| | in den neuen Sammlungsräumen | |
Vor fast genau 100 Jahren konnte Düsseldorf mit einem neuen, bis heute einzigartigen Architekturensemble aufwarten: Dem expressionistischen Kunstpalast um den Ehrenhof. Der Architekt und Düsseldorfer Akademieprofessor Wilhelm Kreis hatte für die 1926 veranstaltete „Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen“, kurz „GeSoLei“ genannt, eine direkt am Rhein gelegene U-förmige Dreiflügelanlage aus Backstein und Muschelkalk als Kern von mehreren Ausstellungsbauten entworfen. Nach der Erfüllung des eigentlichen Zwecks wurde hinter den monumentalen Prachtfassaden das städtische Kunstmuseum aufgebaut, das heutige Museum Kunst Palast. Nach 1985 und 1998 stand nun eine erneute Ertüchtigung an aktuelle technische Standards und eine zeitgerechtere Präsentationsform an. Äußerlich unverändert, haben nun im Inneren Museumsdirektor Felix Krämer und die beiden Kuratorinnen Felicity Korn und Westrey Page den eigenen Bestand zu einem geschlossenen Rundgang durch abwechslungsreiche, ungleich zugeschnittene 49 Räume arrangiert.
„Die Bedürfnisse und Fragen der Museumsbesucher*innen sind heute nicht mehr die gleichen wie vor zehn oder zwanzig Jahren“, beschreibt Krämer die Ausgangslage für die museale Neukonzeption. Diesen Wandel genau zu beobachten und darauf zu reagieren, sei die entscheidende Herausforderung gewesen. „Unser Ziel ist es, sich in das Publikum hineinzuversetzen und auch Menschen anzusprechen, die den Museumsbesuch nicht von Kindheit an kennen“, so Krämer weiter. Daher war es für ihn ein wichtiges Anliegen, den Zugang zum Museum möglichst niederschwellig zu gestalten. „Mehr denn je soll der neue Kunstpalast ein Ort sein, an dem sich alle Menschen – unabhängig von Alter und kunsthistorischer Vorbildung – wohlfühlen und Neues entdecken können“, beschreibt Felix Krämer seine Vision für das Haus. Dafür hat der Direktor auch kräftig in die Vermittlungsarbeit investiert, ein „Palast Studio“ als offenen und barrierefreien Werk- und Denkraum konzipiert, eine Kunstpalast-App zu immersiven Erweiterung des Kunsterlebnisses entwickelt oder mit dem „Rhino Palast“ fünf Sonderräume für Kinder in der Sammlung von dem Künstler und Illustrator Christoph Niemann gestalten lassen.
Der Rundgang beginnt im Obergeschoss des östlichen Wechselausstellungs- und Konzertriegels, schlängelt sich durch das Torhaus im Norden und den Ausstellungstrakt über zwei Etagen hinweg und ist durch neue großzügige Wendeltreppen an den Endpunkten verbunden. Den vorgegebenen Weg unterbrechen keine Sackgassen, geschlossene Türen oder wechselnde Bodenbeläge. Einheitlich geweißtes Eichenholzparkett, dezent in grau gefasste Notausgangsschilder oder hinter Blenden versteckte Steckdosen und Feuerlöscher sorgen für eine ungemein klare, aufgeräumte Atmosphäre, in der nichts von der Kunst ablenkt. Mehrere wieder freigelegte Fenster erlauben eine bessere Orientierung und entspannte Blicke ins Freie. Denn nicht weniger als rund 800 aussagekräftige Objekte verschiedener Gattungen – von einer Buddha-Statue aus dem zwölften Jahrhundert über großformatige Tafelbilder bis hin zur neuen interaktiven VR-Arbeit – schlagen in 35 Kapiteln einen weiten Bogen über die Kunstgeschichte vom Mittelalter bis in die Jetztzeit.
Neben signifikanten Werken von prägenden Künstlerpersönlichkeiten wie Wilhelm von Schadow oder Gerhard Richter haben Krämer, Korn und Page aus den über 130.000 Objekten des hauseigenen Bestandes auch weniger bekannte „Depotwerke“ integriert, um auch Nebenwege der Kunstgeschichte abseits aktueller Prämissen vorzustellen. Sie können von Zeit zu Zeit immer wieder ausgetauscht werden. Hierarchien in Form von Haupt- und Vertiefungsräumen gibt es nicht. In der groben chronologischen Ordnung genießt jedes Stück dieselbe Relevanz. Kunstgewerbliche Artefakte oder Fotografien wurden gleichberechtigt im Dialog mit anderen Exponaten arrangiert. Abseits stilgeschichtlicher Kategorien sollen so Korrespondenzen unter Arbeiten aus der selben Entstehungszeit oder manchmal auch über Jahrhunderte hinweg herausgefiltert werden. So ergeben sich überraschende Kombinationen wie beispielsweise die eines japanischen Boro-Kimonos aus dem 19. Jahrhundert mit dem Gemälde „Die Kartoffelernte“ von Max Liebermann, in dem der Kleidungsstoff der niederländischen Bäuerin dem des Kimonos hinsichtlich der Materialität und Nutzung verwandt ist.
Schon gleich am Anfang stoßen die Besucher*innen auf das Doppel einer mittelalterlichen Marienfigur und einem zeitgleich entstandenen Buddha aus Thailand. Flämische Renaissancegemälde wurden mit einer Ritterrüstung verknüpft, und ein wandfüllendes Gemälde des Kurfürsten Jan Wellem hängt neben einem aufgeklappten Schreibschrank mit reicher Marketerie. Denn seit der Auflösung des Düsseldorfer Kunstgewerbemuseums im Jahr 1928 und der Eingliederung dieser Bestände in das Kunstmuseum sowie der Betreuung der Kollektion der Düsseldorfer Kunstakademie seit 90 Jahren verfügt der Kunst Palast über einen derart allumfassenden Fundus von Schmuckstücken und Gläsern über Porzellan, Textilien, Möbeln, Zeichnungen, Grafiken und Gemälden bis zu Designobjekten, Videos und VR-Installationen, der dem Haus schon einmal den despektierlichen Ruf eines „Gemischtwarenladens“ eingebracht hat.
Bei der publikumswirksamen Strategie der Neupräsentation kamen auch sogenannte „Palastpiloten“ zu Zug, eine aus 1000 Bewerbern gefilterte kleine Auswahl von Kunstinteressierten, die mit ihren Vorschlägen auf einige, meist subtile Veränderungen hinwirkten. Dazu gehört etwa das Aufrücken der Werktitel auf den Beschriftungen an die erste Stelle, Künstlername und weitere technische Angaben folgen verkleinert darunter. Der deutlich gestiegene Anteil weiblicher Kunstschaffender, etwa ein Stillleben von Emilie Preyer oder Henrike Naumanns Möbelinstallation „DDR Noir“, zählt genauso dazu wie die erstaunlich frühe Präsenz queerer Positionen oder die Relevanz gesellschaftlich-politischer Fragestellungen. So beschäftigt sich ein Kapitel mit dem Wandel infolge der Industrialisierung und Urbanisierung zum Ende des 19. Jahrhunderts. In dem Gemälde „Ungelöste Fragen“ von Emil Schwabe aus dem Jahr 1887 werden politische Unruhen und soziale Ungleichheiten thematisiert, und gleich daneben verweisen drei nackte männliche Figuren in einer von Hans von Marées um 1874 illustrierten Landschaft offen und nicht ganz jugendfrei auf gleichgeschlechtliche Beziehungen. Mut bewies das Leitungsteam bei der gründlich kommentierten Kunst aus nationalsozialistischer Zeit in einem Saal, aus dessen Fenster man direkt auf Arno Brekers Figur der „Aurora“ auf dem Dach des Torbaus schaut.
Natürlich werden lokale Einschläge wie die Düsseldorfer Malerschule, die Gruppe ZERO mit dem einzigen von ihren Hauptvertretern Günther Uecker, Otto Piene und Heinz Mack gemeinsam geschaffenen Kunstwerk, dem „Fontana-Lichtraum“, und neuere Exponenten der bedeutenden örtlichen Kunstakademie wie Joseph Beuys, Gerhard Richter oder Tony Cragg angemessen gewürdigt. Zu den Überraschungen gehört die Integration des „Creamcheese“ aus dem Jahr 1967, eines Düsseldorfer Clubs und Szenetreffs. Neben dem Thekenbereich der legendären Kneipe sind die seinerzeit dafür entstandenen Werke von Günther Uecker, Gerhard Richter, Daniel Spoerri, Ferdinand Kriwet, Lutz Mommartz, Danilo Silvestrin und weiteren Künstlern wieder als originales Ensemble zu erleben. Nach Schließung des „Creamcheese“ 1978 konnte das Interieur vom Kunst Palast erworben werden. Noch nicht eingegliedert in den von Sieber Architekten aus Düsseldorf nach einer europaweiten Ausschreibung vorgenommenen Umbau, den sich die Stadt Düsseldorf rund 50 Millionen Euro kosten ließ, ist die weltweite Reputation genießende Glassammlung mit ihren 13.000 Stücken von der Antike bis hin zum zeitgenössischen Studioglas. Die Eröffnung dieses separaten Sammlungsbereichs wird für den Frühsommer 2024 angepeilt.
Das Museum Kunst Palast hat täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr geöffnet. Bis zum 26. November ist der Eintritt für alle in die ständige Sammlung kostenlos. Regulär beträgt er inklusive der Wechselausstellungen 16 Euro, ermäßigt 12 Euro; für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist er frei. Am 25. November feiert das Museum von 11 bis 18 Uhr ein „Großes Palast-Fest“. Zur Eröffnung ist ein Begleitbuch im Wienand Verlag erschienen, das im Museumsshop für 29,90 Euro, in der Prachtausgabe für 49,90 Euro zu haben ist. |