Lyonel Feininger war ein Wassermensch. Immer wieder zog es den Maler an das Meer, in seiner Zeit in Deutschland häufig an die Ostsee, wo er glücklich spontane „Natur-Notizen“ anlegte, die er später ins bildmäßige Format überführte. Nach Eindrücken von der Ostsee schuf der Bauhaus-Meister 1923 auch seine „Wolken über dem Meer I“. Über einem schmalen Strand mit zwei einsamen Menschen und über dem dunklen Meer mit einer hell schimmernden Horizontlinie erhebt sich ein hoher Himmel, den Feininger in drei Wolkenblöcke aus geometrisch gestaffelten Farbflächen in Grün und Gelb unterteilt hat. Sie wirken nicht wie watteweiche Gebilde, vielmehr wie Felsarchitekturen und scharfe Lichtkegel. Von diesen typischen kristallinen Strukturen ließ sich nun im Berliner Auktionshaus Grisebach ein norddeutscher Privatsammler faszinieren, der aus dem spannungsvollen, bei 800.000 Euro begonnenen Bietgefecht im Saal und an den Telefonen für 1,9 Millionen Euro als Sieger hervorging. Für das marktfrische Gemälde zahlte er schließlich mit Aufgeld 2,36 Millionen Euro.
Noch zwei weitere Werke knackten am 30. November bei Grisebach die Millionengrenze. Mit dabei war das öffentlichkeitswirksam beworbene, letzte verfügbare Skizzenbuch aus der Hand Caspar David Friedrichs. Das gebundene Heft, das der Dresdner Romantiker 1804 auf 33 Seiten mit Bleistiftzeichnungen nach der Natur, oftmals alten knorrigen Bäumen, gefüllt hatte, gelangte schon zu Lebzeiten Friedrichs oder kurz danach in die Hände seines Künstlerfreunds Georg Friedrich Kersting und blieb bis zur Auktion im Besitz von dessen Nachfahren. Obwohl die Berliner Kulturverwaltung kurz vor der Versteigerung ein Verfahren zur Eintragung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts eingeleitet hatte, was ein Ausfuhrverbot zur Folge hat, wurde das „Karlsruher Skizzenbuch“ seiner Favoritenrolle gerecht: Ein anonymer Käufer bewilligte 1,45 Millionen Euro, mit Aufgeld 1,82 Millionen Euro (Taxe 1 bis 1,5 Millionen EUR).
Auch der dritte Millionenzuschlag des Abends bewies die Kauflust der Sammler, wenn sie eine Arbeit unbedingt haben wollten. So legte Emil Noldes späte expressionistische Farbwucht in dem Blumenbild „Mohn und blaue Lupinen“ aus dem Jahr 1950 von 800.000 Euro auf 1,3 Millionen Euro zu und wechselte nun von einer Münchner Sammlung Schieren in eine Berliner Privatkollektion. Bescheidener gab sich Noldes Figurenbild „In Demut“ von 1936, das auf ein Aquarell der 1930er Jahre zurückgeht und im Todesjahr seiner Frau Ada mit den beiden nackten Frauengestalten in synchroner vornübergebeugter Geste von innerer Einkehr und inniger Verbundenheit zeugt, mit einem Zuschlag an der unteren Schätzgrenze von 700.000 Euro. Für Noldes mit Tuschpinsel angelegte und dann aquarellierte „Marschlandschaft um Seebüll“ aus dem späten 1930er Jahren sprangen dann noch 135.000 Euro heraus (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Insgesamt zeigten sich die Kunden bei den „Ausgewählten Werken“ oftmals wählerisch und ließen von den 59 angebotenen Positionen 22 während der Auktion liegen. Mit dem Nachverkauf ging letztlich knapp Dreiviertel des Angebots weg. Dennoch sind einige markante Highlights immer noch zu haben, darunter Max Beckmanns vorgetäuschte Idylle in der Parklandschaft „Springbrunnen in Baden-Baden“ von 1936 (Taxe 700.000 bis 1 Million EUR) oder Karl Schmidt-Rottluffs ebenfalls museales „Bootshaus in Jershöft“ an einem Hochsommertag des Jahres 1920 von der Küste in Ostpommern (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR). Auch Alexej von Jawlenskys flüchtig festgehaltene „Rote Dächer“ aus Murnau überzeugten bei einer Schätzung von 250.000 bis 350.000 Euro bisher niemanden. Dagegen reüssierte bei gleicher Bewertung sein abstrahiertes stilles „Heilandsgesicht: Dem Tempelhüter“ mit geschlossenen Augen von 1921 für 280.000 Euro.
Überlegtes Kaufverhalten
Bei einigen niedrigen Preisen griff die Kundschaft dann beherzt zu, so etwa bei den „Drei Ruderbooten“, die Egon Schiele 1912 mit Tempera, Gouache und Bleistift expressiv aufs Papier geworfen hatte, für 270.000 Euro (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR) oder bei Kees van Dongens ein Jahr jüngerer, geheimnisvoll blickender Berberin „Hamida“ für 110.000 Euro (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Auch Wilhelm Lachnits eindrucksvolles neusachliches „Porträt meines Bruders“, das den Architekten Max Lachnit 1924 mit Schiebermütze und Pfeife rauchend zur Nachtzeit vor einer Eisenbahnunterführung zeigt, kam mit 75.000 Euro gut an (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR). Albert Birkles mondäne „Dame im offenen Wagen“, ein Bildnis seiner Frau Elisabeth Starosta von 1925, fuhr gemächlich zur unteren Schätzung von 150.000 Euro davon, die dazugehörige Kohlestudie einen Tag später bei 17.000 Euro (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Trotz Künstlerinnenbonus hatte die deutsch-südafrikanische Expressionistin Irma Stern mit ihrer jungen schwarzen Frau von 1927, die auf einer Makhoyane Musik macht, kein Glück (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR), ebenso Karl Hofers ruhige und vertrauliche Schilderung eines „Mädchens mit Blumenstrauß“ von 1943 (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Dafür schoss Renée Sintenis den Vogel ab. Ihre gelängte Bronzefigur „Große Daphne“ von 1930, die sich den Nachstellungen Apollons entzieht und in einen Baum verwandelt, verdoppelte mit 400.000 Euro ihre obere Schätzung und geht nun zum Auktionsrekord in eine süddeutsche Sammlung ein. Nicht ganz so erfolgreich war Georg Kolbe mit seiner schwarzen „Sklavin“ von 1916, die eng mit Michelangelo Buonarrotis „Sterbendem Sklaven“ aus dem Louvre verwandt ist und sich an der unteren Taxgrenze von 150.000 Euro orientierte. Bei den jüngeren Bildhauern konnten dann Baltasar Lobo mit seinem anthrazitgrauen weiblichen Bronzetorso „Pièce d’eau sur socle“ von 1971/86 bei 400.000 Euro (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR) und Tony Cragg mit seinen beiden an der menschlichen Physiognomie orientierten, dennoch wie zufällig konstruiert erscheinenden Stelen aus der Serie „Rational Beings“ von 2019 bei 140.000 Euro punkten (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR).
Eigentlich behauptet sich Ernst Wilhelm Nay gegenwärtig im Auktionsgeschäft recht gut, bei Grisebach war die Nachfrage für seine vier Arbeiten aber nicht so groß. Die teuerste, das Scheibenbild „Alpha“, wurde vor der Auktion zurückgezogen, und nur die noch figurativ angehauchte „Angelika“ in einer üppigen Naturerinnerung erreichte die unteren anvisierten 120.000 Euro. Auch sonst mangelte es etwas an Interesse für die gestische Kunst der Nachkriegsepoche: Weder Zao Wou-Kis Komposition „21.07.50-Saint-Jeoire – Montagne jaune“ aus dem Jahr 1950 (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR), noch Emil Schumachers rot grundierte schrundige Aufwerfung „Gregor“ von 1967 mit formatfüllender schwarzer Bogenlinie fanden einen Abnehmer (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Mehr Fortune hatten Fritz Winters von warmer Exotik durchzogene Leinwand „Afrikana I“ von 1957 bei 150.000 Euro (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR) und Hans Hartung, der schon sein frühes kraftvolles Strichbündel „T1948-41“ samt runder Spiralform von 1948 für 260.000 Euro in Schweizer Handel abgab (Taxe 150.000 bis 180.000 EUR) und sich dann noch über 360.000 Euro für sein Spätwerk „T 1980 H 34“ mit einem schwarzen Gespinst auf zitronengelbem, türkisblauem und rotem Grund freute (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR).
Mit der US-Amerikanerin Alice Baber stellte Grisebach eine in Europa weitgehend unbekannte Vertreterin des Abstrakten Expressionismus vor. Ihre lichten bunten Farbseen „Ladder Rising“ von 1965, die ein Jahr später in ihrer ersten deutschen Einzelausstellung im Kölnischen Kunstverein zu sehen waren, verlangten 30.000 Euro (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR). Wieder etwas mehr Gegenständlichkeit zog mit René Magrittes kleinem Gemälde weißer Wölkchen am hellblauen Himmel von 1963 ein. „La Malédiction“, also „Fluch“, so der Titel der unschuldigen Formationen, wechselte für 480.000 Euro in Schweizer Kunsthandel (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR), hatte den Einlieferer 2015 bei Grisebach aber schon 700.000 Euro netto gekostet. Gut lief es für die kontrastreiche Gouache „Ouesten“, in der David Hockney 1994 collageartige Versatzstücke miteinander kombinierte; sie geht für 175.000 Euro in die USA (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Per Kirkebys titelloses, ebenfalls naturinspiriertes Großformat aus dem Jahr 2011 konnte ein skandinavischer Händler schon bei 350.000 Euro ergattern (Taxe 350.000 bis 550.000 EUR). Konrad Klaphecks „Schöne Hausfrau“, eine eigenartige surreale Badewannenarmatur von 1967, die sich zum erotischen Fetischobjekt wandelt, gab sich gleichfalls mit der unteren Bewertung von 180.000 Euro zufrieden.
Mit Frauenpower
Der jüngste Künstler der Abendauktion war Jonas Burgert, der mit seinem „Kaltlauf“ von 2010 eine endzeitliche Parabel schuf und die düsteren Ruinen der Zivilisation bei 130.000 Euro in der Mitte der Taxgrenzen platzierte. Auch bei der „Zeitgenössischen Kunst“, die Grisebach am 1. Dezember aufrief und losbezogen zu verhaltenen 63 Prozent absetzte, spielte der 1969 geborene Berliner Maler mit seinen dystopischen Kompositionen eine wichtige Rolle: Burgerts „Treppenspringer“ erhielt 70.000 Euro (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR) und wurde von den erschreckenden Stabfiguren „Haupter“ bei 72.000 Euro überrundet (Taxe 28.000 bis 34.000 EUR). Preislicher Höhepunkt waren die 140.000 Euro an der oberen Schätzgrenze für zwei im Konvolut offerierten Diptychen „who knows the beginning and who knows the end“ von Blinky Palermo aus dem Jahr 1976, die der Kunsthistoriker Bernhart Schwenk zu den „vielleicht wichtigsten und schönsten Zeichnungen von Palermo“ rechnet. Die Grenze von 100.000 Euro ließen zudem noch Martin Kippenbergers kritzelige Malerei „Ei Gelb“ samt Comic-Figur mit ausgeprägter Gurkennase von 1994 bei 110.000 Euro (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) und Sigmar Polke mit einem anzüglichen Aktbild von 1974 bei 125.000 Euro hinter sich (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Positiv entwickelten sich die Preise für einige Künstlerinnen, etwa für Christa Dichgans, die sich 1969 dem Sujet Spielzeug verschrieb und für ihre gemalten aufblasbaren Gummifiguren mit Schneewittchen und einem Clown gute 32.000 Euro respektive 45.000 Euro einnahm (Taxe je 15.000 bis 20.000 EUR). Für die französische Bildhauerin Camille Henrot und ihre Bronze „Self Effacing Management Politics“ von 2016 aus der Serie der „Desktop Series“, mit der sie Anleitungen zur körperlichen Selbstertüchtigung gibt, kamen 55.000 Euro zusammen (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR). Ihre Kollegin, die Konzeptkünstlerin Sophie Calle, gesellte sich mit ihrer zweiteiligen Schrift-Foto-Arbeit „L’Hôtel – Room 29, 19 February“ bei 18.000 Euro hinzu (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). An Astrid Kleins feministischer Fotografie „Eine Frau muß geliebt werden – und sie muß wissen, daß sie geliebt wird.“ von 1978, die mit dieser Schlagzeile die dargestellte gewalttätige Paarsituation konterkariert, blieben 13.000 Euro hängen.
Martha Jungwirths titelloses Aquarell von 2007, auf der sich schemenhaft ein Stuhl andeutet, spielte 38.000 Euro ein, Rebecca Horns zarte wirbelnde Zeichnung „Himmelswurzeln“ sogar 75.000 Euro (Taxe je 30.000 bis 40.000 EUR). Zur älteren Generation gehörte auch die Schweizerin Verena Loewensberg, die mit ihrer meditativen, an eine aufgehende Sonne erinnernden Kreisform bei 48.000 Euro ebenfalls ein Publikumsliebling war (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR). In den Herbstauktionen konnte Grisebach gut 24 Millionen Euro brutto einfahren. Den Jahresumsatz bezifferte das Berliner Auktionshaus mit mehr als 47 Millionen Euro, der deutlich unter den 73 Millionen Euro des vergangenen Jahres liegt. Allerdings gab es 2022 einen Sondereffekt: So schlug damals Max Beckmanns „Selbstbildnis gelb-rosa“ allein mit 23,2 Millionen Euro brutto in der Grisebach-Bilanz zu Buche.
Die Einzelergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |