| | Arbeiten von Travis Somerville bei Beta Pictoris Gallery | |
Nachdem die überraschende Nachricht die Runde gemacht hatte, sorgte sie für unablässigen Gesprächsstoff auf der am Montag zu Ende gegangenen Art Brussels: Die internationale Kunstmesse fand in diesem Jahr mit ihrer 33. Ausgabe zum letzten Mal auf dem Messegelände außerhalb der Brüsseler City statt. Die Hallen 1 und 3 auf dem Expo-Gelände im Schatten des Atomiums stehen für die Art Brussels zum Frühjahrstermin 2016 nicht mehr zur Verfügung. Die Messe zieht um auf das zentrumsnahe Tour & Taxis-Gelände, wo bereits die Brüsseler Buchmesse und die eher gediegene Kunst- und Antiquitätenmesse BRAFA stattfinden. Einst betrieb hier die deutsche Adelsfamilie Thurn und Taxis eine Filiale ihres europaweit agierenden Postunternehmens. Der zwischen 1904 und 1906 errichtete, gigantische Gebäudekomplex beherbergte zunächst das königliche Zollamt, wird aber seit Ende der 1980er als Veranstaltungsort genutzt. Am zukünftigen Standort wird sich die Art Brussels jedoch räumlich einschränken müssen. Geplant ist zwar die Errichtung eines zusätzlichen Zeltes auf dem Gelände. Insider vermuten dennoch, dass es im nächsten Jahr zu einer Reduzierung um rund 30 Galerien kommen wird.
Konkurrenz kommt zudem aus Amerika. Die 2010 in New York von der Galeristin Elizabeth Dee gegründete, äußerst erfolgreiche Messe „Independent“ soll ab 2016 parallel zur Art Brussels auch in Brüssel stattfinden. Rund ein Fünftel der Independent-Teilnehmer stellen Berliner Blue Chip- und Avantgarde-Galerien. Als Teilnehmerin an der Art Brussels streckt Elizabeth Dee bereits in diesem Jahr ihre Fühler nach Brüssel aus. Die Eröffnung einer Filiale in der belgischen Hauptstadt ist ebenfalls geplant. Die „Independent“ wird in einem denkmalgeschützten Gebäude aus den 1930er Jahren zwischen Hauptbahnhof und Oper stattfinden, in dem bis 2011 die Firmensammlung der insolvent gegangenen Dexia-Bank angesiedelt war. Die Messe wird über rund 4.600 Quadratmeter Ausstellungsfläche verfügen. Die Karten werden also im nächsten Jahr völlig neu gemischt.
Die Organisatoren der Art Brussels erhoffen sich allerdings auch Synergieeffekte von dem Umzug in die Innenstadt. Einerseits ist das Tour & Taxis-Gelände weitaus zentrumsnäher als das Expo-Gelände, wenn auch ohne direkten Metroanschluss. Andererseits ist schon für 2017 die Neueröffnung des Museums für moderne und zeitgenössische Kunst in unmittelbarer Nachbarschaft im ehemaligen Citroën-Autohaus geplant. Das 1933 im Art Déco-Stil errichtete, denkmalgeschützte Gebäude mit rund 16.000 Quadratmetern hat die Stadt Brüssel im März von dem französischen Autokonzern erworben. Rund 500.000 Besucher soll das neue Museum zusätzlich pro Jahr nach Brüssel locken. „Es war Zeit für eine Veränderung“, kommentiert der Brüsseler Galerist Michael Callies von der Galerie Dépendance. „Aber ich denke, es ist ein guter Schritt. Es ist wie mit einer neuen Wohnung, die man einrichtet. Die gleichen Sachen sehen dann anders aus.“
Gute Stimmung herrschte seit der mit rund 10.000 Besuchern übervollen Vernissage am Freitag auf der 33. Art Brussels. 191 Galerien aus 33 Ländern waren nach Brüssel gereist. Sie verteilten sich auf die Sektionen „Prime“ mit 87 etablierteren Galerien, „Young“ mit 90 jüngeren Galerien und „Discovery“ mit 14 bisher in Europa unbekannten Galerien. In der Sektion „Solo“ nahmen weitere 31 Aussteller teil und zeigten Einzelpräsentationen ausgewählte Künstler. Katerina Gregos, seit drei Jahren künstlerische Leiterin der Art Brussels, ist nach wie vor ist auch als Kuratorin und Kritikerin tätig. So ist sie in diesem Jahr als Kommissarin für den belgischen Pavillon in Venedig verantwortlich. Außerdem kuratiert sie die im Mai beginnende 5. Biennale zeitgenössischer Kunst in Thessaloniki.
Gefragt, ob die Art Brussels eine kuratierte Messe ist, formulierte sie es so: „Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass es eine kuratierte Messe ist, denn die Galerien sind ja frei darin, selbst auszuwählen, was sie auf der Messe zeigen wollen. Vielleicht wäre es korrekter zu sagen, dass hinter der Messe ein kuratorisches Denken steckt.“ Katerina Gregos nennt da in erster Linie die Architektur, die Kommunikationsstrategien und auch die Tatsache, dass es in diesem Jahr statt Talks eine ganze Reihe von Konzerten mit Künstlerbands gab. „So etwas ist noch nie auf einer Kunstmesse gemacht worden.“
Einen festen Bestandteil der Art Brussels bildet auch der jährliche Auftritt der in Gent beheimateten Kunsthochschule HISK – Hoger Institute voor Schone Kunsten. Diese 1997 gegründete Postgraduate-Kunsthochschule bietet jeweils 24 jungen belgischen und internationalen Künstlern einen zweijährigen Studioaufenthalt und gilt als eine Art Kaderschmiede des Kunstbetriebs. In diesem Jahr konnten Messebesucher aus einer Art Menü Künstler auswählen, deren hinter goldenen Vorhängen verborgene Arbeiten ihnen dann individuell enthüllt wurden.
Katerina Gregos betont die Alleinstellungsmerkmale der Art Brussels: „Wir sind anders als die Blue Chip-Kunstmessen, wo alle Galerien dieselben Künstler zeigen. Wir versuchen, Galerien für die Messe zu gewinnen, die keine überteuerten Kunstwerke verkaufen und im ethischen Sinne ein Interesse daran haben, Maß zu bewahren. Wir wollen hier kein Art-Flipping.“ Unter Art-Flipping versteht man die immer stärker um sich greifende Tendenz, Kunstwerke nur kurzfristig zu halten, um sie dann mit möglichst großem Gewinn in den überheizten Markt zurückzuschleusen.
Die bisher strikte Trennung der Art Brussels mit etablierten Positionen in der Halle 1 und jüngerer Kunst in Halle 3 wurde in diesem Jahr aufgebrochen. Die stärkere Durchmischung tat der Messe gut. Die seit 2008 mit einer Filiale in Brüssel vertretene New Yorkerin Barbara Gladstone präsentierte unter anderem die Monotypie „Brendan“ auf handgeschöpftem Papier von Elizabeth Peyton aus dem Jahr 2014. Einen überzeugenden Stand mit älterer und jüngerer Konzeptkunst hatte der Italiener Massimo Minini aus Brescia aufgebaut und Arbeiten von Robert Barry, Stanley Brouwn, Nedko Solakov und Mathieu Mercier mit nach Brüssel gebracht. Zum ersten Mal in Brüssel dabei war die Düsseldorferin Petra Rinck. Sie stellte die Engländerin Emma Talbot mit storyboardartigen Gemälden und Papierarbeiten sowie die Amerikanerin Marsha Cottrell mit abstrakten, raffiniert hergestellten „Zeichnungen“ vor, die sie mit dem Laserprinter druckt. Petra Rinck hat auf Anhieb an eine gute Luxemburger Sammlung verkauft. „Es sind gute Leute hier“, sagt sie. „Die Art und Weise, wie die Besucher sich hier die Sachen anschauen, gefällt mir gut: interessiert, kennerhaft und entspannt dabei.“
Gute Verkäufe auch für Kromus & Zink. Die Berliner verkauften alle Arbeiten des erst 24jährigen Tschetschenen Aslan Gaisumov, darunter eine Installation mit aufwendig hergestellten Glaskrügen für 75.000 Euro und ein Video für 2.500 Euro (Auflage 10). In seinem politisch aufgeladenen Video „Volga“ nähern sich aus allen Richtungen dunkel gekleidete Menschen einem alten sowjetischen Auto auf einer Wiese. Offensichtlich sind es Kriegsflüchtlinge, 19 an der Zahl, die sich einer nach dem anderen allesamt in das weiße Auto quetschen. Ein paar Augenblicke noch bis die Tür zugeht, dann beginnt eine Fahrt ins Ungewisse. Eine ähnliche Situation hat der Künstler selbst erlebt. „Die Arbeiten von Aslan Gaisumov sind immer existenziell, ohne zu lamentieren“, kommentierte Michael Zink.
Zwei starke Malereipositionen dann am Stand der Galerie Kleindienst aus Leipzig. Großformatige figurative Kohlezeichnungen mit mystisch aufgeladenen Traumszenen von Tilo Baumgärtel kosteten hier je 14.000 Euro. Eine Entdeckung waren auch die Bilder der Leipzigerin Henriette Grahnert. „Sie geht spielerisch der Frage nach, inwieweit man einem abstrakten Bild noch glauben kann“, erläutert Galerist Christian Seyde. Ihre Vorlagen findet Grahnert in Modezeitschriften der 1970er Jahre. Die figurativen Versatzstücke malt sie mit stereotypen Elementen abstrakter Malerei soweit zu, bis das ursprüngliche Motiv kaum noch auszumachen ist. Grahnert ironisiert so die Wechselfälle der Mode und der Kunst gleichermaßen. Kleinformatige Gemälde waren ab 1.500 bis 2.000 Euro im Angebot. Eine größere Arbeit für 14.000 Euro.
Die Brüsseler Galerie Valérie Bach hatte unter anderem Zeichnungen der Pariserin Jeanne Susplugas, Jahrgang 1974, an ihrem Stand. Das atelierfrische Schwarz-Weiß-Blatt „Arbre Généalogique“ von 2015 listet auf einer Art Stammbaum statt der Familiennamen die Bezeichnungen neurotischer Abnormitäten wie Klaustrophobie, Hyperaktivität oder Kleptomanie. Im Angebot für 3.400 Euro. Marlborough Contemporary aus London zeigte unter anderem Gemälde und Collagen von Werner Büttner. Der Hamburger Maler bearbeitet ernste Themen mit spielerisch-ironischer Leichtigkeit. Bis vor wenigen Tagen lief in ihren Londoner Räumen der Galerie mit Erfolg die erste Einzelausstellung Werner Büttners seit 1986 in London. Die Arbeiten des Generationsgenossen von Albert Oehlen, Georg Herold und Martin Kippenberger kamen besonders bei Belgiern und Schweizer Sammlern gut an. Collagen waren für je 4.500 Euro zu haben, ein großformatiges Gemälde für 30.000 Euro.
In einer Soloshow bei Beta Pictoris Gallery aus Birmingham im US-Bundesstaat Alabama war der in San Francisco lebende US-Künstler Travis Somerville zu sehen. Als Weißer setzt er sich in vielen Varianten kritisch mit der Rassenproblematik vom Ku-Klux-Klan bis hin zur Geschichte der Sklaverei auseinander. In seinen politischen Arbeiten gibt es aber auch Querverweise auf den Kunsthandel und auf die Dominanz der amerikanischen Großbanken (Arbeiten zwischen 1.800 und 36.000 US-Dollar). Eine weitere interessante Soloshow dann bei der Galerie Dépendance. Der Maler Thilo Heinzmann arbeitet mit schwungvoll aufgetragenen Pigmenten auf weiß grundierten Leinwänden. Seine malerischen Gesten bewegen sich zwischen Kontrolliertheit und Zufall. Heinzmann verwendet bis zu 80 verschiedene Pigmente pro Leinwand und erzielt so erstaunliche Farbnuancen. Die Gemälde verlangen zwischen 26.000 und 31.000 Euro. Der in Brüssel ansässige deutsche Galerist Michael Callies kennt und schätzt die belgische Sammlerszene: „Das Sammlergen wird in belgischen Familien von Generation zu Generation weitergegeben“, so Callies.
Zum ersten Mal auf der Art Brussels dabei war die Hamburger Galerie Niklas Schechinger Fine Art. Schechingers Stand fiel sofort ins Auge: Blaue Wände, blauer Teppich, blaue Möbel. Messedirektorin Katerina Gregos zeigte sich angetan von diesem ungewöhnlichen Farbkonzept. Besonderen Anklang fanden die Collagen von Hank Schmidt in der Beek, in welchen der 1978 geborene Münchner Blätter aus seiner Kunstbibliothek mit solchen aus seiner Humorbibliothek verknüpft. Yves Klein trifft da auf Charly Brown. Ein Akt von Christian Schadt auf Obelix. Bei den comicverrückten Belgiern kamen diese Collagen sehr gut an. Niklas Schechinger beschreibt die belgischen Sammler als „professionell interessiert und menschlich mit Niveau. Wenn eine Arbeit ihnen gefällt, kaufen sie sie, egal, ob der Künstler gerade im Trend liegt oder nicht.“
Einen Vorgeschmack auf die Biennale Venedig gab es dann am Stand von KOW aus Berlin. Zu sehen war der zwischen 2009 und 2011 entstandene Zyklus „Manitoba“ des Fotografen Tobias Zielony. Zielony ist einer von vier Künstlern, die den Deutschen Pavillon bespielen. Für die Folge reiste Zielony mehrmals in das kanadische Indianerreservat und fotografierte dort jugendliche Gangs, Exponate im dortigen Museum und andere Spuren der Identität. Die gesamte Serie umfasst 50 Fotografien. In Brüssel waren die C-Prints auch einzeln für je 5.000 Euro (Auflage: 6) erhältlich.
Gute Geschäfte in Brüssel, jedoch eine gewisse Unsicherheit, was die nächste Ausgabe der Messe betrifft. Die neue Location finden viele Galeristen zunächst einmal attraktiv. Bleibt abzuwarten, ob die Konkurrenzmesse „Independent“ sich mit ihrem europäischen Außenposten dauerhaft in Brüssel einloggt und ob sie nicht nur gut aufgestellte Galerien aus New York und Berlin mitbringt, sondern womöglich auch einige langjährige Teilnehmer der Art Brussels offensiv abwirbt. Das Buhlen um die viel gerühmten belgischen Sammler geht jedenfalls in die nächste Runde.
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