 |  | Fürst Leopold III. Friedrich Franz | |
Wie kleine, englisch anmutende Enklaven ziehen sich die Landschaftsgärten und Schlösser der Fürsten von Anhalt-Dessau von Wörlitz bis Dessau an der Elbe entlang. Das Herzstück dieses Gartenreiches bilden die Wörlitzer Anlagen, in denen ab 1764 ein aufgeklärter Herrscher, Fürst Leopold III. Friedrich Franz, seiner Anglophilie Ausdruck verleiht und gleichzeitig dem Ruf Rousseaus „Zurück zur Natur!“ konsequent folgt. Jetzt wurde das gesamte Ensemble von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Am 24. August erfolgte die Überreichung der Urkunde.
In Wörlitz eröffnet sich dem Besucher hinter den Elbdeichen ein Gesamtkunstwerk, bei dem angelegte Gärten, landwirtschaftliche Nutzflächen und Architektur eine Einheit bilden. Wege wirken willkürlich, führen jedoch zielsicher zu klassizistischen Tempelchen oder künstlichen Ruinen und eröffnen fast nach jeder Biegung überraschende Ausblicke. Einer der berühmten Sichtenfächer führt die neugotische Kirche des Dorfes mit der 1789 errichteten Synagoge auf einen Blick zusammen. Hier zeigt sich Stein gewordene fürstliche Toleranz wenige Jahre nach dem Erscheinen von Lessings „Nathan der Weise“.
In den verschlungenen Pfaden, den scheinbar natürlich angeordneten Baumgruppen und perspektivischen Durchblicken offenbart sich der großartige Gegenentwurf zu den Gärten des Barock. Nicht mehr die ordnende Hand des absoluten Herrschers, die Buchsbäume in bizarre Formen zwingt und riesige Rabatten geometrisch gestaltet, sondern die Natur selbst wird der eigentlichen Star dieser neuartigen Gartenwelt, die führende Gartengestalter des 18. Jahrhunderts, wie William Kent und vor allem Lancelot Capability Brown, auf zahlreichen englischen Landsitzen bereits erfolgreich inszenieren.
Seine erste Englandreise unternahm Leopold III. Friedrich Franz 1763 im Alter von 23 Jahren mit seinem Freund, dem fast gleichalterigen sächsischen Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff (1734-1800). Sie treffen den Architekten William Chambers und den Schriftsteller und Politiker Sir Horace Walpole, dessen Landsitz „Strawberry Hill“ für das „Gotische Haus“ in Wörlitz später Pate steht. Von der grünen Insel bringen Erdmannsdorff und Fürst Franz, wie ihn seine Untertanen später nennen, die neuen Ideen des Landschaftsgartens, den klassizistischen Baustil und innovative Methoden der Landwirtschaft nach Deutschland.
Dass Franz eigentlich wie sein Großvater, der „Alte Dessauer“, als Feldmarschall Preußens den militärischen Ruhm des mächtigen Nachbarn mehren soll, kümmert den jungen Fürsten (1740-1817) wenig. Gleich nach dem Frieden von Hubertusburg nimmt er 1763 seinen Abschied und wird hauptberuflich Landesvater. Bis 1800 gelingt es ihm, aus einem 900 Quadratkilometer kleinen Duodezfürstentum ein Musterländchen zu machen, das im Europa des Spätabsolutismus seines Gleichen sucht.
Bis heute sichtbarer Ausdruck und zugleich Krönung der Leistungen dieses Aufklärungsfürsten, der im Studium bei Winckelmann in Italien die reichen Überreste der Antike kennenlernt, sind die Gärten und Schlösser. Das „Neue Haus“, das Erdmannsdorff für den Fürsten in Wörlitz baut, geht auf Einflüsse des Renaissance-Baumeisters Andrea Palladio zurück, die der Architekt in Italien und England studiert. Ergebnis ist das erste klassizistische Schloss in Deutschland.
Wie in einem Kaleidoskop kann sich damals wie heute jeder ein Bild machen von fremden Ländern, indem er die Anlagen durchstreift, über eine Nachbildung der sogenannten „Ironbridge“ bei Birmingham schreitet oder den „Stein“, eine Miniaturversion des Vesuv, betrachtet. In der kuppelüberwölbten Rotunde im Eingangsbereich des Schlosses wacht ein Abguss des Apoll von Belvedere über den Tempel der Künste und der Wissenschaften. So versteht Fürst Franz seine Welt und präsentiert sie seinen Besuchern.
Meist bewohnt er jedoch das „Gotische Haus“ im Park, das von vorn wie ein englisches Landhaus im Tudorstil wirkt, dessen rückwärtige Front jedoch die Nachbildung der Fassade der venezianischen Kirche S. Maria dell’Orto darstellt. Die Fürstin Luise hingegen zieht sich, wenn sie der permanenten Öffentlichkeit des Schlosses entgehen will, in das „Graue Haus“ an Rande des Dorfes und ab 1774 in die klassizistische Villa, das nach ihr benannte „Luisium“, zurück. Erdmannsdorff gestaltet das weltentrückt wirkende Schlösschen bei Dessau, das auch heute noch still vor sich hinzudämmern scheint, als Tempel der weiblichen Tugend. Mit Schloss Georgium in Dessau, dem Landsitz Großkühnau, Schloss Oranienbaum und dem Rokoko-Ensemble von Mosigkau ist das Luisium Teil des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, das in seiner Gesamtheit Goethe begeisterte, den Fürsten Pückler zu seiner Gartenschöpfung in Muskau inspirierte und den heutigen Besucher wie ein Landschaftsgemälde aus einer unendlichen Palette von Grüntönen empfängt.
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