 |  | Peter Buggenhout, Babel Variationen, 2017 | |
Intern spricht man im Basler Architekturbüro Herzog & de Meuron vom „Projekt 230“. Gemeint ist die Elbphilharmonie in Hamburg, die am 11. Januar nach einer langen und schwierigen Bauphase mit großem Erfolg eröffnet wurde. Die Architektur ist spektakulär. Über die extreme Klarheit der Akustik, die keine Fehler verzeiht, wird indes unter Experten noch heftig debattiert. Doch dem extremen Run auf die Eintrittskarten tut das keinen Abbruch. Das Konzerthaus ist auf Monate hinaus ausgebucht, und auf dem Schwarzmarkt explodieren die Ticketpreise.
Zehn Gehminuten entfernt nimmt man in den Hamburger Deichtorhallen die Eröffnung der Elbphilharmonie jetzt zum Anlass für eine Gruppenausstellung. Unter dem Titel „Elbphilharmonie Revisited“ wurden zwölf internationale Künstler eingeladen, mit Skulpturen, Installationen, Fotografien oder Filmen auf den markanten Bau zu reagieren. Die Schau entstand in Kooperation mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die auch die Ausstellungsarchitektur entwarfen und zudem eine Vielzahl von Architekturmodellen aus dem eigenen Archiv beisteuerten.
Was zeigen die eingeladenen Künstler? Der Belgier Peter Buggenhout, bekannt für seine postapokalyptische Ruinenästhetik, hat eine „dekonstruierte Interpretation“ des Baus in Form einer 15 Meter hohen Skulptur im hinteren Teil der Halle realisiert. Die Kölner Fotografin Candida Höfer steuert über 20 kühl-sachliche Großaufnahmen bei. Ob das Parkhaus in Guggenheim-Ästhetik, der leere Konzertsaal oder die städtebauliche Verortung der neuen architektonischen Landmarke in der Hafencity: Höfers Formbetrachtungen erforschen die architektonische DNA dieses Baus innerhalb der Geschichte der Moderne.
Die in New York lebende Britin Sarah Morris hat vor Ort einen rund 40minütigen Film gedreht. Ihre cool stilisierten Aufnahmen sind mit der Stimme Alexander Kluges, der einen philosophischen Text vorliest, unterlegt. Weitere Arbeiten stammen von internationalen Playern wie Monica Bonvicini, dem Duo Janet Cardiff und George Bures Miller, Jean-Marc Bustamante, Tacita Dean, Liam Gillick, Thomas Ruff oder Tomás Saraceno. In einem stark abgedunkelten Raum zeigt der in Berlin arbeitende Argentinier eine lebende afrikanische Seidenspinne in ihrem imposanten und dramatisch beleuchteten Netz. Und tatsächlich: In puncto Eleganz der Formen und Linienführungen steht der tierische Baumeister den Schweizer Architekten in nichts nach.
Aus Hamburg selbst hingegen kommen eher kritisch-nachdenkliche Beiträge. Das Künstlerkollektiv Baltic Raw Org präsentiert die ebenso augenzwinkernde wie zum Mitmachen einladende Arbeit „Kanalphilharmonie“, eine Mischung aus Modell, Skulptur und Veranstaltungsplattform. Etwas ernüchternd ist dann auch der Filmessay „Sang und Klang“ des Hamburger Künstlers Uli M. Fischer. Zu Bildern der Baustelle liest Fischer Beschimpfungen und gegenseitige Schuldzuweisungen aus Debatten der Hamburger Bürgerschaft vor.
Damit kein Zweifel aufkommt: Die Ausstellung ist solide kuratiert und führt etliche, neu entstandene und sehenswerte Arbeiten zusammen. Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das neue Wahrzeichen der Kaufmannsstadt und Tourismusmetropole Hamburg in zu vielen der Arbeiten eher affirmativ verdoppelt als tatsächlich kritisch hinterfragt wird. Vielleicht wäre es spannender gewesen, das kunsthistorisch durchaus ergiebige Themenfeld Bau, Baustelle, Bauarbeiter etwas allgemeiner unter die Lupe zu nehmen und die Elbphilharmonie nur zu streifen.
Die Ausstellung „Elbphilharmonie Revisited“ ist bis zum 1. Mai zu sehen. Die Deichtorhallen Hamburg haben täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, jeden ersten Donnerstag in Monat von 11 bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 10 Euro, ermäßigt 6 Euro. Für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren ist er frei. Zur Ausstellung erscheint im März eine Publikation im Snoeck Verlag mit Texten von Dirk Luckow, Kolja Reichert und Angela Rosenberg. |