen Aluminiums mit den bunt eingefügten Farbwörtern und dem Immateriellen der Sprache (Taxe 120.000 bis 180.000 SFR). Ein zartes Mobile mit drei weißen Kreisen und einem schwarzen Dreieck setzte Alexander Calder 1952 bei „White Dots on orange stack“ auf einen knallig roten Fuß (Taxe 450.000 bis 600.000 EUR).
Wer dagegen Stabilität und Festigkeit bevorzugt findet sie in Max Bills goldfarbener Messingskulptur „Einheit aus drei gleichen Zylindern“ von 1966 (Taxe 12.000 bis 18.000 SFR). Mit seiner weißen Marmorskulptur „Surveillance Camera and Plinth“ von 2015 eröffnet Ai Weiwei eine Reflexion über die Wechselwirkung zwischen Kontrolle und Sichtbarkeit (Taxe 90.000 bis 160.000 SFR). Wie gewohnt humorvoll spielt das Duo Peter Fischli und David Weiss mit der titellosen Arbeit einer Schale aus dem Jahr 2001 auf den Unterschied von Alltagsgegenständen und Kunst, von kulturhistorisch wichtigen archäologischen Fundstücken und einfacher Gebrauchskeramik, von Erhabenem und Banalem an (Taxe 70.000 bis 100.000 SFR).
Grafik & Multiples
Bei den Grafiken beleuchtet Mario Schifano in einer Farbserigrafie von 1981 den Erkennungswert des bekannten Coca Cola-Logos in Form eines Fragments (Taxe 3.500 bis 5.500 SFR). Auch Bekanntes aus der Pop Art hat die Auktion zu bieten, etwa Andy Warhols „Flowers“ von 1964 (Taxe 12.000 bis 18.000 SFR), eine seiner Campbell’s Suppendosen mit Cheddar Cheese von 1969 (Taxe 15.000 bis 25.000 SFR) oder Roy Lichtensteins buntes Interieur „Sitll Life with Lobbster“ von 1974 (Taxe 18.000 bis 28.000 SFR). 2020 gestaltete Imi Knoebel das „Basler Fenster“ in der „Imi Bar“ im Designhotel „Volkshaus Basel“ von Herzog & de Meuron. Darauf reflektiert er im „Basel Fenster 5ED“, einer Acrylmalerei auf Kunststofffolie als Quadrate mit farbiger Rahmung in leuchtendem Kolorit (Taxe 50.000 bis 80.000 SFR). Der für seinen Xenomorph-Entwurf bekannte HR Giger wartet mit einem alienartigen verzerrten bronzenen „Kleinen Kopf“ von 1978 auf (Taxe 6.000 bis 10.000 SFR). Damien Hirst erfreut das Auge mit einer Schmetterlingsflügel-Komposition von 2010, die auf der Fotogravüre „Sanctum (Green and Orange)“ ein Kirchenfenster imitiert (Taxe 10.000 bis 20.000 SFR).
Die Auktionen „Grafik & Multiples“ und „Postwar & Contemporary“ beginnen am 28. November ab 14 Uhr. Am 29. November folgen ab 14 Uhr die „Schweizer Kunst“, ab 17 Uhr „Impressionismus & Moderne“. Der Internetkatalog ist unter www.kollerauktionen.ch abrufbar. |