 |  | in der Ausstellung „Lothar Baumgarten. Land of the Spotted Eagle. Werke aus der Sammlung Lothar Schirmer“ | |
„Vom Ursprung der Tischsitten“ soll die Installation aus dem Jahr 1971 künden. Auf einem Podest steht ein gedeckter Tisch mit Tellern und Serviette. Doch das Besteck hat Lothar Baumgarten durch bunte Vogelfedern und Stachelschweinborsten ersetzt. Direkt dahinter an der Wand antwortet Frans Snyders’ „Stillleben mit Wildschweinkopf“ aus den Jahren um 1645 mit einem überbordenden Arrangement aus Früchten, Federvieh und Gemüse um einen Kupfertopf, aus dem der Kopf des Schweins ragt: Hier die althergebrachte Zurschaustellung üppiger Völlerei wohlhabender Schichten, die auf der Grundlage kolonialer Ausbeutung in Saus und Braus leben konnten, dort der bissige Hinweis, wer dafür Federn lassen muss. Rund 60 Gemälde aus Flandern und den Niederlanden im Bestand des Wuppertaler Von der Heydt-Museums zeugen von diesem Reichtum. Diese und weitere Klassiker des Eigenbestandes mit Schwerpunkten im 19. Jahrhundert und der klassischen Moderne stehen im Mittelpunkt einer neu konzipierten Präsentation eigener Werke.
Ausgangspunkt der von Anna Storm unter dem Titel „Zeiten und Räume“ zusammengestellten Auswahl von 95 Gemälden und elf Skulpturen bilden die Niederlande. Im weiteren Verlauf gruppieren sich die Werke in neun Kapiteln vor chronologischem Hintergrund, aber vor allem in der Form eines visuellen Reiseführers nach Kunstorten wie Paris, Berlin oder Worpswede unter Betonung von künstlerischen Netzwerken. Doch dem nicht genug. Mit der Neupräsentation will Storm der Frage auf den Grund gehen, welche Aussagekraft die Werke in der heutigen Zeit noch besitzen. Um dies zu überprüfen, entspannt sich ein Konzept mit vier Interventionen von Lothar Baumgarten unter dem Titel „Land of the Spotted Eagle“, die in einem Prolog mit einer kleinen Kabinettausstellung seiner Arbeiten einleiten. Es ist die erste Museumspräsentation nach dem Tod des Künstlers im Dezember 2018, dessen Werke nebenbei bemerkt unisono aus der Sammlung des Verlegers Lothar Schirmer ausgeliehen werden konnten.
Der 1944 im brandenburgischen Rheinsberg geborene Lothar Baumgarten studierte zunächst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und anschließend bis 1972 an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, wo Joseph Beuys sein Lehrer war. Als prägend für sein Werksschaffen erwies sich ein Aufenthalt 1978/79 in Südamerika, währenddessen er in zwei Gemeinschaften der Yanomami am oberen Orinoco lebte. Außereuropäische Kulturen bündeln sich folglich auch in seinen Arbeiten. Ein wiederkehrendes Element stellen dabei Federn dar. Mit der Wandinstallation „Land of the Spotted Eagle“, die er erstmals 1983 im Museum Abteiberg in Mönchengladbach realisierte und von der in Wuppertal das daraus resultierende Foto-Multiple zu sehen ist, wurde Baumgarten bekannt. Schon 1974 nutzte er zwölf bemalte Adlerfedern, die an einer aus einer Jugendherberge entwendeten Wolldecke hängen, als Ausgangsmaterial für eine titellose Arbeit. Die Decke verströmt Behaglichkeit, rote Bänder an den Federn spielen auf die „Rothäute“ an, und Tablettenhülsen an den Kielen verweisen auf fehlende Arzneimittel für die eingeborenen Indianer, die durch Decken von den Kolonisatoren mit Pocken infiziert wurden und dahinsiechten.
Besonders signifikant ist die raumhohe Wandinstallation „Section 125-25-64-58 - Hommage à M.B.“ von 1972/74. Sie besteht aus 50 Adlerfedern, die in Anlehnung an das amerikanische Wappentier die Landkarte der Vereinigten Staaten nachbilden. Sie tragen die Namen indigener Gemeinschaften und sind wiederum mit Stoffbändern und Tablettenhülsen versehen. Lothar Baumgarten hinterfragt die Vergangenheit, wobei er Fundmaterialien mit vertrauten Substanzen verbindet. Die häufige Inanspruchnahme von Federn fußt auf deren Gebrauch in den Mythologien verschiedener Kulturen und Epochen. Baumgarten sucht dabei nicht die Opposition, sondern das Verbindende, fokussiert auf das vermeintlich Fremde und legt die westlich bestimmte Brille ab. Seine Versuche, Anderes und Fremdes mit dem Eigenen und Vertrauten in Austausch zu bringen, also eine andere Seite aufzuzeigen, führen dazu, dass das Geläufige dabei auch selbst zum Anderen werden kann. Seine künstlerischen Mittel sind dabei recht vielfältig. Fotografien, Filme, raumgreifende Installationen oder Bücher sind stets von hoher Sensibilität für Orte, Situationen und Materialien geprägt. Noch nie öffentlich ausgestellt wurde die aus neun Fotografien und zwei Wandmalereien bestehende Installation „Mawariton“ von 1977, die allein die gesamte Längswand des Saales in Beschlag nimmt.
Im dritten Saal versammeln sich berühmte Namen aus der Schule von Barbizon und der Bewegung der Impressionisten. Vor den Gemälden von Edouard Manet, Pierre-Auguste Renoir, Paul Cézanne, Paul Signac oder Edgar Degas sind „Moskitos“, kleine Rosinenbrötchen, positioniert, die mit seitlich eingesteckten Taubenfedern den Eindruck von Flugtieren erwecken. Das Brot als Sinnbild des Lebens, die Taube als Friedenssymbol oder auch als schmutziges Wesen zeigen die Mehrdeutigkeit in Baumgartens Werken je nach kulturellem Kontext. Dies kommt bei der Schwarzweißfotografie „Urwald“ von 1968 besonders zum Tragen. Beim genauen Hinsehen entlarvt sich rasch das Täuschungsmanöver. Denn der laut Titel suggerierte Tropenwald erweist sich als ein in Untersicht aufgenommenes Grünkohlfeld. Ein typisch deutsches Gemüse wurde zur Urwaldpflanze erhoben, das Eigene und das Fremde wiederum übereinandergelegt.
Mit der Farbfotografie „VW do Brazil“ spielte Lothar Baumgarten schon 1972 auf globale Aspekte und das Engagement des Volkswagen-Konzerns in Brasilien an. Weit vorausschauend und grafisch bestechend hat er auch hier zwei Welten verbunden: Der Innenraum eines VW-Käfers mit gestreifter Polsterung korrespondiert formal mit den geriffelten Strukturen eines Bananenblattes. Ein anderes Foto zeigt eine Feder in der Rille eines abgehobenen Parkettstücks. Verborgen, verdrängt und gezwängt in die Ordnung eines Fischgrät-Musters bemüht Baumgarten quasi die Archäologie, um in versteckten Schichten eine komplexe Diskursivität der Kunst und der menschlichen Entwicklung zu entdecken. Über herausragende Beispiele expressionistischer Malerei und der Neuen Sachlichkeit spannt sich der Bogen bis hin zu den im letzten Saal vereinten Skulpturen. Sie stehen in Verbindung mit Baumgartens „Kosmos“. Hier wird ein Weidengestrüpp mit Land- und Sternenkarten in der Form einer Friedenstaube kombiniert. Erneut lässt sich hier herauslesen: Sichtweisen des Fremden können Lesarten des Eigenen erhellen. Eine bereichernde Ausstellung, deren Besuch sich lohnt.
Die Schau „Lothar Baumgarten. Land of the Spotted Eagle. Werke aus der Sammlung Lothar Schirmer“ ist bis zum 1. September zu sehen. Das Von der Heydt-Museum hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, der im Museum 28 Euro, im Buchhandel 49,80 Euro kostet. |