Englische Grafik im Darmstadt Unter dem Titel „Graphic Revival“ präsentiert das Hessische Landesmuseum Darmstadt eine Ausstellung, die der englischen Radierkunst um 1900 gewidmet ist. Dabei können sich die Kurator*innen Mechthild Haas, Udo Felbinger und Jessica Schmidt auf die Sammlung Kleinstück stützen, die im Jahr 2022 mit 121 englischen Blättern jener Zeit als Schenkung an das Museum kam. Die Drucktechnik der Radierung, Paradedisziplin eines Rembrandts und Goyas, war fast vollständig vergessen, als die Engländer James Abbott McNeill Whistler und Francis Seymour Haden sie wiederentdeckten. Lange Zeit war die Radierung von Kunstschaffenden als reine Reproduktionstechnik abgetan worden. Whistler, Haden und andere Künstlerinnen und Künstler in England sahen das Potential dieser Technik und entwickelten sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum eigenständigen Zweig der künstlerischen Grafik weiter. Die treibenden Kräfte dieses „etching revival“ waren dabei vor allem Malerinnen und Maler, die mit großer Virtuosität die Radierung für eigenständige Bildkompositionen nutzten und originale Kunstwerke schufen. Ihre Blätter sind durchdrungen vom Geist der Romantik und oszillieren zwischen Symbolismus und Realismus.
Die Exponate zeigen motivisch interessante Bezüge zur Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts, deren Folgen uns immer noch beschäftigen. Dampfmaschine und Schwerindustrie hatten Mittelengland in das größte Industriegebiet der Welt verwandelt. Damit begann vor gut 150 Jahren die ungebremste Ausbeutung fossiler Energien. Die schwarz-weiße Kunst des „Graphic Revival“ entstand in einer Zeit, als sich die Naturlandschaft mehr und mehr in Industrielandschaft veränderte. Statt Kirchtürme beherrschten jetzt Fabrikschlote das Bild, statt einzelner Bauern oder Handwerker jetzt eine anonyme Masse von Lohnarbeitern. Wolken entpuppten sich als aus Industrieanlagen aufsteigender Rauch. In den Kompositionen der englischen Radierer*innen wird dieser tiefgreifende Wandel durch die Verwendung starker Gegensätze deutlich. Neben das Schwarz-Weiß und Hell-Dunkel der Radiertechnik treten Extreme wie Groß und Klein, Leere und Überfüllung, Nähe und Ferne.
In der Schau sind insgesamt 20 Künstlerinnen und Künstler um Whistler und seinen Schwager Haden vertreten, etwa noch Frank Brangwyn, David Young Cameron, Ernest Stephen Lumsden, James McBey, Joseph Pennell, William Strang oder Dorothy Woollard. Neben Natur- und Landschaftsthemen beschäftigen sich die Grafiker*innen vor allem mit dem Menschen und den Spuren des alltäglichen Lebens. Zahlreiche Stadtansichten, Porträts, bäuerliche Welten und Genreszenen zeugen von diesem Interesse. Das einfache Leben der ländlichen und städtischen Bevölkerung sowie die frühen Industriegegenden wurden zu bildwürdigen Motiven. Über Jahre bestand eine enge Verbindung der englischen Strömung zur avantgardistischen Kunstszene in Frankreich, den Landschaftsmalern von Barbizon sowie den Realisten um Gustave Courbet. Zudem verweist die Schau auf Parallelen zum Radierwerk Rembrandts, der mit einigen Blättern vertreten ist.
Die Ausstellung „Graphic Revival. Natur, Mensch, Industrie in England um 1900“ läuft bis zum 29. September. Das Hessische Landesmuseum Darmstadt hat dienstags bis freitags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr und wochenends bis 17 Uhr geöffnet. Begleitend erscheint ein Katalog, der als E-Book über die Website der Ausstellung abrufbar ist.
Hessisches Landesmuseum Darmstadt
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