Er ist wieder da! Eigentlich sollte Hermann Max Pechstein in Gestalt eines fulminanten Selbstbildnisses aus dem Jahr 1909 schon im Frühjahr bei Lempertz den Besitzer wechseln. Doch daraus wurde nichts. Denn ein Nachfahre des ehemals jüdischen Eigentümers, des Kölner Arztes Walter Blank, ließ das expressionistische Spitzenwerk noch am Auktionstag in der Lost Art-Datenbank registrieren. Das verunsicherte potentielle Käufer. Hatte Lempertz die Provenienz im Katalog noch verschwiegen, musste das Kölner Auktionshaus dann erst aufwändig darlegen, dass das Portrait des Malers schon 1956 von der Bundesrepublik Deutschland zum Höchstsatz entschädigt worden war und laut einem Anwalt der Erben Blanks eine einvernehmliche Lösung zwischen ihnen und der rheinischen Privatsammlung bestand, in der es seit 1936 beheimatet ist. Jetzt scheinen alle Unsicherheiten ausgeräumt zu sein. So verzeichnet der Katalog zum anstehenden „Evening Sale“: „Die Einigung hat zur gütlichen Beilegung aller offenen Fragen in Bezug auf die Provenienz und eigentumsrechtlichen Fragen an dem Werk geführt, so dass der Erwerber unbeschränktes Eigentum, frei von Ansprüchen aller Art, erwirbt.“
Das museale Glanzstück aus bester expressionistischer Brücke-Zeit, in dem sich Hermann Max Pechstein in kraftvoll leuchtendem Kolorit am Boden liegend mit Palette in der Hand, Pfeife rauchend und selbstbewusst beim Malen portraitierte, tritt wie schon im Juni für 1,5 bis 2 Millionen Euro an und ist damit das Spitzenlos der Versteigerung. Doch die deutsche Kunst der Moderne kann mit weiteren Highlights am 1. Dezember in Köln punkten. Vor allem der Expressionismus ist gut und dicht besetzt. So gibt es neben mehreren Aquarellen Emil Noldes, darunter seiner sich gelb-orange aufbäumenden Wolkenformation am „Abend über Nordfriesland“ (Taxe 120.000 bis 140.000 EUR), auch sein Ölgemälde „Nachmittagswolken, Friesland“ von 1940, in dem Nolde die Weite seiner Heimat mit einsamem Bauernhof unter sich hoch auftürmenden, in Schwarz und Weiß kontrastierenden Wolken als farbintensives eindrucksvolles Naturschauspiel einfing. Nicht zuletzt der Erstbesitzer, der Hannoveraner Großsammler Bernhard Sprengel, rechtfertigt die Preisvorstellung von 1 bis 1,2 Millionen Euro.
Heinrich Campendonk schickt gleich vier Arbeiten in den „Evening Sale“. Angeregt von seinem Blaue Reiter-Kollegen Franz Marc widmete sich Campendonk in den 1910er Jahren der Darstellung von Tieren. In seiner Gouache „Kind mit Fischen“ transformiert er die Einheit von Natur und Mensch in ein spannungsreiches farbleuchtendes Mosaik zwischen Kubismus, Futurismus und Orphismus (Taxe 200.000 bis 220.000 EUR). Ebenfalls im Besitz seiner Familie verblieb bis heute Campendonks Ölgemälde „Harlekin“ aus der Mitte der 1920er Jahre, das mit seinem stillen und traurigen Zirkuspersonal eher ein melancholisches Moment zum Schwingen bringt (Taxe 400.000 bis 450.000 EUR). Ein reizvolles und anrührendes Kinderbildnis aus Worpswede schuf Paula Modersohn-Becker 1904 mit ihrem „Sitzenden Jungen mit Strohhut unter Birken“, dem ein kleines, rot gewandetes Mädchen folgt (Taxe 250.000 bis 300.000 EUR).
In unmittelbarer Nähe seines Bonner Wohnhauses sah August Macke zwei Kinder, die mit einer Ziege spielen. In dem musealen Werk von 1912 aus seiner besten Schaffenszeit verdichtet Macke unter dem Eindruck von aktuellen Kunstströmungen aus Frankreich wie Kubismus und Orphismus Figurenbild und Landschaft zu einem energiegeladenen Gemälde (Taxe 700.000 bis 800.000 EUR). Mackes winterlicher kahler „Baum in verschneiter Landschaft“ unter strahlendem Sonnenschein von 1910 weist noch mehr impressionistische Zutaten auf (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Mit Max Liebermanns um 1928 furios gemalten „Blumenstauden am Gärtnerhaus nach Osten“ aus seiner Wannsee-Villa kann sich auch der deutsche Impressionismus bei Lempertz sehen lassen (Taxe 380.000 bis 420.000 EUR). Eher Studiencharakter vermittelt sein Ausschnitt von einem Gartenlokal an der Havel von 1916, das daher um 200.000 Euro weniger auf das Auktionspult steigt. Überraschenderweise als Grisaille hat Impressionisten-Kollege Lesser Ury in den 1890er Jahren seine Havellandschaft bei Sonnenuntergang ausgeführt (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR).
Lovis Corinth steuert dann seinen Blumenstrauß mit Papageientulpen und Pagode in Gestalt eines lachenden Buddhas von 1908 bei (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Auch mythologische Sujets spielen im Schaffen Corinths eine wichtige Rolle. So frönen die junge Bacchanten und Mänaden, die sich auf seinem „Bacchantenzug“ von 1896 nackt um einen alten Bacchus scharen, der Lust und dem Wein und schrecken wohl auch nicht vor sexuellen Handlungen zurück, angedeutet durch einen vorwitzigen Hasen im Gras (Taxe 175.000 bis 250.000 EUR). Für neusachliche Tendenzen stehen im Katalog zwei Portraits: Christian Schads ansprechendes Idealbildnis einer „Jungen Münchnerin mit Hut“ von 1922 (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR) und Massimo Campiglis halbfiguriges Bildnis seiner Ehefrau, der Malerin Magdalena Radulescu, mit schweren Augenliedern aus dem Jahr 1928 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Ein Jahr später hatte sich Yves Tanguy schon in die Ungegenständlichkeit verabschiedet und deutet eine surrealistische Landschaft mit amorphen organischen Formen im Schwebezustand an (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR).
In der Nachkriegszeit dominiert die französische Kunst. Als Farbexplosion im Zentrum des weinroten Grundes gestaltete Georges Mathieu 1960 mit kurzen stakkatoartigen Geraden, Bögen und Zickzacklinien den „Herzog von Sachsen“, der auf die Ermordung des normannischen Heerführers Gottfried im 9.
Jahrhundert anspielt (Taxe 180.000 bis 200.000 EUR). Pierre Soulages ist für eine ein Jahr jüngere, intensive Farbbalkenüberlagerung in Schwarz auf ockerfarbenem Karton verantwortlich (Taxe 160.000 bis 180.000 EUR), Hans Hartung für seine gestischen Strichbündel- und sternförmigen Linienüberlagerungen in Schwarz auf braun-blauem Grund der Leinwand „T1962-31“ von 1962 (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR). Obgleich im kanadischen Montreal geboren, zog Jean-Paul Riopelle 1947 nach Paris und fand in Soulages, Wols und Mathieu Verwandte im Geiste. Sein dunkel leuchtendes Farbmosaik „Automne II–Symphonie“ von 1954 erinnert nicht nur im Titel an die Natur und den Lauf der Jahreszeiten (Taxe 400.000 bis 500.000 EUR).
Auch der 1874 in Montevideo geborene Joaquín Torres García ließ sich 1936 in Paris nieder und gründete mit Michel Seuphor, Piet Mondrian, Hans Arp und Le Corbusier die Gruppe „Cercle et Carré“. Das sieht man seinem späten Gemälde „Construcción con sol y luna“ von 1948 an, in der sich präkolumbianische Kunst und eine europäisch geprägte geometrische Abstraktion mischen (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Wild und beinahe orgiastisch sind Karel Appels farbkräftige „Têtes Volantes“ von 1958 (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR), wohlüberlegt und abgewogen dagegen Josef Albers’ „Study for Homage to the Square“ von 1967 in grün-blau-weißer Farbstellung (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Mit dem Quadrat in serieller Reihung agiert dann Jan Schoonhoven auf seinem kleinen weißen Relief „Ingevuld 1“ von 1964 (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Die 2022 im Alter von 106 Jahren verstorbene Carmen Herrera zählt zu den Protagonistinnen der geometrischen Abstraktion und fand Mitte der 1950er Jahre in New York mit der Hard-Edge-Malerei zu ihrer endgültigen Bildsprache. Ihr kleines titelloses Querformat aus dem Jahr 2017 wird durch den zweifarbigen Kontrast von Schwarz und Grün, eine makellose Oberfläche und einen objekthaften Charakter bestimmt (Taxe 50.000 bis 60.000 EUR).
Bei Günther Uecker treffen eine durchdachte „Diagonalstruktur“, das Nagelbild No. 6 aus der zehnteiligen Serie der „Parallelstrukturen“ von 1975, und ein unruhig wogendes Nagelfeld von 1993 aufeinander (Taxe je 150.000 bis 200.000 EUR). Ins Malerische geht es dann wieder mit Piero Dorazios Leinwand „Gli Incamminati“ von 1968. Und tatsächlich scheint es auf dem Querformat die im Titel beschrieben „Wanderer“ zu geben: Es sind die bunten, vertikal und diagonal gesetzten Farbbalken, die dynamisch in den Raum ausgreifen und Bewegungsmomente evozieren (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). „Grün-Blau-Rot“ zählt zu Gerhard Richters bekanntesten Editionen. Die mit der Rakel übereinander gelegten Farbschichten schuf er 1993 für die Züricher Zeitschrift „Parkett“ in einer Auflage von 115 nummerierten Unikaten, von denen die Nummer 13 marktgängige 250.000 bis 350.000 Euro einspielen soll. Von einem Aufenthalt in einem Luxushotel im Départment Vosges südlich von Nancy zeugt die farbige Zeichnung „Grand Hotel Terrace, Vittel“ des reisefreudigen David Hockney aus dem Jahr 1970 (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR). Ehe es mit der Lichtmaterialisation auf Heinz Macks blau geprägter Farbchromatik „Zwischen Tag und Traum“ von 1992 wieder in die Abstraktion geht, schauen Christo und Jeanne-Claude noch einmal vorbei und stellen die großformatige Kohlezeichnung „Wrapped Reichstag“ und damit eine frühe Entwurfsidee von 1977 für das Großprojekt in Berlin zur Verfügung, das erst 1995 realisiert werden konnte (Taxe je 100.000 bis 150.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 1. Dezember um 18 Uhr. Die Besichtigung der Kunstwerke ist bis zum 30. November täglich von 10 bis 17:30 Uhr möglich, der Katalog im Internet unter www.lempertz.com abrufbar. |