 |  | Jussi Pylkkanen versteigert Pablo Picassos „Mousquetaire et nu assis“ | |
Der Kunstmarkt brummt – auch im brexitgeschüttelten England, wie die jüngste Impressionisten- und Moderneauktion der Londoner Zentrale von Christie’s eindrucksvoll unter Beweis stellte. 149,6 Millionen Pfund setzte das Unternehmen am vergangenen Dienstagabend mit einer starken Besetzung von knapp hundert Losnummern um, darunter 34 Surrealisten. 76 Losnummern konnten zugeschlagen werden, was einer Verkaufsrate von 78 Prozent entspricht. Wertmäßig kamen sogar 91 Prozent zusammen. Die Gesamttaxe hatte bei netto 122 bis 167 Millionen Pfund gelegen. In dieser Kategorie war das der zweithöchste Umsatz in der Geschichte des Londoner Hauses; mehr ist man bei Kunst des späten 19. und früheren 20. Jahrhunderts sonst nur aus New York gewohnt. Für Georges Vantongerloo und Antoine Pevsner wurden sogar neue Auktionsrekordpreise aufgestellt.
Hauptmeister der Versteigerung vom 27. Februar war einmal mehr Pablo Picasso. Ein knappes Dutzend Mal fand er sich im Katalog, fünfmal schaffte er es unter die Top Ten. Auch der Höchstpreis ging an ihn: 12 Millionen Pfund – den einzigen zweistelligen Millionenbetrag des Abends – generierte sein 1967 datiertes wolkiges Spätwerk „Mousquetaire et nu assis“, was allerdings nur der unteren Grenze des Schätzpreises, aber immerhin dem Doppelten seines letzten Auktionsauftritts im Juni 2007 entsprach. Auf Platz drei landete aus der Surrealistenabteilung seine maschinenartige, schauderhaft gefährliche „Figure“ von 1930 für 7,2 Millionen Pfund (Taxe 3 bis 5 Millionen GBP). Das Gemälde stammte ursprünglich aus der Sammlung eines von Christie’s namentlich nicht genannten „esteemed European architect“, bei dem es sich jedoch um den 2016 verstorbenen Österreicher Harry Glück handelt. Dieser hatte seine Sammlung schon vor über zwanzig Jahren im Rahmen eines Geschäfts an die Versicherungsgesellschaft Generali abgetreten, die sie jetzt, kurz nach dem Tod des Baumeisters, gewinnbringend verkaufte.
Die Sammlung Harry Glück
Harry Glück begeisterte sich zudem für Picassos teils kubistische Gouache „Nature morte devant une fenêtre“ von 1919, die jetzt von 500.000 Pfund auf 1,7 Millionen Pfund stieg, für Fernand Légers maschinistisches Gemälde L’usine (Motif pour le moteur)“ von 1918, das von 900.000 Pfund auf 1,6 Millionen Pfund zulegte, und vor allem für Giorgio Morandi. Seine drei zurückhaltenden Gefäßstillleben fanden Abnehmer – mit der „Natura morta“ von 1957 samt zentraler Vase und drei Bauklötzchen bei 880.000 Pfund an der Spitze (Taxe 400.000 bis 6.000 GBP). Aus dem Nachlass des 2012 verstorbenen Spaniers Antoni Tàpies stammte unter anderem Pablo Picassos spätkubistisches „Coq saigné“ aus der mittleren Schaffensperiode 1947/48 für unerwartete 4,7 Millionen Pfund (Taxe 2,2 bis 2,8 Millionen GBP). Ein weiterer Picassos amerikanischer Provenienz, die grün gekleidete „Femme se coiffant“ von 1956, hinter der sich die braunhaarige Jacqueline Roque verbirgt, ging für 5,8 Millionen Pfund ebenfalls weit jenseits der Schätzung von 2,5 bis 3,5 Millionen Pfund über den Tresen.
Mal abstrakt, mal gegenständlich ging es in einer aus zehn Werken bestehenden, mit „Abstraction Beyond Borders“ betitelten Sammlung ungenannter Herkunft zu. Hier fanden sich die Collage „Pot de fleurs“, bei der Francis Picabia Mitte der 1920er Jahre unter anderem Pinsel und Farbtubendeckel auf schwarz-weißen Grund zu einem Blumentopf applizierte, für 2,5 Millionen Pfund (Taxe 900.000 bis 1,2 Millionen GBP) sowie ein paar Namen aus Mittel- und Osteuropa, etwa Alexej von Jawlensky mit dem „Abstrakten Kopf: Inneres Schauen vom Glück“ aus dem Jahr 1926 für 850.000 Pfund (Taxe 400.000 bis 600.000 GBP) oder die Nummer „III“ aus František Kupkas Farbstaffelung „Serie C: Élévations“ von 1935/38 für 1,5 Millionen Pfund (Taxe 500.000 bis 700.000 GBP). Zu dieser Kollektion gehörte auch Georges Vantongerloos nach mathematischen Prinzipien ausgerichtete, streng rechtwinklige „Composition émanante de l’équation y=-ax2+bx+18 avec accord de orangé, vert, violet“ für 1 Million Pfund (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP). Anderer Provenienz war der zweite Auktionsrekord für Antoine Pevsners grau gefasste Metallskulptur „Deux cônes dans un même plan“ um 1939 mit Kegel-, Rundscheiben und Dreieckselementen für 650.000 Pfund (Taxe 400.000 bis 700.000 GBP).
Die Sammlung Wilhelm Reinold
Wassily Kandinskys „Studie für eine Landschaft (Dünaberg)“ von 1910 kann als eine weitgediehene Vorstufe zu des Künstlers abstrakten Bildern angesehen werden. 5,8 Millionen Pfund sprangen dabei heraus (Taxe 3 bis 5 Millionen GBP). Weitere im deutschsprachigen Raum tätige Künstler kamen aus der Sammlung des 1979 verstorbenen Hamburger Bankiers Wilhelm Reinold, darunter Oskar Kokoschka mit einer 1910 rasch hingestrichelten „Katze“ für 620.000 Pfund (Taxe 350.000 bis 450.000 GBP), Ernst Ludwig Kirchner mit der holzschnittartigen Schweizer Landschaft „Bergheuer. Heuer auf der Alp“ von 1920/21 für 580.000 Pfund (Taxe 600.000 bis 800.000 GBP) und Erich Heckel mit dem nachimpressionistischen Frühwerk „Blühende Apfelbäume“ von 1907 für 1,25 Millionen Pfund (Taxe 750.000 bis 1 Million GBP). Für Edvard Munchs nicht allzu aufwühlende „Badescene fra Åsgårdstrand“ von 1904/36 gab es 1,3 Millionen Pfund (Taxe 800.000 bis 1,2 Millionen GBP), für Emil Noldes Ölgemälde „Sonnenblumen und weiße Dahlien“ dagegen nur 500.000 Pfund (Taxe 600.000 bis 800.000 GBP).
Anderer Herkunft waren Oskar Schlemmers Aquarell „Schule“ von 1928 mit seinem charakteristisch stilisierten Figurenpersonal für taxkonforme 400.000 Pfund, Max Beckmanns traurige Gestalten im „Café (Hotel de l’Europe) von 1947/48 für 750.000 Pfund (Taxe 700.000 bis 1 Million GBP) oder Egon Schieles Kreidezeichnung „Liegender Akt mit gehobenem Bein“ von 1918 bei 450.000 Pfund zum unteren Schätzwert. Teuerste Arbeit auf Papier bei Jan Toorop ist nun seine 1902 mit Pastell, Kohle und Bleistift entwickelte, symbolistische Figurenszene „Glaube und Lohn“ bei 380.000 Pfund. Das Blatt aus dem Jahr 1902 war zuletzt im November 2000 bei Van Ham in Köln für netto 95.000 Mark auf Auktionen zugegen. Im Surrealistenteil taten sich noch René Magrittes geheimnisvolle „Groupe silencieux“ in einem klaustrophobischen Interieur von 1926 für 6,2 Millionen Pfund (Taxe 6,5 bis 9,5 Millionen GBP) und ein 1925 begonnenes, 1964 überarbeitetes „Painting“ Joan Mirós mit einer luftigen Himmelslandschaft für 3 Millionen Pfund hervor (Taxe 2 bis 3 Millionen GBP). Auch hier gab es einen kleinen Rekord: 60.000 Pfund waren es für Roland Penroses Gruselfigur „Artifact“ von 1937 (Taxe 50.000 bis 80.000 GBP).
Die klassischen Impressionisten und ihre Nachfolger traten zahlenmäßig gering, aber mit einigen preislichen Schwergewichten auf. Das Hauptlos, Edgar Degas’ ausschnitthafte Augenblickswiedergabe einer jungen Sängerin mit ihrem Begleiter „Dans les coulisses“ aus den frühen 1880er Jahren, respektierte mit 8 Millionen Pfund die untere Schätzung. Für Claude Monets duftig eingefangene „Prairie à Giverny“ von 1885, die aus Schottland eingeliefert worden war, kamen gar nur 6,5 Millionen Pfund zusammen (Taxe 7 bis 10 Millionen GBP). Dafür wechselte Monets sommerliche Vedute des kleinen Seine-Örtchens Vétheuil aus dem Jahr 1879 für den gleichen Betrag mindestens 500.000 Pfund oberhalb der Taxe den Besitzer. Gut lief es zudem für den Pointillisten Théo van Rysselberghe. Sowohl sein sportliches „Champ de course à Boulogne-sur-Mer“ von 1900, als auch sein Portrait „Le Docteur Auguste Weber“ von 1892/93 platzierten sich mit 750.000 Pfund und 820.000 Pfund oberhalb der Erwartungen.
Die Preise verstehen sich als Zuschlag ohne das Aufgeld. |