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Das Museum Moderner Kunst feiert Medardo Rosso als Erfinder der modernen Skulptur und spürt seinem Einfluss bis in die Gegenwart nach

Ein Ding, das lebt



Medardo Rosso, Aetas aurea, 1886

Medardo Rosso, Aetas aurea, 1886

Wie eine bewegliche, zufällig strukturierte Masse wirkt der kleine Kopf, ein Antlitz, in seinen Konturen verwischt und doch von höchster Präzision. So erscheint „La Portinaia“, eine kleine Skulptur von Medardo Rosso aus dem späten 19. Jahrhundert, die in der großen Herbstausstellung des Museums Moderner Kunst ihren großen Auftritt hat. Das Wiener Haus widmet dem italienisch-französischen Künstler eine Retrospektive und stellt sein Schaffen in den Dialog mit Werken anderen Künstler*innen, darunter Constantin Brancusi, Louise Bourgeois, Jasper Johns, Alina Szapocznikow, Robert Morris, Lynda Benglis, Eva Hesse, Marisa Merz, Paul Thek und Phyllida Barlow.


„La Portinaia“ ist eine der ausdrucksstarken Kopfplastiken des 1858 in Turin geborenen Künstlers, die sich, wie schon Michelangelos „Sklaven“ oder später Rodins „Aurora“ aus dem Marmor, aus einem Klumpen gelben Wachses herausschält. Der Ausdruck des Gesichtes ist sowohl kindlich als auch leidend, die Augenbrauen wie vor Schmerz zusammengezogen. Unebenheiten, Buckel und Dellen zeigen die Verletzlichkeit der Haut. Rosso fertigte seine kleine Büste der Pförtnerin auf eine Weise, dass man von allen Seiten den Eindruck hat, sie im Vorübergehen zu sehen. Es gelingt ihm beides: die Prägnanz der Form, um Individualität und Befindlichkeit seines Modells abzubilden, und eine Darstellung des Verschwindens jener präzisen Form, ein schemenhaftes Nachbild in der opaken Masse.

Wahrscheinlich war der Künstler und Handwerker, Kunsttheoretiker und Meister von Inszenierungen der Erste, der die abbildende Plastik so weit führte – eine These, die Heike Eipeldauer, die Kuratorin der Wiener Schau mit dem Titel „Medardo Rosso – Die Erfindung der modernen Skulptur“, publikumswirksam unterstreicht. Über zwei Etagen widmet sich die Ausstellung dem bereits von Zeitgenossen überaus geschätzten Künstler, der auf Kolleg*innen bis heute eine große Faszination ausübt. Gleichwohl ist sein Werk in der Öffentlichkeit immer noch wenig bekannt. Das Ansehen, das Rosso gebührt, soviel ist bereits nach der Eröffnung gewiss, wird durch diese großartige Übersicht, die gemeinsam mit dem Medardo Rosso Estate im norditalienischen Barzio erarbeitet wurde und 2025 im Kunstmuseum Basel zu sehen sein wird, einen großen Schub erhalten.

Mit seinen Skulpturen aus Wachs und Bronze sprengte Medardo Rosso die akademischen Konventionen und ging in seiner Formensprache völlig neue Wege. Im Arbeiten in und an seinen inhaltlichen, methodischen, medialen und materiellen Rändern und Übergängen fand er zu einer radikalen Neubestimmung des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unmodern gewordenen Mediums Skulptur. Bereits mit seinen Bronzeskulpturen, die er in Paris, wo er fast drei Jahrzehnte verbrachte, in der Weltausstellung von 1889 zeigte, erregte er bei den Kritikern großes Aufsehen. Guillaume Apollinaire bezeichnete ihn 1918, nach dem Tod von Auguste Rodin, sogar als den größten lebenden Bildhauer seiner Zeit. Doch anders als seine französischen Zeitgenossen beschäftigten Rosso vor allem der Moment der Wahrnehmung einer Figur, ihr atmosphärischer Gesamteindruck und eine Verschmelzung mit dem Raum. Seine neuartige Formensprache zeigt sich vor allem in der Betonung des Malerischen durch bewegte Oberflächen. Grenzen jeglicher Art galt es für Rosso zu überwinden. Vor allem die Einwirkung des Lichts ist ein wichtiger Bestandteil von Rossos Ästhetik; sie sollte die Formauflösung und Entmaterialisierung steigern. Seine Plastiken überwinden mit ihrem „intimen Maßstab, ihren bewegt-unscharfen Oberflächen und ihrer tastenden Vorläufigkeit nicht zuletzt auch die männlich konnotierte Tradition der Dauerhaftigkeit und Stabilität, an die die Skulptur historisch gebunden war“, resümiert Eipeldauer im Vorwort des Ausstellungskatalogs.

Als eine „Schwellenfigur zwischen den Zeiten und Epochen“ bezeichnet die Kuratorin den Künstler. Er sei ein Erneuerer, der bis heute „schwer zu fassen“ ist: Realist in der Wahl sozialkritischer Sujets, Impressionist in seinem lebhaften Interesse für Licht und atmosphärische Bedingungen, „Proto-Dadaist“ in seinem sehr speziellen Gebrauch von Sprache wie auch in seinen fotografischen Experimenten, die im Entrèe in der vom österreichischen Konzeptkünstler Florian Pumhösl exzellent gestalteten Ausstellung großzügig in Vitrinen präsentiert werden. Vor allem aber durch seinen experimentellen Umgang mit dem bevorzugten Material Gips und Wachs, den künstlerischen Prozess sowie die Betonung des Fragmentarischen wurde Rosso für viele zum Spiritus Rector, zu einem Künstler, dessen Werk in seiner Offenheit, der vertiefenden Selbstwiederholung, durch Materialuntersuchungen und deren verschiedenartige Wirkungen zwar Reproduktionstechnologien des Gießens, ob in Bronze, Wachs oder Gips, und Fotografierens nutzte, jedoch auf eine Weise, die die vertrauten Hierarchien von Original und Kopie, von Produktion und Reproduktion unterlief. Rosso, der vom Modellieren bis zum Guss alles eigenhändig anfertigte – in Paris unterhielt er eine eigene Gießerei –, integrierte auch Spuren des Arbeitsprozesses wie Blasen oder Gussnähte in das fertige Werk.

Viele seiner skulpturalen Werke legte Rosso auf einen einzigen Betrachtungspunkt hin an. „Bambino malato“ entstand vermutlich nach einem Klinikaufenthalt Rossos 1889; das schlafende, kranke Kind könnte er an dessen Krankenbett beobachtet haben. Auffällig sind vor allem die Neigung des Kopfes und der leicht geöffnete Mund. Physiognomische Details wie die geschlossenen Augen werden nur angedeutet. Das geschmeidige Material Wachs absorbiert Licht und Schatten und unterstützt die scheinbare Verschmelzung des Werkes mit der Umgebung. Durch die Schräglage des Kopfes entzieht Medardo Rosso der Skulptur die sichere Verankerung auf einer Horizontalen. Das Bildnis, von dem in der Ausstellung mehrere Fassungen zu sehen sind, gehört zu Rossos am stärksten verinnerlichten. Durch die Materialisierung atmosphärischer Ruhe gelang dem Künstler mit dieser Arbeit eine ganz besondere Aura. „Den Augenblick“, schrieb Rosso, „der uns unerwartet einen großen Eindruck bringt und unsere Seele überrascht und uns erschüttert, den sollen wir restlos erfassen – und nur das Licht gibt uns diese hohen Lebensmomente. Jede Arbeit, die nicht von dem Licht erzeugt wurde, das einen seligen Augenblick unsere Seele durchglühte, wird uns unbedeutend und leblos erscheinen.“

Im Laufe seines Lebens schuf Rosso ein verhältnismäßig kleines Œuvre, was die Zahl der Motive betrifft. Nicht mehr als 40 Sujets hat er wiederholt und variiert. Die Modifikationen zu „Aetas aurea“ gehören zu seinen berühmtesten Werken. Sie zeigen den flüchtigen Augenblick einer zärtlichen Berührung zwischen Mutter und Kind. Kurz nach der Geburt seines ersten Sohnes schuf Rosso ab 1885 mehrere Varianten der Skulptur in Gips, patiniertem Gips, Wachs auf Gips und Bronze. Vom dunklen Bronzeton über gräuliches Gipsweiß bis zum honiggelben Wachsüberzug erstreckt sich die Farbpalette. In den verschiedenen Gussvarianten oder auch in der fotografischen Auseinandersetzung mit „Aetas aurea“ verschiebt sich die psychologische Konnotation der Beziehung zwischen Mutter und Kind, aber auch deren Relation zu den Betrachtenden jeweils um Nuancen: Je nach Positionierung der Köpfe, Wahl des Blickwinkels beziehungsweise des Ausschnitts liegt der Blickpunkt entweder auf der Mutter oder auf dem Kind, rückt die Mimik, insbesondere die geöffneten Münder oder die Geste der Umarmung in den Vordergrund. Einmal bilden diese eine geschlossene Einheit, ein anderes Mal, wenn etwa der Arm der Mutter angeschnitten wird, öffnet sich die Szene auf die Betrachtenden hin.

Zwei Kernthemen werden hier deutlich, die Medardo Rosso wiederholt beschäftigten: der unmittelbare Umgang mit dem Material, aus dem alles entsteht und zu dem alles zurückkehrt, sowie die Relationen von Figur und Umraum. Die verschiedenen Fassungen werden in der Ausstellung in Konversation mit Werken anderer Kunstschaffender gezeigt, einer von Rosso zu Lebzeiten selbst umgesetzten Praxis. Heike Eipeldauer greift einige Parameter seines Schaffens heraus und stellt sie in einen Dialog mit Zeitgenossen und Künstler*innen nachfolgender Generationen. 50 solche Objekte sind es in dieser Schau aus 150 Jahren. Einige beziehen sich direkt auf Rosso, andere dienen als Referenz. Werke von Edgar Degas, Guillaume Apollinaire, Loïe Fuller, Giovanni Anselmo, Richard Serra, Sherrie Levine, Robert Gober, Francesca Woodman und Rebecca Warren stehen hier beispielhaft für die große Resonanz, die von Rossos ambivalenter Kunst bis heute ausgeht, die sich dadurch auszeichnet, dass sie, so die Künstlerin Phyllida Barlow, „in der Gegenwart agiert“.

Die zärtliche Analogie von Streicheln und Modellieren, die Rosso anhand des Bildes seiner Frau und seines Sohnes in „Aetas aurea“ zu implizieren scheint, erhält in den „Touchpieces“ der britischen Bildhauerin eine zusätzliche persönliche Dimension, indem Barlow die sinnlich-haptische Komponente des Arbeitsprozesses mit der Erforschung der täglichen Berührungen ihrer Kinder in Verbindung bringt. Rossos Betonung von Emotionalität im künstlerischen Prozess sowie seine Strategien einer „Individualisierung“ der auf serielle Reproduktion angelegten Abgüsse durch entsprechende Modifikation stellt Heike Eipeldauer in Bezug zu den „Aluminum Foils“, einer Fotoserie von James Welling aus den Jahren 1980/81. Mit Mutter-Kinder-Darstellungen von Käthe Kollwitz und Eugène Carrière unterstreicht sie inhaltliche Verwandtschaften.

Juan Muñoz bezog sich mit seiner Büste „Rosso in Afrika“ 1994 auf dessen hybriden Umgang mit Material sowie auf den historischen Entstehungskontext seiner Plastiken. „S’éloignant (rouge timide)“, ein ephemeres, 2024 entstandenes Relief aus gegossenem Blei, Wachs und Holz der iranischen Künstlerin Nairy Baghramian, macht die Nähe zu Rosso ebenfalls auf mehreren Ebenen evident: angefangen mit dem sich latent entformenden Werkstoff Wachs über die Betonung der Präsentation und den Versuch die Plastik auf eine zweidimensionale Schauseite zu reduzieren bis hin zur Auseinandersetzung mit Grenzen und Übergängen: „Ungeklärte Fragen halten sich beständig an den Rändern“, erklärt Baghramian, „weshalb das Periphere für mich der Ort skulpturaler Verhandlung bleiben wird.“

Der Bildhauer Tony Cragg äußerste sich in einem Interview über Rosso: „Wir erleben seine Köpfe oder Figuren, als ob wir uns gegenüberstehen und uns betrachten. Damit hat er eine ganz andere Sicht auf die Kunst gegeben, ein Eins zu Eins-Erlebnis. Man liest es nicht als Augentäuschung, man liest es, wie es ist.“ Mit der sorgfältig konzipierten Ausstellung ist dem Wiener Museum Moderner Kunst ein Coup gelungen, eine Schau, die sich jeder ansehen sollte, der die Werke dieses Künstlers entdecken, ihnen wieder begegnen und dem bis heute ungebrochenen Nachhall seines großartigen Werks nachspüren möchte.

Die Ausstellung „Medardo Rosso – Die Erfindung der modernen Skulptur“ läuft bis zum 23. Februar 2025. Das Museum Moderner Kunst hat dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, an Heiligabend von 10 bis 14 Uhr, an Silvester von 10 bis 16 Uhr und an Neujahr von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt bis zum 27. Oktober 15 Euro, danach 12,50 Euro, ermäßigt 11,50 Euro, respektive 10 Euro. Für Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren ist er frei.

Kontakt:

Museum Moderner Kunst - Stiftung Ludwig Wien

Museumsplatz 1

AT-1070 Wien

Telefon:+43 (01) 525 00

Telefax:+43 (01) 525 00 13 00

E-Mail: info@mumok.at

Startseite: www.mumok.at



23.10.2024

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Jacqueline Rugo

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Medardo Rosso, Aetas aurea, 1886
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Medardo Rosso







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