Wie so viele geniale Einfälle ist auch Günther Ueckers Konzept so einfach, dass der Weg zum Ziel wie selbstverständlich erscheint. Seine Nagelbilder erreichen ihre ausdrucksstarke und kraftvolle Wirkung mit sparsamem Einsatz an Mitteln: Viele Nägel, wenig Farbe, ein Stück Leinwand und Holz als Trägermedium. Das Entscheidende ist die Idee, die die Grenzen zwischen Gemälde und Skulptur auflöst, der dritten Dimension zu ihrem Recht verhilft und Perspektive und Licht in einzigartiger Weise zum Bestandteil des Kunstwerks macht. Zwei dieser begehrten Arbeiten stehen nun bei der Frühjahrsauktion für Moderne und Zeitgenössische Kunst des Kölner Familienunternehmens Van Ham zum Verkauf. Ueckers „Lichtscheibe“ von 1998 zieht den Blick in ihr verdichtetes Zentrum, das wie der Kern einer Galaxis wirkt, während die rechteckige Arbeit „Weißer Wind“ von 1990 das Auge des Betrachters wandern lässt und in ihrer ungeregelten Mischung von konzentrierten und aufgelockerten Flächen die entdeckerfreudige Fantasie anregt, wie in Wolkenformationen eigene Bilder und Metaphern zu erfinden. Die „Lichtscheibe“ ist auf 700.000 bis 1.000.000 Euro taxiert, „Weißer Wind“ auf 300.000 bis 500.000 Euro.
Im Angebot des „Evening Sale“ am 5. Juni ist zudem Günther Ueckers hochästhetisches kinetisches Objekt „Lichtkasten“ von 1966, der durch die drehbare Nagelscheibe spielerisch Licht und Schatten variabel wirft, für 150.000 bis 200.000 Euro zu haben. Ein weiteres Uecker-Werk nennt sich „Verborgen“ und gehört zu einer kleinen Werkgruppe, in der der heute 94jährige Altmeister mit verschiedenen Stoffen arbeitet: Hier bildet ein roter Kimono-Seidenstoff die Unterlage. 2007 entstanden, reflektiert das auf 80.000 bis 120.000 Euro eingruppierte Werk die seit seinem ersten Besuch in den 1980er Jahren andauernde Auseinandersetzung Ueckers mit der kulturellen Tradition Japans.
Aus einer hochkarätigen Privatsammlung, aus der Van Ham im vergangenen Jahr bereits das Picasso-Gemälde „Buste de femme“ erfolgreich versteigerte, kommt nun Serge Poliakoffs „Composition grise“ zum Aufruf. Das für die Tiefenstruktur seiner Farben gerühmte Werk aus dem Jahr 1956, in dem Poliakoff den Premio Lissone gewann, war schon in vielen Ausstellungen zu sehen und darf mit seinem roten Zentrum in den grauen Farbfeldverzahnungen durchaus den Ruf eines „Klassikers“ genießen (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Ein zweiter Poliakoff, „Composition abstraite“ aus einer deutschen Privatsammlung lebt von einem geradezu monumentalen Hell-Dunkel-Kontrast, der in sich farblich vielfältig changiert. Durch den Farben beigemischtem Sand wirkt die Oberfläche plastisch und aufgeraut. Das Ölbild stammt aus dem Jahr 1962, in dem Poliakoff Frankreich auf der Biennale in Venedig repräsentierte (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Zwölf Meter hoch ragt Tony Craggs Skulptur „Points of View“ vor der Kunsthalle im schwedischen Malmö in den Himmel; gerade einmal 75 Zentimeter hoch ist die Edelstahlversion bei Van Ham. Der in Wuppertal ansässige Künstler hat sie 2020 geschaffen. Die perfekt polierte Materie tritt in einen spannungsvollen Dialog mit den organischen Formen der Skulptur, die – ganz dem Titel entsprechend – je nach Standort ihr Aussehen verändern (Taxe 160.000 bis 220.000 EUR). Vordergründig ganz anders wirkt Gerhard Richters „Grau“, eines der zahlreichen monochromen Gemälde in dem mehrere Tausend Werke umfassenden Schaffen des epochemachenden Malers. Es gehört es zu einer Werkgruppe von neun querrechteckigen Bildern, in denen Richter 1973 ein weiteres Mal mit der Farbe Grau experimentierte. Das zunächst fast meditativ wirkende Bild weckt zunehmend Unruhe, wenn man die feinen horizontalen Linien in vielen verschiedenen Graustufen wahrnimmt, die ineinander fließen, in breitere Flächen münden oder sich sanft verzweigen. In dieser unwirklichen Landschaft, die sich der künftige Besitzer 200.000 bis 300.000 Euro kosten lassen soll, kann man sich für Stunden verlieren.
Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt wird „Die Frau im Mann“ des 2023 verstorbenen Düsseldorfers Konrad Klapheck offeriert. Es ist ein großformatiges „Maschinenbild“ mit der sorgfältig konstruierten Abbildung einer Art Schreibmaschine, ein hyperrealistisch gemaltes, surreales Motiv, denn die Maschine wäre – in der Realität nachgebaut – nicht funktionsfähig. Farben und Formen konnotiert Klapheck mit den Attributen „männlich“ und „weiblich“, ohne ihre Bedeutung damit allzu eindeutig festlegen zu wollen. Das in seiner Klarheit rätselhafte Bild ist für 300.000 bis 500.000 Euro zu haben. Von expressionistischer Gegenständlichkeit präsentiert sich ein unbetiteltes Porträt des 1964 geborenen Chinesen Zeng Fanzhi. Im Oktober 2013 wurde sein Werk „Das letzte Abendmahl“ für 23,3 Millionen Dollar versteigert, ein Auktionsrekord für zeitgenössische asiatische Kunst. Das Bild „Untitled #9“ von 2001 steht am Ende von Zeng Fanzhis „Mask“-Serie: Es zeigt in charakteristisch vergrößerten Zügen das blutverschmierte Antlitz eines Menschen, der offenbar Gewalt erlitten hat und mit dem leeren Blick eines Opfers, aber auch der starren Intensität dokumentarischer Fotos von Gefangenen den Betrachter anblickt (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR).
Mit süffisanter Ironie und lustvoll vorgetäuschter Naivität spielt Martin Kippenberger in seinem vierteiligen Werk „Hans-Jesus M. (Der Freizeitknopf, Reserviert für Oma, Nase aus der Gaststätte zur Erholung, Erster Schnee im Schwarzwald)“ aus dem Jahr 1981. Der Titel ist eine humorvolle Hommage an den Kunsthändler Hans-Jürgen Müller, der für eine Überblicksausstellung zur Kunst der 1980er Jahre im deutschsprachigen Raum verantwortlich war. Deren Titel „Tiefe Blicke – Kunst der achtziger Jahre aus der Bundesrepublik Deutschland der DDR, Österreich und der Schweiz“ greift einen Werknamen Kippenbergers auf. Die aus vier 60 mal 50 Zentimetern großen Ölbildern zusammengesetzte Arbeit zeigt in skizzenhafter Ausführung Banales, einen Toilettenstuhl, und Kitschiges, eine Mühle im Schwarzwald, und wird damit zum ironischen Kommentar der Gegenwartskunst und ihrer marktbeherrschenden Kräfte. Van Ham veranschlagt hierfür 120.000 bis 180.000 Euro.
Weitere Highlights sind der wildbewegte, farbfrohe, kaum noch erkennbare „Orange Bird“ des Niederländers Karel Appel von 1958 (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR), eine frühe titellose Übermalung Arnulf Rainers aus dem Jahr 1963 mit feinem Lichtschweif auf der schwarzen Bogenführung (Taxe 70.000 bis 100.000 EUR), eine in weißen Kreidebuchstaben 1978 auf geätzter Kupferplatte geschriebene „Zone“ von Joseph Beuys als ein bedeutungsvoll aufgeladenes Zeugnis der privaten Mythologien des Künstlers (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR) und ein Triptychon von Gottfried Helnwein, das drei der 17 Selbstbildnisse einer zyklischen Selbstreflexion von 1986 enthält. Streng komponiert, löst sich in der dreiteiligen Komposition das beinahe realistische Porträt des verzweifelt-aggressiv schreienden Künstlers in die bläulich-schwärzlichen Umrisse eines „Schmerzensmanns“ auf (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR).
Eines der höher geschätzten Werke aus dem Bereich der Modernen Kunst ist ein Apfelstilleben von Lovis Corinth aus dem Jahr 1920. Das marktfrische, meisterliche Bild in rauschenden Farben aus der Sammlung der Mäzenin Lilly von Schnitzler ist seit den 1920er Jahren bis heute in Familienbesitz geblieben (Taxe 130.000 bis 180.000 EUR). Zwei fulminante Aquarelle Emil Noldes aus den 1930er Jahren sollen jeweils 80.000 bis 120.000 Euro erlösen: „Ein Paar, Mann und Frau“ in fließendem Rot und Blau zwischen den Tuschekonturen und ein sommerlicher „Bauernhof Hülltoft bei Seebüll“ unter hohem Wolkenhimmel. Auch im mittleren Preissegment bietet die Auktion viel Bemerkenswertes, so eine charakteristische frühe Komposition Sigmar Polkes ohne Titel aus dem Jahr 1968 mit einer subtilen Paardarstellung, die erstmals auf dem Markt erscheint (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR), Georg Tapperts expressionistische „Tänzerin mit erhobenem Fächer“ aus der vergnügungssüchtigen Berliner Halbwelt nach dem Ersten Weltkrieg (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR) oder Kiki Kogelniks von der Pop Art beeinflusste Mann-Frau-Schilderung „Real Life Stinks“ eines Crossdressing-Punkpaars auf einem Diptychon des Jahres 1979 mit applizierten Sicherheitsnadeln (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 5. Juni um 18 Uhr. Eine Besichtigung der Werke ist bis zum 3. Juni möglich. |