 |  | Oliver Barker hat Banksys Schredder-Bild „Love is in the Bin“ zum Rekordwert versteigert | |
Eigentlich wollte Banksy vor drei Jahren mit seiner spektakulären Aktion den hyperventilierenden Kunstmarkt kritisch hinterfragen: Als Sotheby’s sein Bild „Girl with Balloon“ bei 860.000 Pfund einer Bieterin am Telefon zuschlug, fuhr es aus seinem breiten Rahmen, wurde dabei vor aller Augen zur Hälfte geschreddert und kam in dünnen Streifen unten wieder heraus. Doch Banksy überlegte es sich anders, stellte ein neues Zertifikat für die demolierte Arbeit aus und versah sie mit einem neuen Datum sowie dem neuen Titel „Love is in the Bin“: Ein neues Kunstwerk war geboren. Und dass der Kunstmarkt selbst kritische Stimmen einfach so absorbieren kann, bewies „Love is in the Bin“ gestern Abend wiederum bei Sotheby’s in London. Nach musealen Weihen im Museum Frieder Burda in Baden-Baden und der Staatsgalerie Stuttgart trennte sich die Sammlerin wieder von dem Schredder-Werk und fuhr einen satten Gewinn ein, allein schon wenn die Schätzung von 4 bis 6 Millionen Pfund erreicht worden wäre. Doch mehrere Käufer an den Telefonen kämpften minutenlang um die von der Street Art adaptierte Kunst, bis der Hammer beim neuen Banksy-Rekord von 16 Millionen Pfund zugunsten eines asiatischen Sammlers fiel. Vielleicht war die bewusste Zerstörung doch nur eine geschickte Werbemaschinerie.
Sotheby’s zeigte sich jedenfalls sehr zufrieden, auch über den Verlauf der gesamten Contemporary Art Evening Auction. Von den 42 offerierten Positionen blieben nur sechs liegen, und mit einem Bruttoumsatz von 65,9 Millionen Pfund wurde die Schätzpreissumme von bis zu 52,8 Millionen Pfund klar übertroffen. Die Begeisterung der Sammler und Kunstliebhaber, die aus der ganzen Welt nach London gekommen sind, um die Frieze-Week nach einer zweijährigen Pause wieder zu erleben, sei spürbar gewesen, äußert sich James Sevier, Sotheby’s-Direktor für die zeitgenössische Kunst in Europa, und freute sich über eines der besten Ergebnisse für eine Oktober-Auktion anlässlich der Kunstmesse Frieze.
Zur Position Londons als globalem Drehkreuz für den Kunstmarkt und als einem der aufregendsten kulturellen Schmelztiegel der Welt, wie Sevier konstatierte, trugen auch die Erben von Helga und Walther Lauffs bei. Das rheinische Sammlerpaar hatte sich 1986 ein quadratisches und zwei hochrechteckige bunte Rakelbilder Gerhard Richters zugelegt und sie kurz nach ihrer Entstehung beim Künstler direkt und in der Mönchengladbacher Galerie Löhrl eingekauft. Mit Zuschlägen von 8,2 Millionen Pfund, 6,7 Millionen Pfund und 5 Millionen Pfund erfüllten die abstrakten Farbverschiebungen nun die Erwartungen und platzierten sich hinter Banksy auf Platz Zwei bis Vier der Ergebnisliste. Bei der deutschen Kunst behaupteten sich noch Ernst Wilhelm Nay mit seinem zwischen Scheiben- und Augenbild changierendem „Traum“ von 1963 bei 480.000 Pfund (Taxe 250.000 bis 350.000 GBP) und Albert Oehlen mit seiner dynamischen Farbverschmierung von 2014 zu oberen Schätzung von 700.000 Pfund. Auch Jörg Immendorffs neoexpressive Historienszene „Auf zum 38. Parteitag“ von 1938 aus seiner berühmten „Café Deutschland“-Serie schnitt mit 140.000 Pfund gut ab (Taxe 80.000 bis 120.000 GBP), ebenso Andreas Gurskys wimmelnde, orangefarben gekleidete Menschenmenge in seiner am Computer generierten Fotografie „Chicago Mercantile Exchange“ von 1997 bei 400.000 Pfund (Taxe 200.000 bis 300.000 GBP). Etwas untertourig fuhr Georg Baselitz’ auf dem Kopf stehendes, nicht erkennbares Portrait von „Clyfford Still“ aus dem Jahr 2018 mit 340.000 Pfund (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP).
Einen weiteren Schwerpunkt der Versteigerung bildeten Künstler aus Italien, die mit marktfrischen Werken für einen lückenlosen Absatz sorgten. Hierbei setzte sich Alighiero Boetti mit einer Tapisserie aus seiner Serie „Mappa“ an die Spitze. Die in den Flaggen der einzelnen Länder gestickte Weltkarte von 1978 mit hohem Rotanteil als Ausdruck der politischen Gegebenheiten legte von 1,8 Millionen Pfund auf 2,5 Millionen Pfund zu. Enrico Castellani erweiterte das zweidimensionale Bild, indem er seine monochromen Leinwände von hinten verformte und so zu einem Relief ausbaute. Seine quadratische „Superficie Bianca n. 33“ von 1966 mit Betonung der Mitte reüssierte bei 1,05 Millionen Pfund (Taxe 600.000 bis 800.000 GBP), seine zwei Jahre jüngere rechteckige „Superficie Bianca“ verbesserte sich von 350.000 Pfund auf 750.000 Pfund. Mit der Nichtfarbe Weiß agierte zudem Piero Manzoni 1961/62 bei seinem „Achrome“, setzte ein rundes flauschiges Büschel Kunstfasern in einen weißen Kasten auf dunkelblauem Grund und erhielt dafür nun gute 540.000 Pfund (Taxe 300.000 bis 400.000 GBP). Für Fausto Melottis filigrane, gar nicht so furchterregende Skulptur „La bestia veliero“ von 1971 blieben 210.000 Pfund übrig (Taxe 150.000 bis 200.000 GBP).
Schon der Auftakt der Auktion gestaltete sich vielversprechend. Zuerst kam die bald hundertjährige Libanesin Etel Adnan mit einer ihrer charakteristischen Farbflächenmalereien um 1973 in kräftigem Karminrot mit kleinen Einsprengseln in Grün, Gelb und Blau an die Reihe und heimste damit ihren neuen Rekordpreis von 280.000 Pfund ein (Taxe 60.000 bis 80.000 GBP). Nicht viel jünger ist mit ihren 86 Jahren die gebürtige Portugiesin Paula Rego, die mit ihrem Pastell „Good Dog“ von 1994 und der einsamen Frau, die nachts in den Sternenhimmel blickt, bei 970.000 Pfund einen ihrer besten Werte, nach Pfund sogar den höchsten einfuhr (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP). Die dritte Altmeisterin der Gegenwartskunst war dann die 72jährige Schweizerin Miriam Cahn, die für ihre fragile, empfindsame und von innen rot glühende Gestalt auf dem Gemälde „diesen frühling überlebt“ von 2001 ihren Auktionsrekord von 65.000 Pfund entgegennehmen durfte (Taxe 20.000 bis 30.000 GBP).
Bei jungen Kunstschaffenden sind neue Spitzenpreise keine Seltenheit. Doch die 1,85 Millionen Pfund für die 1990 geborene Britin Flora Yukhnovich waren dann dennoch überraschend. Zehn Bieter kämpften um ihre von der Freskomalerei des Rokoko inspirierte, erste ein Jahr alte Vision „I’ll Have What She’s Having“, die wie die Abstraktion eines Deckengemälde in Untersicht erscheint, von der Schätzung 60.000 bis 80.000 Pfund aus. Die kaum ältere Polin Ewa Juszkiewicz schaut sich gleichfalls in der Kunstgeschichte um und greift gerne auf die Portraitkunst Alter Meister zurück, verbirgt die Gesichter der dargestellten Frauen aber stets hinter Tüchern, Lampenschirmen, Blumenbouquets oder wuchernden Haartrachten, so auch auf ihrer Leinwand „Maria (After Johannes Cornelisz Verspronk)“ von 2013, die nun von 30.000 Pfund auf 280.000 Pfund schnellte.
Die 28jährige Britin Jadé Fadojutimi afrikanischer Abstammung, die heuer zu den Finalisten des Hans-Purrmann-Preises der Stadt Speyer gehörte, erzeugt kraftvolle und zugleich verspielte emotionale Farbwelten, wie 2017 „The Barefooted Scurry Home“, mit der sie sich ihren Rekordwert bei 670.000 Pfund holte (Taxe 180.000 bis 250.000 GBP). Nach Südafrika ging es mit ihrem Kollegen Cinga Samson, der in einer meist dunklen Palette Personen seiner Heimat und ihr Leben einfängt. Fast geheimnisvoll erscheint sein augenloser junger schwarzer Mann in „Lift Off“ vor einen blühenden Hecke, der 255.000 Pfund auf sich vereinen konnte (Taxe 50.000 bis 70.000 GBP). Ebenfalls zum ersten Mal bei einer Abendauktion von Sotheby’s war Oli Epp zugegen, mit dem Geburtsjahr 1994 der jüngste der Künstlerriege. Mit seiner plakativen Malerei, die er selbst als „Post-Digital Pop“ bezeichnet und in der er aktuelle Debatten um Black Lives Matter, Geschlechtsidentität und Internetkultur aufgreift, und seiner abstrahierten Gesichtsform „Love Song“ samt Basecap von 2019 war auch er mit 140.000 Pfund erfolgreich (Taxe 25.000 bis 45.000 GBP).
Die Ergebnisse verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |