| | Max Beckmann, Selbstbildnis, 1936 | |
In kaum einem anderen deutschen Auktionshaus spielt Max Beckmann eine so bedeutende Rolle wie bei Grisebach in Berlin. In der Herbstrunde 2022 konnte der Versteigerer mit Beckmanns „Selbstbildnis gelb-rosa“ von 1943 bei 20 Millionen Euro das bis dato höchste Ergebnis im deutschen Auktionsmarkt erzielen, und auch im aktuellen Angebot nimmt der Expressionist mit mehreren Arbeiten einen prominenten Platz ein. Da ist zunächst eines der wenigen bildhauerischen Werke Beckmanns, wieder einmal ein „Selbstbildnis“, in dem der Künstler sich und seine Stellung in der Welt befragt. In kraftvoller Monumentalität hat Beckmann 1936 seinen Kopf in Gips modelliert und scheint trotz eines verhaltenen Zweifels dem „Irrsinn der Zeit“ die Stirn mit ihren markanten Brauen bieten zu wollen: den vermehrten Anfeindungen durch die Nationalsozialisten, die im Verlust seines Lehramts an der Frankfurter Städelschule und der Einbindung in die Ausstellungen zur „Entarteten Kunst“ gipfelten. Das Gipsmodell bewahrte Beckmann sein Leben lang auf und nahm es mit nach Amerika. Erst nach seinem Tod wurde es 1968 in Bronze ausgefertigt. Von den sieben existierenden Güssen befinden sich sechs in bedeutenden Museen der USA und Deutschlands. Grisebachs Exemplar aus einer Schweizer Privatsammlung verlangt nun 250.000 bis 350.000 Euro.
Neben den beiden grafischen Arbeiten „Gruppenbildnis Edenbar“ von 1923 und der zehnteiligen Mappe „Jahrmarkt“ von 1922 für jeweils 25.000 bis 35.000 Euro in der Auktion „Moderne Kunst“ hat Grisebach für die „Ausgewählten Werke“ noch drei Malereien Max Beckmanns auftreiben können. Bei seinem Urlaubsaquarell „Strandansicht von der Terrasse aus gesehen“ hat sich Beckmann 1935 köstlich über die Strandkörbe amüsiert, die wie Pinguine über den Sand zu watscheln scheinen (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Sein „Stillleben mit Orchideen und Birnen“ hat der Künstler 1946 symbolhaft aufgeladen. Im Zentrum steht mit der Orchidee die Königin der Blumen, die als Sinnbild für Verführung, Leidenschaft und sexuelle Lust gilt. Darum hat Beckmann verderbliche Früchte arrangiert und verweist mit Birnen und Äpfeln wie in barocken Vanitas-Bildern auf die Vergänglichkeit. Die intime Botschaft ist offenbar an seine Frau Mathilde, liebevoll Quappi genannt, gerichtet. Nicht ohne Grund hat Beckmann ihr das Bild geschenkt (Taxe 1 bis 1,5 Millionen EUR). Höhepunkt des Beckmann-Sextetts ist dann das von zunächst ungetrübter Stimmung geprägte Portrait „Quappi mit grünem Sonnenschirm“ aus dem Jahr 1938, das zwei zentrale Themen seines Schaffen vereint: Seine Ehefrau Mathilde und seine Faszination für See- und Strandszenerien. Laut Beckmann-Spezialist Eugen Blume gehört es mit dem betörenden Kleid und den roten Strümpfen zu den schönsten und erotischsten Porträts von Quappi. Einzig ein düsterer Kopf scheint die Urlaubsidylle zu stören. Als marktfrisches Werk hofft „Quappi mit grünem Sonnenschirm“ auf 4 bis 6 Millionen Euro.
Das Neue des 19. Jahrhunderts
Gut sechzig Positionen hat Grisebach für seine Auktion „Ausgewählte Werke“ am 28. November zusammengestellt und startet zeitlich um 1800 mit Joseph Anton Kochs bis dato unbekanntem Werk „Via Mala“. Für sein motivgleiches Ölgemälde in der Karlsruher Kunsthalle hat Koch den bei Chur gelegenen Gebirgsweg am Rande der gleichnamigen Schlucht als qualitätvolle Studie in Öl auf Papier angelegt und in frühromantischem Empfinden mit einer gefahrvollen, fast todbringenden Atmosphäre verknüpft (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Weitere große Romantiker sind bei Grisebach mit von der Partie, darunter Caspar David Friedrich mit seinen drei Figurenstudien „Zwei wandernde alte Bauern, Frau mit Krug, langer Mann“. Das Blatt von 1801 stammt aus dem sogenannten „Kleinen Mannheimer Skizzenbuch“, das die Mannheimer Kunsthalle 1916 erworben und später blattweise verkauft hatte. Jetzt ist es in einer süddeutschen Privatsammlung aufgetaucht und soll 50.000 bis 70.000 Euro einspielen.
Carl Blechens modernes Landschaftsbild „Mühlental von Amalfi“ hat eine bewegende Geschichte hinter sich. Bis 1938 gehörte die spätromantische Ansicht des Flusstals, die Blechen um 1830 nach einer Italienreise malte, den jüdischen Kunstsammlern Arthur und Eugen Goldschmidt in Berlin und ging nach deren Freitod in das Eigentum ihres Neffen Edgar Moor über. Der NS-Staat beschlagnahmte das Werk bei Moor, gliederte es später in die Sammlung für das „Führermuseum“ in Linz ein und lagerte es im „Führerbau“ in München, aus dem es vermutlich Ende April 1945 gestohlen wurde. 1946 übergab die Münchner Kriminalpolizei das Gemälde an den Central Collecting Point der amerikanischen Militärregierung. Da keine Besitzer ausfindig gemacht werden konnten, wurde es 1960 als ehemaliges Reichsvermögen dem Bundesvermögen überstellt. Zuletzt als Leihgabe des Bundes im Fürst-Pückler-Museum in Cottbus präsentiert, wurde das Mühlental erst im August an die Erben Moors restituiert, die es für 100.000 bis 150.000 Euro Grisebach zum Verkauf anvertraut haben. Etwas höher notiert mit 150.000 bis 180.000 Euro Friedrich Nerlys charakteristischer „Blick auf Venedig“, den er um 1838 von den Giardini Pubblici aus über das Bacino di San Marco auf die berühmten venezianischen Gebäude im Abendrot hat schweifen lassen.
Die anbrechende Moderne
Auch Lovis Corinths Gemälde „Herbstblumen“ hat einen Verfolgungshintergrund. Das blumenbekränzte junge Mädchen von 1895, das in seinem weiten Gewand weitere Herbstblumen trägt, gehörte dem jüdischen Textilunternehmer Max Haase aus Berlin, nach seinem Tod 1934 seiner Frau Helene, die ihrer Kunstgegenstände beraubt und von den Nazis nach Theresienstadt deportiert wurde. Als Helene Haase 1961 starb, hatte sie keines ihrer Bilder zurückerhalten. Mit ihren Erben konnte nun eine gütliche Einigung gefunden werden, die für die „Herbstblumen“ 120.000 bis 150.000 Euro vorsieht. Der Impressionismus hat die Türe zur Kunst des 20. Jahrhunderts weit aufgestoßen. Das machen in der Auktion Corinths Aquarell „Walchensee“ von 1924 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) und Max Liebermanns Ölgemälde „Die Blumenterrasse im Wannseegarten nach Norden“ von 1918 in ihren sich auflösenden, teils schon abstrakten Formen deutlich (Taxe 350.000 bis 450.000 EUR). Hier reiht sich etwa noch Emil Noldes rotbraun leuchtendes Aquarell „Dschunke und Dampfer“ von 1913 ein (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR).
Gänzlich ungegenständlich ist dann das „Opus 7-1930“ von Victor Servranckx. Dafür hat der Belgier 1930 ein Holzfurnier hergenommen, es mit einem Farbsee in Kleisterpapiermanier zu einer kosmischen Vision ausgebaut und auf der Rückseite treffend beschriftet: „Dit werk kan in alle richtingen aanschouwd worden“ (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Die französische Moderne startet in der Auktion mit Henri Manguins fauvistischer Sommerlandschaft „Jeanne près du pigeonnier de la ville Demière à Saint-Tropez“ von 1905, die seine Frau Jeanne während der Mittagshitze im Schatten der Bäume ruhen lässt (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Der Surrealist Victor Brauner zeigt uns 1929 eine in die Farbleere sich erweiternde Straßenflucht, in der eine übergroße menschliche Gestalt steht, die aber zu Tieren, Pflanzen und Abstraktionen hin wirr auswuchert (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Dann hält der Katalog noch eine besonders aufschlussreiche Losfolge zu Pablo Picasso bereit. Seine unglaubliche Kreativität macht sich gerade in den vielen Variationen bemerkbar, mit denen Picasso in der Druckgrafik ein Motiv in immer neuer Gestaltung aufgehen ließ, etwa bei der Farblithografie „La femme à la résille“, in der er 1949 seine damalige Geliebte Françoise Gilot verewigte. Der Weg zum endgültigen Druckzustand des Bildnisses führte über vier Schwarzkonzepte und zwei Farbkonzepte, so dass in der Kombination aller Druckplatten insgesamt dreizehn Druckvarianten zu verzeichnen sind, von denen sieben Blätter aus einer Schweizer Privatsammlung in der Grisebach-Auktion vorliegen. Los geht es mit einem von sechs Probeabzügen des zweiten Zustands mit der noch gesichtslosen Françoise Gilot für 8.000 bis 12.000 Euro. Der endgültige Zustand der auch „Femme aux cheveux verts“ betitelten Lithografie soll 40.000 bis 60.000 Euro einspielen. Zudem konnte der Schweizer Sammler 2002 bei Grisebach die dazu gehörige bemalte Druckplatte des Schwarzkonzepts für 310.000 Euro netto erwerben. Sie ist eine der wenigen originalen Druckplatten, die es außerhalb des Pariser Museé Picasso gibt (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR).
An Paul Cézanne und die französische Moderne erinnert Alexej von Jawlenskys Stillleben mit Äpfeln im Komplementärkontrast Rot und Grün sowie zwei gelben Quitten aus dem Jahr 1907 (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Neben Beckmann beschäftigte sich auch August Macke immer wieder mit seiner Frau Elisabeth, besonders im Jahr ihrer Heirat 1909, etwa auf einer intimen Pastellgouache, auf der Elisabeth in einem Fauteuil sitzt und in die Lektüre eines Buches vertieft ist (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR). Diesmal hat Grisebach Ella Bergmann-Michel mit der Aufnahme in die „Ausgewählten Werke“ gewürdigt. Ihre „Funktionelle Vegetation“ von 1921/22 ist eine feingliedrige abstrakte Zeichnung, die wie eine technoide Pflanze durch einen Lichtraum schwebt (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). An Oskar Schlemmers stereometrischen Figuren orientierte sich sein Schüler Willi Baumeister 1922/23 bei seiner ebenfalls aus geometrischen Bausteinen konstruierten „Figur“. Die Gouache erwarb der Schweizer Architekt Ernst Friedrich Burckhardt vor rund 100 Jahren direkt bei Baumeister. Aus dem Besitz seiner Familie kommt sie nun erstmals für 40.000 bis 60.000 Euro auf den Markt.
Introvertierte Frauen und hässlicher Wicht
Gut besetzt ist die Auktion auch im Bereich der Skulptur. Eine beseelte Melancholie umflort Wilhelm Lehmbrucks zarte „Büste der Knienden“ von 1912/14. Der rotbraun getönte Zementguss mit dem schmalen Kopf und dem nach unten gerichteten weltabgewandten Blick ist eines der wenigen zu Lebzeiten des Künstlers ausgeführten Exemplare (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Etwas direkter tritt dem Betrachter die „Sitzende“ von Louise Stomps gegenüber. Die weiße Marmorskulptur von 1939 nimmt dennoch einen reservierten Habitus ein und zählt zu Stomps’ wenigen erhaltenen Arbeiten aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). In die Nachkriegsepoche geht es mit Hans Uhlmanns schwarz getönter, spitz und scharfkantig zulaufender Stahlplastik „Aggression I“ von 1961. Sie ist der endgültige Entwurf zur Skulptur vor der Bibliothek der Technischen Hochschule in Stuttgart (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR).
Ein anderes bildhauerisches Konzept verfolgten in dieser Zeit Christo und Jeanne-Claude mit ihren Verhüllungen vorhandener Gegenstände. Aus dem frühen Schaffen steht eine hochrechteckige „Empaquetage“ von 1963 zur Verfügung. Das „Packet“ aus einem schwarzbraunen Stoff, zum Reliefbild verschnürt mit braunen Seilen und Kordeln, erwarb ein rheinischer Sammler 1963 für wenige hundert Mark in der Düsseldorfer Galerie Schmela; heute soll es 80.000 bis 120.000 Euro kosten. In das neue Verständnis eines Bildes reihen sich zudem Günther Ueckers Nagelbilder ein, die vom flachen Malgrund aus ebenso in Dreidimensionale vordringen. 2005 formte der ZERO-Künstler aus Nägeln und weißer Farbe eine dynamische Spirale auf quadratischer, mit Leinwand überzogener Holzplatte (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Ein Jahr jünger ist der „Wicht“ von Thomas Schütte. In der anthrazitfarbenen Bronze greift der Düsseldorfer Bildhauer die Gattung der Ehrenbüste auf, unterläuft die Würdeform aber bewusst durch die Darstellung eines anonymen unansehnlichen Gnomen (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Ein verwischter Volksheld
Mit gestischer, informeller Malerei setzt die Nachkriegskunst ein. Aus dieser abstrakten Richtung gibt es eine titellose Komposition von Peter Brüning mit sprunghaften schwarzen und roten Farbschlieren aus den frühen 1960er Jahren (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR). Das Zehnfache verlangt Zao Wou-Kis kleine Leinwand „Au petit Jour“ von 1957. Das filigrane braune Geäst auf verschwommenem gelbgrünem Grund erinnert nur noch von Ferne an die Ausbildung des Chinesen in klassischer Kalligrafie und seine in den ersten Jahren in Paris entstandenen abstrahierten Landschaften. Auch Yan Pei-Ming hat sich von China nach Frankreich aufgemacht und lebt heute in Dijon. Bekannt wurde er mit großformatigen Gemälden samt Mao-Motiven in einer auf Schwarz, Grau und Weiß beschränkten Farbpalette und einem verwischten pastosen Farbauftrag. Dies kennzeichnet ebenfalls sein an Propagandabilder gemahnendes Portrait „Mao, Chinese Vermilion #7“ von 2001 (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR).
Zwischen Figuration und Abstraktion oszilliert insgesamt das jüngere Programm der Auktion. John Wesley bediente sich für seine Motivwahl gerne bei Comics, den Massenmedien und der amerikanischen Alltagskultur und brachte die Dinge in glatten monochromen Farbflächen und einer häufig wiederkehrenden Palette aus Blau, Rosa und Schwarz auf die Leinwand, so auch 1983 ein Propellerflugzeug in „Night Landing“, das eben etwas unsanft auf dem welligen Untergrund aufsetzt und laut Titel auch für nächtliche Begegnungen mit sexuellen Untertönen stehen kann (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). In seinem Ölgemälde „schön gelb“ aus dem Werkabschnitt der „Remix“-Bilder nahm Georg Baselitz 2009 Bezug auf seine frühen „Helden“-Bilder der 1960er Jahre, die ihn berühmt gemacht haben, und verarbeitete das eigene Material in Gelassenheit und Distanz weiter (Taxe 450.000 bis 650.000 EUR). Wieder ganz in die Ungegenständlichkeit nimmt uns Katharina Grosse bei ihrer großformatigen Leinwand aus dem Jahr 2002 mit, auf der sie wellig-schwungvolle Streifenbahnen in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau sowie den Mischfarben Grün und Violett zu einer dichten Netzstruktur überlagert hat (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR).
Die Auktion „Ausgewählte Werke“ beginnt am 28. November um 14 Uhr. Die Vorbesichtigung ist bis zum 26. November täglich von 10 bis 18 Uhr, am 27. November von 10 bis 15 Uhr möglich. Der Interkatalog listet die Objekte unter www.grisebach.com. |