Kristallwelten von Wenzel Hablik in Bielefeld  |  | Wenzel Hablik, Große bunte utopische Bauten, 1922 | |
„Muss ich schon an der Erde kleben, dann wenigstens nicht mit dem Hirn.“ Diesen Ausspruch von Wenzel Hablik hat das Kunstforum Hermann Stenner seiner aktuellen Schau zu dem 1881 im westböhmischen Brüx geboren Maler, Gestalter und Architekturvisionär vorangestellt. Ab Sonntag richtet das Bielefelder Museum dem Expressionisten Hablik, dessen Gesamtkunstwerk in seiner Vielfalt überbordend und noch viel zu wenig bekannt ist, eine umfangreiche Retrospektive aus. Dabei kann das Kunstforum auf die Bestände des Wenzel-Hablik-Museums in Itzehoe zurückgreifen, das den Nachlass des 1934 mit nur 52 Jahren an einer Krebserkrankung verstorbenen Künstlers beherbergt, und präsentiert über 200 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken, Designobjekte, Fotografien und Dokumente.
In Wien studiert Wenzel Hablik ab 1902 Malerei, Schriftgestaltung und Heraldik an der Kunstgewerbeschule und macht erste Erfahrungen als Zeichner von Stoffentwürfen für eine Möbelfabrik. Seit Beginn seines Studiums zeichnet Hablik Gruppen von selbstgesammelten Gesteinsproben und Kristallen, die sich in seiner Fantasie zu Märchenschlössern auf unzugänglichen Berghängen ausformen. Heute gehören sie zu den frühesten bekannten Entwürfen kristalliner Architektur in der europäischen Kunstgeschichte. Als Student an der Kunstakademie Prag von 1905 bis 1907 kommt er dann mit dem Expressionismus in Berührung, der sich in Habliks pastosem Farbauftrag und einem gestischen Pinselschwung niederschlägt. So entstehen seine kristalline Architekturentwürfe, intergalaktische „Luftkolonien“, mechanische Flugkörper, aber auch Sternenhimmel, Berglandschaften und Möbelentwürfe.
Im Jahr 1907 lädt ihn der Holzhändler Richard Biel zu sich nach Itzehoe ein und wird ihm zum Lebensfreund und Mäzen. Wenzel Hablik lässt sich in der holsteinischen Stadt nieder und entwirft hier extravagante Raumkonzepte für Wohnungen und Firmensitze in Norddeutschland, während er privat seine kristallinen Architekturutopien in Zeichnungen und großformatigen Gemälden vorantreibt. Über Richard Biel lernt er auch die Handweberin und seine spätere Ehefrau Elisabeth Lindemann, mit der er kreativ zusammenarbeitet und die ihm mit ihrem erfolgreichen Unternehmen auch finanziell den Rücken stärkt. 1908 ist Hablik mit Arbeiten aus seinem Zyklus „Schaffende Kräfte“ in einer Ausstellung der Berliner Secession vertreten, 1912 stellt er in Herwarth Waldens legendärer Galerie „Der Sturm“ den gesamten Zyklus aus.
In Berlin trifft er auch auf wichtige Avantgarde-Architekten, wie Walter Gropius, Bruno Taut, Hans Scharoun, Hans und Wassili Luckhardt, und steht mit ihnen als Mitglied der Briefgemeinschaft „Die Gläserne Kette“ in regem Austausch. Realisiert werden von Habliks tollkühnen Architekturentwürfen, die von frühen Science Fiction-Autoren inspiriert sind, keine. Es geht ihm wohl weniger als seinen Mitstreitern der „Gläsernen Kette“ um eine reale Berufsperspektive, als vielmehr um die Utopie, aus den Trümmern des Kaiserreichs und des verlorenen Weltkriegs moderne Kathedralen zu erbauen, in denen künstlerische und architektonische Fragen mit denen zur Lebensführung, zum technischen Fortschritt und zur Natur verbunden werden.
Die Ausstellung „Wenzel Hablik: Kristallträume. Expressionismus, Architektur, Utopie“ läuft vom 31. Oktober bis zum 6. März 2022. Geöffnet ist mittwochs bis freitags von 14 bis 18 Uhr, an Wochenende und Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. An Heiligabend und Silvester bleibt das Kunstforum geschlossen. Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 5 Euro. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist er frei.
Kunstforum Hermann Stenner
Obernstraße 48
D-33602 Bielefeld
Telefon: +49 (0)521 – 800 66 00
Telefax: +49 (0)521 – 800 66 010 |