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Ländlicher Garten (mit Bauernhaus) / Arnold Balwé

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© Kunsthandel Ron & Nora Krausz


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Interieur – Asia Porcelain – Asiatisches Porzellan, um 1911/12 / Joseph Oppenheimer

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Aktuellzum Archiv:Ausstellung

Der Titel der Schau „Neue Sachlichkeit“ 1925 in Mannheim etablierte sich rasch als Bezeichnung einer Stilrichtung. Das Wiener Leopold Museum würdigt diese Epoche nun mit einer Auftaktschau zum einhundertjährigen Jubiläum

Harte Realitäten



Eine Mauer versperrt den Weg. Davor steht ein adrett gekleideter, wohlgenährter Herr. Argwöhnisch mustert er durch den Kneifer sein Gegenüber. Schmisse auf den Backen und eine gut gefüllte Aktentasche unter dem Arm weisen ihn als biederen Verwaltungsbeamten aus. Hinter der eingebrochenen Ziegelwand schlurft auf einen Stock gestützt ein abgemagerter Kriegsversehrter in zerschlissener Kluft. Weiter im Hintergrund wird vor rauchenden Fabrikschornsteinen geschuftet. Konträre, strikt getrennte Lebenswelten beherrschten die 1920er Jahre. Deren Facetten eröffnen sich nun in einem Parcours durch die aktuelle Ausstellung im Leopold Museum in Wien. Nüchtern figurativ, in abgetöntem Kolorit und präziser Linienführung leitet das Gemälde „Grauer Tag“ von George Grosz aus dem Jahr 1921 als Programmbild in die umfassende Jubiläumsschau ein, die die Neue Sachlichkeit in Deutschland unter dem Schlagwort „Glanz und Elend“ erstmals in Österreich ausgiebig subsumiert. Auch Grosz’ Gemälde war 1925 auf der richtungweisenden Mannheimer Schau vertreten, die der Stilrichtung ihren Namen gab – allerdings noch unter der Bezeichnung „Magistratsbeamter für Kriegsbeschädigtenfürsorge“. Rasch mag man sich an heutige überbordende wie penetrante Verwaltungsbürokratien erinnert fühlen.


Bereits um 1922/23 floss der Begriff „Neue Sachlichkeit“ für eine spezielle Ausrichtung der Malerei der Weimarer Republik in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. Diese hatte die Wiedergabe von aktuellen Vorgängen in Politik und Gesellschaft zum Inhalt. Zumeist gestochen scharf, nüchtern und distanziert, funktional kalt mit glatt gesetztem Farbauftrag, einer flachen Ausgestaltung des Raumes sowie präziser Linienführung, zum Teil auch kombiniert mit starker Hinwendung zur altmeisterlicher Malweise, stehen nun Glanz und Elend der Gesellschaft im Fokus figurativer Sujets. „Wir wollen die Dinge ganz nackt, klar sehen, beinahe ohne Kunst“, merkte der Maler Otto Dix einmal an. Damit setzte sich die Strömung vom Rauschhaften des Expressionismus ab, der nicht mehr in der Lage schien, die Welt zu beschreiben. Vor dem Hintergrund einer aufflammenden Massenkultur und prosperierenden Technisierung breitete sich die Neue Sachlichkeit in Europa, aber auch in den USA aus. Auch in weiteren Sparten der Kunst und Kultur, im Design, der Literatur oder im Theater- und Filmsektor, hinterließ sie ihre Spuren.

Die 153 Exponate der Wiener Ausstellung umfassen vorwiegend Gemälde, ergänzt von Grafiken, einigen Plastiken und Dokumenten. Sie stammen von 48 Künstlern, worunter sich bemerkenswerterweise acht weibliche Vertreter des Fachs befinden. Vor 100 Jahren war in Mannheim keine einige Künstlerin zugegen. So eröffnet sich den Besucher*innen ein facettenreiches Panorama, dessen signifikante thematische Varianten Kurator Hans-Peter Wipplinger griffig und einfühlsam in 13 Segmente strukturierte.

Generell speisen sich die Themen aus dem Milieu der Metropole, speziell der Hauptstadt Berlin, und oszillieren zwischen glitzernder Vergnügungssucht und Abgründen des Lebens. Am Beginn stehen die erschütternden Erfahrungen und zerrütteten Zustände nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreiches 1918. Bei den Menschen evozierten sie Wünsche nach Ordnung und Struktur, die sich evident in der Kunst spiegeln. Neben Grosz, dessen Motto „Zuerst ist man Kommunist, dann Künstler“ ihn als Vertreter der Gruppe politisch links ausgerichteter, zivilisationskritischer Künstler ausweist, verarbeitete der zur Gruppe der Kölner Progressiven zählende Heinrich Hoerle das Trübe der Zeit in der Fassung dreier, von ausgeprägter Statuarik gezeichneter Invaliden. Deren identitätslose Gestalt verkörpert symptomatisch die Entmenschlichung der Gesellschaft.

Um die Traumata zu verdrängen und harte Realitäten zu vergessen, entflohen viele in nächtliche Etablissements und nutzten ausschweifende Angebote der Vergnügungsindustrie, besonders während der wirtschaftlich wie kulturell prosperierenden Hochphase der „Goldenen Zwanziger“ von 1924 bis 1928. Facetten des hieraus resultierenden breiten Motivspektrums zeigt das Aquarell „Lustmord“ von Rudolf Schlichter aus dem Jahr 1924, das ungeschönt und brutal eine aggressive Sexualität demonstriert. Ähnlich wie Max Beckmann oder Hanns Ludwig Katz illustriert Schlichter hier die Prostitution in Varietés, Cabarets oder Theatern. Dazu gehört auch Otto Dix, der sich nach 1920 vermehrt vergessenen Randfiguren der Gesellschaft, Hurerei und Typenporträts bedient. Leblos, ausgemergelt und teilnahmslos starrend setzte er 1923 ein „Altes Liebespaar“ in Szene, ein Doppelporträt mit Assoziationen an die christliche Ikonografie. In diesem Zusammenhang darf das 1927 von Christian Schad, einem Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit, geschaffene „Selbstbildnis mit Modell“ nicht fehlen. Das häufig reproduzierte Gemälde zeigt den Künstler in transparentem Hemd mit einer nackten, von einer Narbe im Gesicht als Eigentumsmerkmal gezeichneten Frau.

Dabei erlebte die Emanzipation der Frau in der Weimarer Republik deutliche Fortschritte, begünstigt durch wachsende Teilhabe in der Berufswelt und gesellschaftliche Mitbestimmung samt nunmehrigem Wahlrecht. Pilzfrisur, kurze Kleider oder Hosenanzüge bestimmten ihr selbstbewusstes, zuweilen androgynes Erscheinungsbild. Geradezu symbolhaft für die gesellschaftlichen Umwälzungen steht das Geschlechtergrenzen auflösende Selbstbildnis der Malerin Kate Diehn-Bitt mit Kurzhaarschnitt und maskulinem Körper ebenso wie die 1929 von Lotte Laserstein sportlich in Szene gesetzte Tennisspielerin.

Porträts, bei denen soziale Strukturen des Umfeldes wie Beruf oder Stellung ins Spiel kommen, stehen in folgenden Abschnitten im Fokus. Realitätsnah porträtierte Wilhelm Schnarrenberger einen Architekten mit Plan auf der Baustelle oder Hans Grundig einen Schüler. Darstellungen vom Rückzug in die private Idylle und der einfachen Dingwelt bevorzugten vor allem Vertreter einer klassizistisch-neuromantischen Richtung. Korrespondenzen zu Renaissance-Madonnen und Einflüsse der Nazarener beherrschen die Familienbilder von Georg Schrimpf.

Auch die Stillleben mit Ausschnitten der unmittelbaren häuslichen Umgebung sind konstruktiv aufgebaut sowie in altmeisterlicher Weise ausgeführt. Hauptmotiv der hyperrealistisch, in klar voneinander abgegrenzten Farbflächen konzipierten Werke ist der Kaktus als Symbol der Widerspenstigkeit. Dem gegenüber entführen Industriebilder in die rasend schnell prosperierende Welt der Produktion und Technik. Kalte Statik und Detailschärfe bestimmen Einblicke in menschenleere, sterile Fabrikhallen, wie sie zu Beginn der 1930er Jahre Carl Grossberg in einem Duktus wiedergab, der unmittelbar an spätere Werke Konrad Klaphecks erinnert. Auch ein über und über tätowierter Schiffsheizer, festgehalten in einem Brustbild von Otto Griebel um 1920, blickt ratlos ohne Ehrgeiz ins Nichts und mag die heutige Tätowierungssucht ins Gedächtnis rufen.

Zum Ausklang der schlüssig entwickelten Schau geht es noch einmal ins Vergnügen. Parallelwelten von Zirkus, Jahrmarkt und Varietés mit Narren, Gauklern und Akrobaten waren als Synonym für gesellschaftliches Außenseitertum und Normenüberschreitungen auch ein willkommener Motivschatz für Künstler. Doch rasch mündet die Komik in Bildwelten, die zwischen Idylle und Apokalypse pendeln. Franz Radziwills Gemälde geben sich idyllisch. Bei genauer Betrachtung jedoch rücken kontrastierende, prekäre, mystisch-abgründige Stimmungen aus Licht und Schattenbildungen in den Vordergrund, die Radziwill unter Bezugnahme auf alte niederländische Meister entwickelt hat.

Am Ende versucht Karl Hofer mit einem ausgezehrten „Rufer“ in düsterer zertrümmerter Landschaft wachzurütteln. Wirtschaftskrise, Börsenkrach, Insolvenzen, horrende Arbeitslosenzahlen, gewalttätige Auseinandersetzungen, Einschränkung von Freiheiten mündeten schließlich in eine faschistische Diktatur. Der letzte Saal ist quasi ein Gedenkraum für Felix Nussbaum. Das Schicksal des jüdischen Malers steht für viele, die ausgelöscht wurden. Vor allem der neusachliche Stil seines Lehrers Karl Hofer prägte sein Œuvre, in dem er die Erfahrungen nach dem Ersten Weltkrieg mit neun Millionen Toten und zwanzig Millionen Körperversehrten verarbeitete. Es ist der nachdenkliche Schlusspunkt eines Parcours mit spannenden Einblicken in eine Epoche, aus deren Verlauf sich Lehren für die Gegenwart ziehen lassen.

Die Ausstellung „Glanz und Elend. Neue Sachlichkeit in Deutschland“ ist bis zum 29. September zu sehen. Das Leopold Museum hat täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 17 Euro, ermäßigt 14 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erschienen, der im Museum 39,90 Euro kostet.

Kontakt:

Leopold Museum

Museumsplatz 1

AT-1070 Wien

Telefon:+43 (01) 525 700

Telefax:+43 (01) 525 701 500

E-Mail: leopoldmuseum@leopoldmuseum.org

Startseite: www.leopoldmuseum.org



11.08.2024

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Hans-Peter Schwanke

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24.05.2024, Neue Sachlichkeit in Deutschland

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Leopold Museum

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Grafik

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Malerei

Stilrichtung:


Verismus

Stilrichtung:


Moderne Kunst

Stilrichtung:


Neue Sachlichkeit

Bericht:


Zwischen Muttertypus und Kokottennatur

Bericht:


Klare Konturen in schwierigen Zeiten







Heinrich Hoerle, Drei Invaliden, um 1930

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Georg Schrimpf, Kinder in der Haustür, 1932

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Carl Grossberg, Papiermaschine, 1934

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Felix Nussbaum, Orgelmann, 1942/43

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Emil Orlik, Porträt Nelly Neppach, 1925

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