Albert Welti und das Fantastische in Zürich | | Albert Welti, Die Fahrt ins 20. Jahrhundert, 1899/1900 | |
Das Kunsthaus Zürich widmet Albert Welti unter dem Titel „Die Grafik des Fantastischen“ derzeit eine Kabinettausstellung. Der 1862 in Zürich geborene Welti gilt als einer der großen Schweizer Kritiker des Impressionismus, doch ist seine Kunst weit mehr als das sture Abarbeiten an altdeutschen Malervorbildern. „Weltis Gemälden ist die Verehrung vergangener Epochenstile unverkennbar eingeschrieben, allerdings wäre es falsch, wenn man seine Werke als epigonal bezeichnen würde“, so Kurator Jonas Beyer. Weltis grafisches Schaffen wurde zuletzt kaum beachtet, obwohl es an fantasievollen und avantgardistischen Bildeinfällen strotzt. Die Grafik diente Welti als eine Art Ventil, wenn ihn offizielle Aufträge bedrängten oder allzu sehr aufrieben. Entsprechend ungestüm fuhr er mit der Radiernadel über die Druckplatten und ließ seinem Einfallsreichtum freien Lauf. Noch in kleinsten Gelegenheitsarbeiten, seien es Einladungskarten, Ex Libris-Blätter oder Neujahrsgrüße, wimmelt es nur so von Spukgestalten und Bizarrerien. Was dabei selten fehlt, ist Weltis beißender Humor. Bei einem Meisterblatt wie Weltis „Fahrt ins 20. Jahrhundert“, dessen Düsternis von einem Francisco de Goya nicht eindrücklicher hätte inszeniert werden können, bricht sich die pessimistische Sicht auf das gesellschaftliche Treiben mit jeder Menge Sarkasmus Bahn. Fantastik und Bildwitz – in Weltis Grafiken zeigen sich diese bildbeherrschenden Faktoren als zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Albert Weltis „Fahrt ins 20. Jahrhundert“ ist ein dystopischer Kommentar auf die menschliche Existenz. Die darin dargestellte Zugmaschine wird von einem riesigen Laufrad angetrieben, in dem sich ein gruseliges Hybridwesen aus Mensch und Tier bewegt. Halb Nagetier halb Mensch stürmt es ungestüm nach vorne. Verbunden ist das Rad mit einer Walze und einem Eisenbahnwagen, auf dem sich eine große Menschengruppe tummelt, die nicht gerade in eine strahlende Zukunft fährt. Die noch unbeschwert feiernden Reisenden brechen zwar aus einer architektonisch festgefügten Vergangenheit auf, steuern aber über einem wolkenverhangenen Abgrund, der von Riesen gestützt wird, auf einen dunklen Horizont zu. Ebenso absonderlich und skurril sind Weltis wilder „Amazonenkampf“ von 1888, die „Einladung zur Schlusskneipe der Klinizisten“ oder seine Radierung „Der Ehehafen“ von 1906, auf der zahlreiche Männer in einem großen See nach nackten schwimmenden Frauen Ausschau halten sie angeln und dann in bürgerliche Moralvorstellungen einzwängen.
Die Ausstellung „Albert Welti und die Grafik des Fantastischen“ ist bis zum 9. Februar 2025 zu sehen. Das Kunsthaus Zürich hat täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Geschlossen bliebt am 1. Weihnachtstag und Neujahr. Der Eintritt beträgt 24 Franken, reduziert 17 Franken, bis 16 Jahre ist er frei. Der begleitende Ausstellungskatalog aus dem Verlag Scheidegger & Spiess kostet im Museum 24 Franken.
Kunsthaus Zürich
Heimplatz 5
CH-8001 Zürich
Telefon: +41 (0)44 – 253 84 84 |