Zwei Sammlerleben stehen in der kommenden Auktionsrunde bei Van Ham zur Disposition. Eines gehört Thomas Rusche, dem Chef des Textilunternehmens SØR Rusche. Es ist schon eine Überraschung, dass der für seine Kunstleidenschaft bekannte Sammler sich von seiner über vier Generationen in der Familie zusammengetragenen Kollektion trennen will. Als Grund nannte Rusche den digitalen Umbau seiner Traditionsfirma, der doch erhebliche Investitionen abnötige. Nachdem schon Anfang Mai bei Sotheby’s in London ein erster Teil der Altmeister-Abteilung teils mit kräftigen Aufschlägen veräußert wurde, stehen nun bei Van Ham die Zeitgenossen auf dem Programm. Erst seit 2004 hat Thomas Rusche in unglaublicher Geschwindigkeit und mit einem sicheren Gespür für Qualität über 4.000 Werke der aktuellen Kunst zusammengetragen, die nun in mehreren Auktionen über das Jahr verteilt bei Van Ham angeboten werden.
Aus diesem riesigen Konvolut hat der Kölner Versteigerer, der durch die Achenbach-Insolvenzmasse Übung mit solchen Volumina hat, in einer ersten Tranche 150 Arbeiten mit einer Schätzpreissumme von rund 1 Million Euro ausgewählt. Seiner Überzeugung nach, dass Kunst immer auch ein Spiegel des Menschseins ist und Fragen der Zeit aufgreift, hat sich Thomas Rusche auf die figurative Malerei vor allem aus Leipzig, Berlin und Osteuropa konzentriert. Abstrakte oder gar Konzeptkunst findet man in seiner Sammlung so gut wie nicht. Das zeigt schon der aktuelle Katalog. Auffällig ist zudem das meist kleine Format der Kunstwerke. Thomas Rusche bevorzugte wie bei den Alten Meistern Kabinettstücke, die leichter und in größerer Zahl zu hängen waren. So misst Michael Triegels biblische „Salome“ mit dem Johannes-Haupt von 2011 gerade einmal 14 auf 10,5 Zentimeter und ist für 600 bis 800 Euro zu haben. Eigentlich als Altarbild war Triegels zwei Meter hohes Gemälde „Karfreitag 1300“ aus dem Jahr 2012 gedacht. Doch war der vollkommen nackte Christus am Kreuz dem philippinischen Pfarrgemeinderat, der das Bild in Auftrag gegeben hatte, nicht zuzumuten, und der gläubige Katholik Rusche schlug zu (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR).
Das Preisniveau hat Van Ham nicht zu hoch veranschlagt. Es orientiert sich am aktuellen Marktgeschehen und liegt meist etwas darunter. An erster Position steht Neo Rauchs braunes dunkles Leinwandgemälde „Pendel“ von 2009 mit drei schemenhaften enigmatischen Gestalten für 70.000 bis 100.000 Euro. Auch als Plastiker tritt der Leipziger Künstler in Erscheinung und stellt das chimärenhafte Mann-Löwen-Wesen „Nachhut“ zur Verfügung. Die erste Skulptur Rauchs im allerersten Bronzeguss soll 20.000 bis 30.000 Euro einspielen. Aus der „Neuen Leipziger Schule“ nehmen etwa noch David Schnell mit seiner bunten zersplitterten Architektur-Natur-Landschaft „Markt“ von 2010, Matthias Weischer mit seinem braunlastigen, von Kreisen und Quadraten überlagerten Interieur einer „Stube“ von 2005 (Taxe je 20.000 bis 30.000 EUR) oder seiner hellen Urwaldlandschaft „Lichtung 1“ von 2011 (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR) und Tim Eitel mit seiner kleinen nachtschwarzen „Feuerstelle“ von 2005 teil (Taxe 3.000 bis 5.000 EUR). Einer ihrer Lehrer an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig war Arno Rink, aus dessen Gemälde „Die erotische Mauer: Khajuraho“ von 1982 seine Faszination für ausdrucksstarke Frauenkörper und lustvolle intime Situationen spricht (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR).
Die Leipziger
Vertreter der klassischen „Leipziger Schule“ sind Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke, die in ihren Naturschilderungen „Landschaft bei Pirk“ von 1975 oder „Gewitterstimmung bei Frose“ von 1948 eine von gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen unberührte Gegenwelt erschufen (Taxe je 10.000 bis 15.000 EUR). Wer genau hinschaut, entdeckt in der zarten Malerei „Lake Scape“ von Leiko Ikemura aus dem Jahr 2010 nicht nur einen von Bergen umgegebenen See in mildem gelbem Licht, sondern auch mit ihm verschmolzene Wesen (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Deutlicher tritt dies bei Uwe Henneken hervor, der das der Werkstatt Gustave Courbets zugeschriebene Seestück „Die Welle“ mit einem durchsichtigen Wassergeist übermalt hat und es nach Ansicht Thomas Rusche erst „wirklich vollendet“ hat. Sein nun neu betiteltes Werk „Sein – Fleisch – fühlt – sich – wie – Eisen – an – Vanguard“ von 2012 ist mit 2.000 bis 3.000 Euro veranschlagt. Auf Hennekens Heidelandschaft „Vanguard #151“ von 2007 tritt die gespenstische Vorhut in Gestalt eines bunten Tierkreises mit sechs Fingern deutlicher hervor (Taxe 5.000 bis 7.000 EUR).
Kitsch und Klischee sind nicht Gegenstand von Martin Eders Bildern, sondern vielmehr seine visuellen Werkzeuge, um als Betrachter in eine offensichtlich ausgelegte Falle zu tappen. Das machen seine weiblichen Akte „Schutz/Protection“ von 2015, „Masstab“ von 2009 (Taxe je 15.000 bis 20.000 EUR) und „Reinigung“ von 2010 deutlich, deren Irritation dann im Detail liegt (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR). Das Menschenbild ist ein bestimmender Faktor in der Rusche-Kollektion. Es tritt uns als groteske, mentale Zustände des Wahnsinns spiegelnde Stierkämpferperson in George Condos „The blue Rodrigo“ von 2009 (Taxe 20.000 bis 30.000 EUR), als sinnenhafte Jungmännerfantasien in Norbert Biskys „Painting“ und „Explorer“ von 2008 (Taxe je 30.000 bis 50.000 EUR) oder als masturbierende Unterleibsfrau mit geöffneten Schenkeln in Tracey Emins Monoprint „Suffer Love XXI“ von 2009 entgegen (Taxe 4.000 bis 6.000 EUR).
Eher als entindividualisierte Männergestalt distanziert, lässt Stephan Balkenhol sein „Portrait“ von 2007 auf einem bemalten Wawa-Holz-Relief dem Betrachter gegenübertreten (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Stärker emotional aufgeladen sind Nobuyoshi Arakis in einen Koffer eingepresster Sado-Maso-Akt auf der Fotografie „Tokyo Comedy“ von 1997 (Taxe 7.000 bis 9.000 EUR), Marlene Dumas’ männlicher Akt auf dem schwarz-weißen Aquarell „Cultivated Emotion“ von 1986 (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR) und Norbert Tadeusz’ körper- und fleischbetonte Turnsituation „Spagat mit Schubkarre“ von 1986 (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR). Norbert Schwontkowski entzündete 2004 ein „Kleines Feuerwerk“ über einem nächtlichen Meer mit Segelbooten (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR) und hinterfragte sich 2008 in dem schemenhaften „Selbstporträt als E.T.A. Hoffmann“ (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Pavel Feinstein amüsierte sich 2010 mit zwei malenden Affen unter dem Titel „Der rote Fleck“ über die eigene Zunft (Taxe 1.500 bis 2.000 EUR).
Ein Stück Kölner Kunstgeschichte
Als Galerist, Verleger und Mitgründer der Art Cologne und des Zentralarchivs des internationalen Kunsthandels prägte der 2013 verstorbene Gerhard F. Reinz die deutsche Kunst- und Kulturszene seit den 1960er Jahren. Von Beginn galt sein Interesse den Arbeiten von Marc Chagall, Henri Matisse, Pablo Picasso und anderen großen Meistern der französischen, spanischen und deutschen Moderne, aber auch Künstler der Gegenwart wie Alain Clément, Michael Croissant, Friedrich Meckseper und Walter Stöhrer gehörten zu seinem Programm. Nun wird seine Privatsammlung bei Van Ham aufgelöst.
Durch den Kontakt zu Elly Nay, der ersten Frau des Malers Ernst Wilhelm Nay, und dessen zweiter Ehefrau, Elisabeth Nay-Scheibler, hatte Reinz Zugang zum künstlerischen Nachlass. Mit 300.000 bis 500.000 Euro steht Nays fein rhythmisiertes Scheibenbild „Chorisch Grau“ von 1960 an der Spitze seiner Sammlung. Auch mit Salvador Dalí arbeitete Reinz eng zusammen. So gab er das erste Werkverzeichnis der Druckgrafiken Dalís heraus und verlegte zahlreiche druckgrafische Arbeiten des Surrealisten. Die Heliogravüre „La femme visible“ von 1930 entstand nach einer Tuschezeichnung und gehört zu Dalís ersten surrealistischen Illustrationen. Das bei Van Ham für 5.000 bis 7.000 Euro vorliegende Blatt ist dem großen französischen Dichter René Char gewidmet. Daneben listet der Katalog von Dalí die Grafikfolge „La divine comédie“ von 1963 für 30.000 bis 40.000 Euro und das Buch „Tristan et Iseult“ mit 21 farbigen Radierungen von 1969 für 20.000 bis 30.000 Euro.
Die Arbeiten des amerikanischen Bildhauers George Rickey schätzte Gerhard F. Reinz sehr. So stand die Skulptur „Four open rectangles diagonal jointed III“ von 1988 zunächst im Garten seines Hauses und später auf der Dachterrasse seiner Kölner Wohnung. Die kinetische Edelstahlskulptur mit vier beweglichen durchbrochenen Rahmen, die sich spielerisch durch den Luftzug drehen, verlangt 60.000 bis 80.000 Euro. Deutlich günstiger ist Dietrich Klinges wie aus einem Holzblock gehauene, aber in Bronze gegossene Figur „Divad“ von 1997 mit 3.500 bis 4.000 Euro. Das aus 79 Einzelteilen zusammengesetzte Multiple „Goliath“ des spanischen Künstlers Miguel Berrocal gab Reinz 1972 heraus. Der 13 Kilogramm gewichtige Torso ist das erste von sechs Exemplaren aus Sterling-Silber und mit 25.000 bis 35.000 Euro ausgezeichnet. |