Künstler aus Frankreich stehen an der Spitze des Evening Sale mit Kunst des 20. Jahrhunderts bei Lempertz in Köln. Bei der Moderne ist es Alberto Giacometti mit einem Denkmalsentwurf. Sein „Projet pour un monument pour Gabriel Péri. Projet pour une place“ aus dem Jahr 1946 sollte vor dem Pariser Bahnhof Saint Lazare realisiert werden und an den Journalisten Gabriel Péri erinnern, der als Abgeordneter der Kommunistischen Partei nach einer öffentlichen Rede in der Nationalversammlung von den deutschen Besatzern verhaftet und umgebracht worden war. Zu einer Entscheidung des Wettbewerbs und zu einer Umsetzung kam es damals aber nicht, da die Kommunistische Partei 1947 aus der Regierung schied und damit das Projekt für das Denkmal ad acta gelegt wurde. Dennoch gilt Giacomettis kleine Bronzegruppe als Meilenstein in seinem Schaffen. Denn erstmals nutzte er hier das zentrale Motiv des schreitenden Mannes, das sein weiteres Œuvre dominieren und letztlich in seinen berühmten lebensgroßen „L’homme qui marche“ von 1960 kulminieren sollte. Für die beiden postum 1993/94 gegossenen Bronzeplastiken hat Lempertz eine Schätzung von 1,8 bis 2,2 Millionen Euro vorgesehen.
Auch bei der Kunst seit 1945 hat ein mit Frankreich verbundener Maler das Sagen. Es ist der Kanadier Jean-Paul Riopelle, der sich 1947 in Paris niederließ und hier wichtige Anregungen für sein tachistisches Schaffen erhielt. Sein dunkel leuchtendes Farbmosaik „Automne II–Symphonie“, gemalt 1954 in einer frühen Hochphase, ist Ausweis der sicheren, individuellen Handschrift und des koloristischen Talents des noch jungen Künstlers und seit 1967 in einer rheinischen Privatsammlung beheimatet, die vor allem bei der Moderne weitere Höhepunkte im Auktionsgeschehen stellt (Taxe 600.000 bis 700.000 EUR). Dort hingen etwa noch Alexej von Jawlenskys „Kopf“ einer jungen Frau aus der Zeit um 1913, in der sich der Expressionist schon von allem Dekorativen verabschiedet und mit klaren Formen sowie kontrastierenden Farben auf das Wesentliche konzentriert hat, und sein 1917 noch weiter stilisierter und flächig reduzierter „Mystischer Kopf: Kopf in Lila und Blau“ (Taxe je 300.000 bis 400.000 EUR). Auch an der Murnauer Landschaft „Häuser am Wald“ von 1911, in der Gabriele Münter die Farbe vom Gegenstand befreit und ihren Eigenwert betont hat, konnten sich die Rheinländer erfreuen (Taxe 300.000 bis 350.000 EUR).
Der deutsche Expressionismus meldet sich am 2. Dezember noch mit weiteren Leckerbissen zu Wort und stellt etwa mehrere Aquarelle Emil Noldes zur Verfügung, darunter sein farbkräftiges markantes Frauenportrait um 1907 (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Eine Urlaubserinnerung fixierte Hermann Max Pechstein um 1920 mit seinem „Dorfende und Wanderdüne in Nidden“ in leuchtendem Kolorit und gab auf der Rückseite mit „Frank im Lupinenfeld mit Schmetterlingen“ noch ein feinfühliges Porträt seines heranwachsenden Sohnes hinzu (Taxe 160.000 bis 180.000 EUR). Mit wenigen kantigen Linien hielt Franz Marc 1912 in seinem „Skizzenbuch XXV“ einen Esel in stilisierter Landschaft fest (Taxe 25.000 bis 30.000 EUR). Cuno Amiet war der einzige Schweizer, der von 1906 bis 1913 Mitglied in der Künstlergruppe „Die Brücke“ war. Von einem expressiven Zugriff zeugt noch sein Spätwerk eines Gartentors in üppiger Natur von 1931 (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR). Und auch bei Lovis Corinth und seinem Blumenstillleben „Meißener Schale mit Teerosen“ von 1911 lässt sich nicht nur eine stilistische Schublade aufmachen (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR).
Politisch aktiv
Doch in Deutschland keimten auch andere künstlerische Ideen auf. Um 1920 begann der Kölner Anton Räderscheidt mit der Stilllebenmalerei und griff dabei auf die Neue Sachlichkeit zurück, in der seine auf drei Elemente reduzierte Tafel „La Lettera“ von 1923 gehört. Auf einem nicht näher definierten Grund stehen ein Wasserglas mit zwei weißen Tulpen, der titelgebende Brief und ein Schmetterling in einem dunklen Raumgefüge (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR). Mit ihrer vereinfachten malerischen Sprache wollten die „Kölner Progressiven“ die Massen ansprechen und sie zum politischen Handeln bewegen, darunter Heinrich Hoerle 1931 mit seinem in Farbzonen zerlegten „Arbeiter“. Für die marktfrische Leinwand, die sich einst in der Sammlung August Sanders befand, sind 200.000 bis 300.000 Euro und damit der neue Auktionsrekord vorgesehen. In dieser Zeit hatte sich Hermann Glöckner schon in die Ungegenständlichkeit verabschiedet und 1932 seinen konstruktivistischen „Sechszackigen Stern in Gold“ materialreich mit Collage, Tempera, Asphaltlack und Ritzung auf die Pappe gebracht (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR).
Über Giacometti und Riopelle hinaus ist der Katalog mit Kunst aus Frankreich gut bestückt. Ein luzides Aquarell gestaltete Paul Cézanne um 1895/1900 mit seiner flüchtigen Landschaft „Entrée de maison et arbres“ (Taxe 130.000 bis 150.000 EUR). Georges Seurat griff bei seiner kleinen Ölstudie mit Spaziergängern „Dans la rue“ von 1882/83, die sich zuletzt als Leihgabe der Sammlung Corboud im Kölner Wallraf-Richartz-Museum befand, dann schon tiefer in den Farbtopf (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Angeregt von Seurat, entdeckte Albert Dubois-Pillet ab Mitte der 1880er Jahre den Pointillismus und malte derart 1889/90 die frühherbstliche Abendstimmung „Champs en Île-de-France“, die ebenfalls zur Sammlung Corboud gehörte (Taxe 40.000 bis 50.000 EUR). Aristide Maillol setzt dann mit seiner kraftvoll ausgeführten Götterstatue „Pomone à la Tunique“ von 1921 einen ausgeprägten bildhauerischen Akzent (Taxe 100.000 bis 120.000 EUR), den die polnisch-französische Künstlerin Mela Muter mit ihrer architektonisch erfassten Ansicht von Avignon in warmem Kolorit um 1940 in Malerische überführt (Taxe 80.000 bis 100.000 EUR). Mit Salvador Dalís Kohle- und Tuschezeichnung „Industrial Life – Prémonition de la Guerre Civil“ von 1937, auf der er kritisch zivilisatorischen Prozessen und politischen Entwicklungen gegenübersteht, streift die Offerte ferner den Surrealismus (Taxe 120.000 bis 140.000 EUR).
Kunst nach 1950
Pablo Picasso ist mit drei Zeichnungen und mehreren keramischen Arbeiten an der Auktion beteiligt und führt das Angebot in die Zeit nach 1950. Seine auf den 25. August 1946 datierte Zeichnung „Bouquet de fleurs“ setzt sich locker und zackig aus wenigen Farbkreidestrichen zusammen (Taxe 150.000 bis 160.000 EUR), während er bei dem amourösen Blatt „Char et Personnages“ von 1967 auf die Tuschfeder und den Tuschpinsel zurückgriff (Taxe 250.000 bis 300.000 EUR). Ein Werk von Josef Albers rechnet Lempertz dann schon der Zeitgenossen-Abteilung zu, obwohl er es schon 1929 am Dessauer Bauhaus schuf: ein blau-violett gesteifter und gerasteter „Becher“ auf sandgestrahltem Glas. Albers liebte dieses Medium; denn seiner Ansicht nach wirke in der Glasmalerei die Farbe als direktes Licht. Der flächig gebrochene, abstrahierte „Becher“ ist das einzige erhaltene Werk mit farbigem Überfangglas in der Sandstrahltechnik und war seit den 1930er Jahren in vielen wichtigen Museen ausgestellt, darunter in der Londoner Tate Modern, der Kunsthalle Bielefeld oder dem New Yorker Guggenheim Museum. In den 1950er Jahren schenkte Albers den Becher seinem Künstlerfreund Eugen Gomringer, ehe er um 1960 in eine Schweizer Sammlung ging und nun 300.000 bis 400.000 Euro sehen will.
In der Nachkriegsepoche herrscht zunächst die Ungegenständlichkeit vor, und die ZERO-Gruppe tut sich hervor, etwa mit Heinz Macks „Lichtrelief“, einer gerasterten Vertikalstruktur auf einer Aluminiumplatte von 1959/60 (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR), oder mit Otto Pienes „Currents“. Für dieses schwarze Rasterbild verwendete er 1983/84 unterschiedliche Siebe, wodurch verschieden große Rasterpunkte auf der Bildfläche entstehen, und integrierte ein in Karton geprägtes Rastersieb in die Arbeit (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR). Der Farbfeldmalerei sind die Werke von Gotthard Graubner und Rupprecht Geiger zuzurechnen, so Geigers Quadrat „808/89“ mit einem Farbverlauf in kräftigem Rot (Taxe 50.000 bis 60.000 EUR) und Graubners in den Raum vordringendes Kissenbild von 1973/74 in grauen Farbschattierungen (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR). Monochrom schwarz ist zudem Louise Nevelsons aus verschiedenen geometrischen Stahlblechen konstruierte „Maquette for Sun Disc/Moon Shadow V“ von 1976/79, deren große Einzelausführung heute im Antwerpener Middelheimmuseum steht (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR).
Wo ist der Reiter hin?
Als weiterer Bildhauer beteiligt sich Otto Herbert Hajek an der Versteigerung, der mit seiner monumentalen, über fünf Meter hohen, aufstrebenden Stahlskulptur „Dynamisches Raumzeichen II“ von 1988/90 in Dunkelblau mit roten und gelben Übermalungen bei 180.000 bis 220.000 Euro klar einen Auktionsrekord anstrebt. Bei Marino Marinis kleiner bronzener „Composizione“ von 1956 lässt sich sein Hauptthema von Pferd und Reiter kaum mehr noch ausmachen, so abstrahiert und ineinander verschmolzen sind das gestürzte Tier und der Mensch (Taxe 120.000 bis 150.000 EUR). Filigran und beweglich ist dagegen George Rickeys kinetische Edelstahlskulptur „Sequence of six lines“ von 1990 mit sechs aufrechten Nadeln, die im Luftzug hin- und herschwingen (Taxe 35.000 bis 40.000 EUR). Mit vier grob behauenen Holzblöcken, montiert auf einer dicken Platte, die in Lamellen ausläuft, greift Magdalena Jetelová auf das Motiv eines Tisches zurück, der auf seinem Rücken liegt und alle Viere von sich steckt, und lädt den Betrachter zu einem absurden „Tischgespräch“ von 1985 ein (Taxe 30.000 bis 40.000 EUR).
Im Zuge seiner Auseinandersetzung mit der modernen Architektur verwendete Günther Förg vielfach architektonische Versatzstücke mit grafischem Charakter, im Jahr 2000 etwa eine Gitterstruktur auf grauem Grund mit grünen und roten Einsprengseln und zwei Jahre später ein dunkles Fensterkreuz auf einer großen, ebenfalls unbetitelten Leinwand (Taxe je 80.000 bis 100.000 EUR). Erst langsam kommt das Figurative wieder zu seinem Recht, etwa in den Zeichen- und Strichmännchenbildern von A.R. Penck. In seinem Gemälde „N-Komplex“ löste er 1976 die sonst starren Linien und Winkel der Standart-Figur in Schlangenlinien und gebogene Richtungspfeile auf (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). In den Jahren ab 2000 geht Konrad Klapheck von seinen neorealistisch surrealen Maschinenwesen zunehmend zu figürlich-szenischen Kompositionen über, in denen er die Subjekte häufig auf Bühnen erhebt, so auch bei seinem „Boxring I“ von 2000, der durch den interessanten Aufbau der teils diagonal, teils horizontal verspannten Seile, des vertikal einfallenden Lichts und der darin agierenden Personen besticht (Taxe 80.000 bis 120.000 EUR).
Die Pop Art bestreitet hauptsächlich Andy Warhol mit klassischen Motiven, wie seiner druckgrafischen Marilyn Monroe-Adaption von 1967 in lediglich grauen Tonabstufungen (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR) oder mit seiner bunten „Queen Beatrix“ aus der Serie „Reigning Queens“ von 1985 (Taxe 25.000 bis 35.000 EUR). Aber der Katalog enthält auch eine spannende Gegenüberstellung. Für seine Serie „Myths“ beschäftigte sich Warhol ab 1979 mit populären Darstellungen aus dem Alltag der USA. Dabei nahm er neben Superman, Mickey Mouse oder Santa Claus auch die „Mammy“ auf, die schwarze füllige Frau als mütterlichen Typus und Ideal einer Hausangestellten. Auf einer Farbserigrafie prangt ihr lächelndes Gesicht natürlich erkennbar auf orangefarbenem Grund (Taxe 60.000 bis 80.000 EUR), auf der zweiten verschwindet sie mit schwarzer Haut auf schwarzem Grund fast vollständig und offenbart sich nur als Geist ihres Stereotyps (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR). Zugleich sehr konkret und sehr abstrakt ist On Kawaras konzeptuelle Arbeit „I Got Up“ von 1978 mit 66 gesendeten New York- und einer London-Postkarte, auf denen er jeweils seine tagesaktuelle Aufstehuhrzeit verzeichnet, damit den Fluss der Zeit sichtbar gemacht und auch ein Panorama seine Aufenthaltsortes geschaffen hat (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR). Zu den jüngsten Künstlern der Auktion zählt der 1989 in Accra geborene Isshaq Ismail, der 2020 auf seiner Leinwand „Hopeful 1“ eine gar nicht so hoffnungsvolle deformierte Gesichtsform mit großen traurigen Augen in einer Explosion an Tönen und Gefühlen niedergelegt hat.
Die Auktion beginnt am 2. Dezember um 18 Uhr. Die Besichtigung der Objekte ist bis zum 1. Dezember täglich von 10 bis 17:30 Uhr möglich, der Internetkatalog unter www.lempertz.com einsehbar. |