Vom Mao-Anzug bis zum verspielten Nierentisch – die angewandten Künste spiegeln wirtschaftliche und politische Gegebenheiten der Zeit. Bei der gestalterischen Ausformung von Gebrauchsgütern nahm Deutschland im vergangenen Jahrhundert eine weltweit führende Rolle ein. Schon früh setzten der Deutsche Werkbund und unmittelbar nachfolgend das Bauhaus als die überragende, global ausstrahlende Designschmiede nachhaltige Akzente in allen Industrienationen. Nach den schmählichen 1930er Jahren und den anschließenden Kriegsereignissen mussten beide deutsche Teilstaaten eigene Wege beschreiten. Wie sich dennoch Gemeinsamkeiten fanden und beiderseits politisch-ideologische Differenzen zu Tage traten, beleuchtet nun eine umfassende, dicht mit Hunderten von Objekten, Fotografien und Dokumenten angefüllte Schau im Vitra Design Museum in Weil am Rhein.
Einleitend hat die Kuratorin Erika Pinner wesentliche Thesen griffig auf den Punkt gebracht. Als wohl symbolkräftigste Alltagsobjekte prägen Währungen, Wappen, Flaggen oder Verkehrszeichen die Identität eines jeden Landes. Während das Ampelmännchen zu den wenigen bestehenden Spuren der ehemaligen DDR gehört, wurde ihr ab 1959 gültiges Staatswappen aus Hammer und Zirkel im Ährenkranz nach der Wiedervereinigung durch den Bundesadler der BRD abgelöst. Die Exponate reichen von ikonischen Möbeln und Leuchten über Grafik, Industriedesign und Inneneinrichtung bis hin zu Mode, Textilien und Schmuck, die gängigen Klischees von DDR-Design aus billig-buntem Plastik auf der einen und kühlem Funktionalismus in der BRD auf der anderen Seite einen differenzierten Blick entgegensetzen.
Bis zur Etablierung des internationalen Wortes Design in den 1960er Jahren war im Westen von Formgebung, im Osten von Formgestaltung die Rede. Viele damalige Gestalter hatten vor 1949 an den selben Ausbildungsstätten studiert. Aber auch ähnliche Probleme beim Wohnungsbau, der Fokus auf industrielle Fertigung oder Bestrebungen nach fortschrittlichen Produkten schufen gemeinsame Ausgangspunkte. Erst im Nachhinein mit buntem Kunststoffnippes oder pastellfarbenen Trabbis assoziiert und als unterlegen abgetan, wurde das Design der DDR verklärt, ohne die eigenständige Gestaltungskultur wahrzunehmen. Amüsant wie bemerkenswert für die deutsch-deutsche Kooperation scheint folgendes Exempel: Wenige Jahre nachdem Peter Ghyczy um 1967/68 in Niedersachsen den von der Raumfahrtästhetik inspirierten Klappsessel „Gartenei“ kreierte, verkaufte der Produzent die Fertigung an einen DDR-Betrieb nach Senftenberg, wo er als „Senftenberger Ei“ weiter vom Band lief.
Über mehrere Säle fächert sich nun ein chronologisches Panorama der Alltagswelten auf. Trotz Mangelwirtschaft und Wiederaufbaunöten reflektiert die Gestaltung den Konkurrenzkampf der Systeme: Kapitalistisch im Westen, sozialistisch im Osten. Doch in beiden Staaten konzentrierte man sich auf notwendige Alltagsgegenstände für das Wohnen. Organische Formen und neue Materialien wie Kunststoff hielten beiderseits Einzug. Während im Westen vor allem firmeneigene Designabteilungen international orientiert waren, herrschte im Osten eine von Institutionen gesteuerte Entwurfstätigkeit vor. Fotos dokumentieren, wie betont modern sich die BRD 1957 auf der Weltausstellung in Brüssel vorstellte. In Leipzig dagegen entwickelte sich ab 1954 die Messe zu einer internationalen Drehscheibe im Handel mit Designprodukten.
Von Spannungen waren dann die Jahre ab 1961 gekennzeichnet. Im Westen begann die Pop-Kultur. Flüge ins All beflügelten futuristisch anmutende Produkte. Die Konsumlust boomte bei allen Utensilien. In der DDR erlaubte das zentralistische System nur zögerlich Fortschritte. Ab 1960 wurden antihierarchische Bürolandschaften mit flexiblen Grundrissen maßgeblich durch das „Quickborner Team“ entworfen. Das minimalistische „Systemdesign“ zeichnet sich durch Sachlichkeit, rechte Ecken, zurückhaltende Funktionalität, Variabilität und grauweiße Farben aus. Hans Gugelot und Dieter Rams, die herausregenden Designer im Westen, entwarfen das an die Wand montierbare Regalsystem 606. Das zeitlose, symptomatisch für diese Epoche stehende Möbel sorgte sogar auf der Documenta III im Jahr 1964 für Furore. Im Osten produzierten die VEB Deutsche Werkstätten Hellerau um 1967/67 nach Entwürfen von Rudolf Horn ähnlich variable, in rationaler Produktion hergestellte Montagemöbel. Runde fließende Formen, technoide Konzeptionen mit kosmischen Duktus wurden in leichtem Kunststoff produziert.
Das Grafikdesign, die werbende Druckgestaltung und die an Format gewinnende Corporate Identity drangen verstärkt in den Alltag ein, wie das Kussmund-Logo der Stadt Bonn oder Otl Aichers Grafikkonzept für die Olympischen Spiele in München augenfällig betonen. Das Qualitätsversprechen „Made in Germany“ bürgte für Erfolg, während die DDR zwecks Devisenbeschaffung auf Exporte angewiesen war. Hier war die Wende zu einem sachlichen Stil wegen effektiver industrieller Herstellungsverfahren bestimmend. Wandmalereien sollten von uniformen Fassaden ebenso ablenken, wie industriell nach dem Baukastenprinzip gefertigte und montierte Formsteine, die vor allem Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht im Rahmen des „Beton-Formstein-Programm für die plastisch-dekorative Wandgestaltung“ in der DDR schufen.
Ab 1971 forcierten Tendenzen zur Nachhaltigkeit und Teilhabe aller einen Wertewandel. Im Zuge dessen entstanden eigenwillige Designobjekte und höchst individuelle Möbel, mit denen der Formalismus überwunden werden sollte. 1976 eröffnete in Ost-Berlin der Palast der Republik, ein nach Plänen von Heinz Graffunder konzipierter flexibler Mehrzweckbau. Jeder wird sicherlich an das grandiose Stableuchtensystem im riesigen Foyer denken. Erdacht von Peter Beyer, Martin Kelm und Peter Rockel sollten die Leuchtkugeln ein intensives Belichten großer Flächen mit festlicher Anmutung sicherstellen. Hinzu kamen die von Hans Fiedler geplanten Stahlrohrstühle, die gleichfalls gut inszeniert die Schau bereichern.
Konsumkritische Bewegungen beäugten in der Bundesrepublik den Warenüberschuss. Hier wurde italienische Design en vogue. Eine neue fantasievolle postmoderne Formensprache kennzeichnete die fortschreitenden 1970er Jahre, denen vor allem die Gruppe „Memphis“ ihren Stempel aufdrückte. Computer und Hardware wurden für Gestaltungsaufgaben interessant, etwa die heute eher als altertümlich angesehene erste Rechnergeneration von Apple. Viele Designer distanzierten sich dann radikal von funktionalistischen Traditionen. Schräg, provokant und ironisch waren viele neue, mit Konventionen brechende Entwürfe. Der „Känguru-Stuhl“ von Ernst Moeckl, auch „Z-Stuhl“ genannt, aus dem Jahr 1971 steht am Ende der Schau, da er in gewisser Weise das von Dieter Rams definierte Grundprinzip veranschaulicht: Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.
Die Ausstellung „Deutsches Design 1949-1989. Zwei Länder, eine Geschichte“ ist noch bis zum 5. September zu sehen. Das Vitra Design Museum hat täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 13 Euro, ermäßigt 11 Euro. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der im Museum 59,90 Euro kostet. |