| | Giovanni Battista Tiepolo, Der heilige Jakobus der Ältere, 1749/50 | |
In voller Lebensgröße thront der junge Ritter auf seinem Schimmel, eine rot-weiße Fahne in der linken Hand, den Degen im Nacken eines entwaffneten Mohren zu seinen Füßen, den Blick jedoch zum Himmel erhoben, als warte er auf göttliche Eingebung, was mit dem Besiegten zu geschehen habe. Im Hintergrund tobt noch die Schlacht, die der Überlieferung nach im Jahr 844 vor Clavijo stattfand und in welcher der asturische König Ramiro I. den muslimischen Emir von Córdoba Abd ar-Rahman II. besiegt haben soll – mit prominenter Hilfe durch Spaniens Schutzheiligen, den Apostel Jakobus, der auf dem Schlachtfeld erschienen sein soll. Der venezianische Maler Giovanni Battista Tiepolo schuf das Gemälde 1749/50 als Auftragswerk für die Kapelle der Spanischen Botschaft in London, aber nach der Lieferung war man wegen möglicher diplomatischer Verwicklungen doch etwas unsicher: Könnte das anglikanische England auf diese selbstbewusste Inszenierung spanisch-katholischer Überlegenheit vielleicht verschnupft reagieren?
Wie dem auch sei, das Bild wurde nicht in London aufgestellt, sondern ohne Wissen Tiepolos nach Spanien verschifft. Heute hängt es im Szépmüvészeti Muzeum zu Budapest – normalerweise. Derzeit nämlich ist es die wohl prominenteste Leihgabe in der Ausstellung, die die Staatsgalerie Stuttgart dem „besten Maler Venedigs“ widmet, wie es im Untertitel fast ein wenig untertrieben heißt. Denn der Ruf des 1696 geborenen Künstlers, dessen 250. Todestages heuer gedacht wird, reichte – wie nicht allein der spanische Auftrag für London belegt – um die Mitte des 18. Jahrhunderts weit über die engeren Grenzen seiner Heimat hinaus. Als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns zur Welt gekommen, ausgebildet bei Gregorio Lazzarini, mit 21 Jahren zum Meister promoviert, erarbeitete sich Tiepolo seit den 1720er Jahren systematisch eine führende Stellung unter der nicht eben kleinen Konkurrenz Venedigs mit überregionaler und bald internationaler Reputation.
Bereits 1724/25 ist er für den neureichen venezianischen Rechtsanwalt Tommaso Sandi als Freskant in dessen Familienpalast tätig. In Stuttgart ist nun ein in Öl gemalter Modello des Deckenfreskos zu sehen, das eine Allegorie der Macht der Beredsamkeit zeigt und die atemberaubende Meisterschaft Tiepolos in der Darstellung dramatisch und zugleich natürlich bewegter Figuren, in der Bewältigung der Perspektive und der nuancenreichen Farbenpracht bereits in voller Ausprägung offenbart. Es folgen Aufträge für den Erzbischof von Udine, im 1943 kriegszerstörten Palazzo Archinto in Mailand und in großer Zahl natürlich in Venedig selbst. Bald wird man in ganz Europa auf den Meister aufmerksam und versucht ihn zu gewinnen, nicht immer erfolgreich: Einen Auftrag für den königlichen Palast zu Stockholm schlägt Giovanni Battista Tiepolo wegen zu geringer Entlohnung aus, mehr Glück hat der Kölner Kurfürst Clemens August von Wittelsbach, für den Tiepolo ein heute in der Alten Pinakothek München aufbewahrtes Altargemälde schafft.
Am tiefsten von allen weltlichen und geistlichen Fürsten greift der Würzburger Fürstbischof in die Tasche, um den Venezianer an sich zu binden. Für die gerade fertiggestellte Residenz werden Tiepolo und seine beiden Söhne Giovanni Domenico und Lorenzo nach Abschluss entsprechender Verträge Ende 1750 in die mittelgroße fränkische Bischofsstadt geholt. Zunächst entstehen die drei Fresken im Kaisersaal, und noch während der Ausführung dieses Auftrags wird Tiepolo auch mit der Ausmalung der mehr als sechshundert Quadratmeter großen Decke des Treppenhauses betraut. Zehntausend Gulden – nach heutiger Vorstellung ein mittlerer sechsstelliger Eurobetrag – erhalten Tiepolo und seine Helfer allein für ihre Bilder im Kaisersaal, nebst freier Kost und Logis und weitere, in den Wintermonaten abgearbeitete Aufträge für andere Kunden nicht inbegriffen.
Die Stuttgarter Staatsgalerie verfügt über einen ungewöhnlich großen Bestand an Vorzeichnungen in Rötel für das Deckenfresko im Würzburger Treppenhaus. Dieses ist denn auch in einer – freilich stark verkleinerten – Reproduktion an die Decke eines der Ausstellungsräume geworfen und an den Wänden um die Blätter ergänzt, so dass man vergleichen kann, wie Giovanni Battista Tiepolo sich die meist figürlichen Details zeichnerisch gedacht und wie er sie schließlich in farbiger Freskotechnik ausgeführt hat. Die Fantasie des Meisters in der Verbildlichung der vier (damals als solche klassifizierten) Kontinente, mit deren Bereisung der Beschauer die Welt und zugleich die Kulturgeschichte der Menschheit vermisst, ist schier unerschöpflich. Wenngleich ihm das Programm von den Auftraggebern in groben Zügen vorgegeben war, so ist es doch ganz vorrangig die Genialität Tiepolos in Erfindung, Komposition, Farbe und technischer Ausführung, die dieses 1945 bei der Bombardierung Würzburgs wie durch ein Wunder gerettete Riesenwerk zu einem unvergleichlichen und nicht zuletzt seit fast vierzig Jahren UNESCO-würdigen Monument der Kunstgeschichte macht.
Die Stuttgarter Jubiläumsausstellung spannt über Würzburg hinaus den Bogen auch zu den spätesten Werken des Meisters. Ende 1753 nach Venedig zurückgekehrt, schafft Giovanni Battista Tiepolo in und für seine venezianische Heimat auch weiterhin Werk auf Werk, bis den inzwischen etwa Fünfundsechzigjährigen ein Auftrag aus Madrid erreicht. Eher widerwillig und wohl auch aus diplomatischen Rücksichten gibt er schließlich nach und reist in die spanische Hauptstadt. Für den königlichen Palast malt er um 1764 unter anderem das Fresko „Apotheose der spanischen Monarchie“, zu dem die Staatsgalerie aus dem Metropolitan Museum of Art in New York einen Modello akquirieren konnte. Allerdings war die Zeit über die sprühende Spätbarock- und Rokokomalerei des Venezianers damals allmählich hinweggegangen. Im November 1770, kaum ein halbes Jahr nach dem Tod Tiepolos, der seine italienische Heimat nicht mehr wiedergesehen hatte, wurden die eben erst aufgestellten sieben Altargemälde der Franziskanerkirche San Pascual in Aranjuez wieder abgehängt und durch frühklassizistische Arbeiten von Anton Raphael Mengs, Francisco Bayeu und Mariano Salvador Maella ersetzt.
Die Ausstellung „Tiepolo. Der beste Maler Venedigs“ läuft noch bis zum 2. Februar. Die Staatsgalerie Stuttgart hat täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 12 Euro und ermäßigt 10 Euro, jeweils einschließlich der ständigen Sammlung. Der Katalog kostet 29,90 Euro. |