 |  | David Bury, Schuh-Sitzobjekt, England um 1980 | |
Designobjekte sollen ihren Zweck erfüllen und jene Funktionen ausführen können, die vom Entwickler festgelegt wurden. Sie sollen dabei aber auch ästhetisch und außergewöhnlich aussehen und zugleich massentauglich entworfen sein. Viele Beispiele für die Umsetzung dieser anspruchsvollen Aufgabenstellung bietet das Dorotheum in Wien in seiner Spezialauktion, das dem vergleichsweise neuen Sammelgebiet des internationalen Designs gewidmet ist. Frühe tschechische Stahlrohrmöbel, Modernistisches aus Skandinavien, Frankreich und Italien, Fifties-Muranoglas, moderne Prototypen und auch zahlreiche Beispiele österreichischer Formgebung spannen den Bogen vom klassischen Gestaltungen bis zur Gegenwart in der aktuellen Versteigerung des österreichischen Traditionsunternehmens.
Knapp 400 Losnummern verzeichnet der daumendicke, englischsprachige Katalog des Auktionshauses für den 5. Juni. Die ältesten Stücke gehen noch auf das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert zurück, etwa 314 formgeblasene Glasbausteine mit der Modelnummer 6, schon um 1880/85 entworfen vom Schweizer Erfinder und Geschäftsmann Gustave Falconnier und bereits in die Sammlung des MoMA in New York aufgenommen (Taxe 6.000 bis 10.000 EUR). Auch das Paar Armstühle aus kunstvoll gebogenem Mahagoniholz, das sich Otto Wagner 1902 für das Depeschenbüro der Zeitung „Die Zeit“ in Wien ausdachte, gehört mit einem Schätzpreis von 50.000 bis 70.000 Euro nicht nur zu den Klassikern, sondern auch zu den Highlights der Auktion. Zwei weitere Gründungsmitglieder der Wiener Secession sind mit ihren Entwürfen vertreten: Die von der Gruppe verfechtete reduzierte Formensprache und geometrische Ornamentik sind sowohl bei Josef Hoffmanns weiß gestrichenem Tisch mit Zementgussplatte und halbkugelförmigen Füßen von 1904 (Taxe 8.000 bis 12.000 EUR) als auch bei der Koloman Moser zugeschriebenen Hängelampe aus opakem, strukturiertem Glas mit roten Punkteinschlüssen um 1907 wiederzuerkennen (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR).
1920 legte der italienische Futurist Giacomo Balla eine dynamische Zeichnung nieder, auf der basierend zwischen 1968 und 1978 Elio Palmisano insgesamt zehn Wandteppiche herstellte, darunter den „Specchio d’acqua“ für 10.000 bis 15.000 Euro. Aus der De Stijl-Bewegung stammt die rotbraun und schwarz lackierte Schatulle von Gerrit Rietveld, die einer reinen Kunst mit formellem Ästhetikanspruch entspricht (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR). Kubistisch geht es bei Losnummer 85 aus Tschechien um 1920 zu. Die wuchtigen blau-schwarz-gelben Sitzmöbel mit den geometrischen Applikationen könnten so auch auf dem Raumschiff Enterprise stehen (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR).
Eine Mahagoni-Hängevitrine mit Glastüren für einen Schätzwert von 18.000 bis 22.000 Euro, eine seltene Arbeit Finn Juhls von 1937, ist ein frühes Beispiel für den dänischen Modernismus. Wie einem Tim Burton-Film entsprungen wirken die zwei Beistelltische „Traccia“ von Meret Oppenheim aus dem Jahr 1939 mit ihren vogelartigen, langen Stelzenbeinen aus Bronzeguss (Taxen zwischen 2.200 und 2.800 EUR). Auf der Liste der Requisiten für den gleichen Film hätte auch die französische Stehlampe aus den 1960er Jahren stehen können, die mit ihren Spinnenbeinchen so fragil aussieht, dass man ihre harte Materialität aus vergoldeter Bronze fast vergessen könnte (Taxe 15.000 bis 18.000 EUR). Der Franzose Paul Dupré-Lafon entwarf 1945 einen schwarz lackierten Esstisch mit einer Tischplatte aus schwarzem belgischen Marmor, der auch nach der eigentlichen Hochzeit des Art Déco durch seine gestalterische Verbindung von kostbaren Materialen und starken Formen noch immer dessen Einflüsse erkennen lässt (Taxe 45.000 bis 60.000 EUR).
Aus den 1940er und 1950er Jahren bietet das Dorotheum vor allem repräsentative Arbeiten aus Italien und Frankreich, so mehrere Möbel von Aldo Tura und Pierre Jeanneret, mit deren Entwürfen man sich bei dieser Auktion – vorausgesetzt man hat das nötige Kleingeld dafür – komplett einrichten könnte. Ein exquisit mit Eierschalen überzogener Barschrank aus dem Nachlass von Tura ist für 24.000 bis 27.000 Euro zu erstehen, ebenso mehrere Couchtische zwischen 4.000 und 9.000 Euro, die beste Beispiele für Turas akkurate Formensprache sind. Dazu treten noch ein mit Pergament überzogenes, kantiges, braun-schwarzes Sideboard um 1970/75 (Taxe 12.000 bis 15.000 EUR) und ein großer Esstisch mit gerundeten Wangenbeinen, den Tura um 1980 ebenfalls mit naturfarbenem und mittelbraunem Pergament überzog (Taxe 13.000 bis 15.000 EUR).
Neben vielen anderen Stücken sind von Pierre Jeanneret die Konferenztische „Committee Table“ (Taxe 35.000 bis 45.000 EUR) und „Conference Lecturne Double“ (Taxe 18.000 bis 25.000 EUR) sowie der massive, zweiteilige „Junior Officers“-Schreibtisch (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR) zu haben, die er in den 1950er und 1960er Jahren als Großauftrag für die Verwaltungsgebäude im indischen Chandigarh in Teakholz fertigen ließ. Hinzukommen ein Lounge-Sessel des New Yorker Designers Vladimir Kagan, der in Europa nie verkauft wurde und in den USA nicht in Serienproduktion ging, sondern nur auf Kundenwunsch aus Nussholz und senffarbenem Lederbezug produziert wurde (Taxe 13.000 bis 18.000 EUR), ein offenes Bücherregal von Richard Neutra aus insgesamt sechs Eisen- und Eichenholzkompartimenten (Taxe 10.000 bis 12.000 EUR) und ein Stuhl für die Casa del Sole in Cervinia von Carlo Mollino, wo dieses kräftige, naturbelassene Modell in den Appartements und im Ristorante Pavia Verwendung fand (Taxe 24.000 bis 35.000 EUR).
In die große Glasvitrine von Johannes Spalt mit dem zarten, tragenden Gerüst aus leiterartigen Stahlrohrstützen im Inneren, die aus Wiener Privatbesitz für 10.000 bis 13.000 Euro offeriert wird, passen die wunderbaren Murano-Gläser, so zum Beispiel die blassgrünblaue, zylindrische Vase „Miros Due“ von Miroslav Hrstka aus dem Jahr 1968 (Taxe 6.000 bis 7.000 EUR) oder die mit diagonalen, sich kreuzenden Farbbändern gestaltete Vase „Semirone“ von Alessandro Mendini um 1990 mit geschliffenem Klarglasfuß (Taxe 11.000 bis 14.000 EUR). Auch das Besteck Mod. 666 für acht Personen von Arne Jacobsen hätte hier noch Platz, dessen Form so avantgardistisch war, dass Stanley Kubrick in seinem Zukunftsfilm „2001: A Space Odyssee“ die Raumfahrer damit essen ließ (Taxe 3.000 bis 3.600 EUR).
Noch Jahrzehnte nachdem die Pop Art zu einer international bestimmenden Kunstrichtung geworden war, griffen Möbeldesigner die Ideen weiter auf, weil sie die Grenzen zur alltäglichen Warenästhetik öffneten und spielerisch-dekorative Gesichtspunkte in den Vordergrund stellten. So wurden banale Gegenstände des Alltags isoliert, verfremdet und verarbeitet. Beispiele dafür sind etwa Frank Schreiners alias Stilettos Sessel „Consumer’s Rest“ von 1983 aus einem geschnittenen und gebogenen Supermarkteinkaufswagen auf Rollen (Taxe 2.500 bis 3.000 EUR) oder Craig Morrisons „MTV“-Sofa aus schwarzem Latex mit spitz zulaufenden Noppen in Form eines großen Kussmundes von 1990 (Taxe 6.500 bis 7.500 EUR). Besonders schrille Vertreter sind die Barhocker „La Rose Mannequin“, zwei als Referenz an Allen Jones von ihrem Oberkörper abgetrennte Schaufensterpuppen, die an der Schnittfläche zu Sitzmöbeln umfunktioniert wurden und bereits im Salon International de la Lingerie in Paris standen (Taxe 1.500 bis 2.000 EUR), und David Burys Schuh-Sitzobjekt, ein mit Leopardenfell überzogener Sessel mit der 170 Zentimeter hohen Rückenlehne eines überdimensional großen Plateau-Highheel (Taxe 2.500 bis 3.000 EUR). Das „Joe“-Sofa von Paolo Lomazzi, Donato d’Urbino und Jonathan de Pas in Form eines riesigen bordeauxroten Baseballhandschuhs, benannt nach der Baseball-Legende Joe DiMaggio, wurde in einer etwas größeren Version bereits in der Design-Auktion des Vorjahres für 12.000 Euro versteigert. Nun sind 4.000 bis 5.000 Euro dafür vorgesehen.
Das Dorotheum wartet auch mit exzentrischen Persönlichkeiten der Designszene auf, die sich geradezu wie Popstars verhalten – und auch als solche gefeiert werden. Dazu gehört etwa der Franzose Philippe Starck. In erster Linie entwirft er verkäufliche Produkte, die im Vergleich mit anderen Designern auch preiswert sein können; so sind in Wien der betont formreduzierte und kaum mit einer Sitzfläche ausgestatte Stuhl „Doktor Sonderbar“ von 1983 für 500 bis 800 Euro und die von einer Glasvase bekrönte Stehlampe „Cicatrice“ für 1.600 bis 2.200 Euro zu erwerben. Daneben verfolgt Starck jedoch auch seine „Ethik des Weglassens“ konsequent und mit exklusiven Materialien, so zu beobachten am Set aus acht schwarzen, aneinander gereihten Armstühlen „Jack Lang“ von 1987, benannt nach dem damaligen französischen Kulturminister (Taxe 5.500 bis 6.500 EUR).
Der deutsche Designer Luigi Colani gehört ebenfalls zu dieser Gruppe. Seine Vorliebe für aerodynamische Formen zieht sich bis heute durch sein Werk. In den 1960er Jahren experimentierte er mit den gestalterischen Möglichkeiten neuer Kunststoffverfahren und machte 1968 mit seinem für den Hersteller Cor entwickelten Polyester-„Schlaufenstuhl“ Furore, der aus einem einzigen, kunstvoll ineinander geschlungenen Plastikstreifen bestand. Wegen des komplizierten Herstellungsverfahrens ging das einfüßige Modell nie in Serie. Aus einer Produktion von ungefähr zehn Stück in verschiedenen Farben stammt der beim Dorotheum angebotene knallrote „Poly-Cor“, taxiert auf 10.000 bis 15.000 Euro. Gemütlicher erscheinen Colanis schwungvolle Liegen „TV-Relax“ in Weiß von 1969 (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR) und „Divan & Bedside“, ein Rattanmöbel samt Stehlampe aus einer limitierten Produktion von 100 Exemplaren von 1990 (Taxe 3.000 bis 3.500 EUR). Mit Mimmo Paladino ist auch ein Vertreter der italienischen Transavanguardia zugegen. Das für einen Schätzpreis von 20.000 bis 25.000 Euro angebotene Objekt „Solus Lady dresser“ von 1989 ist ein multifunktionales Möbel, das sich dem Anspruch von Flexibilität anpasst.
Seit den 1990er Jahren scheinen die jungen Klassiker wieder experimentierfreudiger zu sein und bringen originelle Designobjekte zum Vorschein. Das Studio Barberini & Gunnell aus Ancona ließ sich von der japanischen Kunst des Papierfaltens inspirieren und schlug mit dem aus extraklarem Kristallglas gefertigten Schreibtisch „Origami“ eine Brücke zwischen der Leichtigkeit und Undurchsichtigkeit von Papier und Glas mit seiner physischen Schwere und Transparenz (Taxe 7.000 bis 10.000 EUR). Für 4.500 bis 6.500 Euro gibt es den passenden Beistelltisch dazu. Die Chaise Longue „Powder Horse“ des Australiers Danny Venlet aus satiniertem Aluminiumblech ist eher Skulptur als Einrichtungsgegenstand, ein Experiment konvex-konkaver Formen (Taxe 8.000 bis 10.000 EUR). Aus der „Z-Scape“-Serie der Architektin Zaha Hadid stammt die Ausführung „Z-Play“ aus zwei gegengleichen Teilen mit künstlichem Ponyfellbezug in Rot und Orange, die auf einen rechteckigen, diagonal in Z-Form auseinander geschnittenen Block zurückgehen und variabel zu kombinieren sind (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR).
Von den neuen Materialmöglichkeiten der heutigen Zeit profitiert der Italiener Pino Castagna, der bei seiner knapp zwei Meter hohen Skultpur „Canneto“ von 2000 mit gefärbten Stäben aus Venini-Glas in Form eines Bündels Bambusrohren mit der täuschend echten Nachahmung spielt (Taxe 10.000 bis 15.000 EUR). Den ganzen Garten ins Haus holen kann man für einen Schätzpreis von 19.000 bis 22.000 Euro mit dem Sofa „Victoria & Albert“ von Ron Arad, für das Nuala Goodman 2010 den Leinenstoffbezug mit dem floralen Motiv „Rose Red“ gestaltete. Den entsprechenden Teppich „Vertical Garden“ aus handgeknüpfter und -gewebter Schurrwolle für 6.500 bis 7.500 Euro und mehrere Hocker in verschiedenen Größen für bis zu 4.000 Euro sind ebenfalls zu haben. Das Ensemble war 2010/11 in der Ausstellung „Gardens“ im Palazzo Fortuny in Venedig zu sehen.
Die vorindustrielle Geschichte hatte nur anonyme Designer, erst mit der Entwicklung von Massenproduktion ergab sich überhaupt die Notwendigkeit der Herstellung eines Prototyps, ein zwar funktionsfähiges, oft aber auch vereinfachtes Versuchsmodell des geplanten Produktes. Ein Vertreter dieser Gattung, das noch dazu ein Einzelstück ist, stammt von Dominique Perrault und Gaëlle Lauriot-Prévost. Der mit weißem mongolischem Lammfell überzogene Dreisitzer macht es dank der durch einen Hauptkern nahtlos verbundenen Polster und Rückenlehnen möglich, dass drei Personen nebeneinander auf dem „Indiscrete“ Platz finden, ohne jedoch in ihrer Privatsphäre gestört zu sein. Erst in diesem Jahr ging der Prototyp in veränderten Größen und Materialien bei Sawaya & Moroni in Mailand in Serie (Taxe 28.000 bis 35.000 EUR).
Eine Art „Rapid Prototyping in Stahl“ produzierte der Wiener Thomas Feichtner 2013 durch einen Roboter bei seinem minimalistischen, wohl kaum zum Sitzen geeigneten Stuhl „Steel Tube Bending“ in Reminiszenz an Mart Stam, der 1926 ein Gestänge aus zusammengeschraubten Leitungsrohren präsentierte, was die Geburtsstunde des Freischwingers und der Beginn des Stahlrohrbiegens in der Möbelindustrie war (Taxe 9.000 bis 12.000 EUR). Weitere Prototypen in der diesjährigen Design-Auktion stammen von Ana Mir und Emili Padrós, die drei verschiedenfarbige, geometrische freie Teppiche „Alfombras Irregulars“ aus ihrem Besitz beisteuern (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR), von Bruno Gironcoli, der eine wie aus einer außerirdischen Welt anmutende, gelb lackierte Schale 1986 für die Renovierung der Wiener Secession beitrug (Taxe 5.000 bis 7.000 EUR), und von Thomas Stearn. Er entwarf um 1962 für Venini in Murano den Klarglaskörper „Nebbia Lunare“, unterlegt mit schwarzem Glas in „incamiciato“-Technik (Taxe 8.500 bis 9.500 EUR).
Aufgetischt wird besonders glänzend dank des kristallin geformten Silberensembles aus teilvergoldeter Eisschüssel mit Abdeckplatte, sechs Wodkabechern, einer Kaviarschüssel mit Löffelchen und einer Wodkaflasche von Thomas Bastide aus dem Jahr 2013 für die Wiener Silber Manufactur (Taxe 36.000 bis 40.000 EUR). Für letztere entwarf auch der Modedesigner Wolfgang Joop sein „Magic Mushroom“-Set aus sechs verschieden großen versilberten Pilzen auf einer Standfläche aus geöltem Nussholz auf einem Silber gegossenen Astgestell. Das entzückende Ensemble erinnert an barocke Tafeldekorationen, die ebenfalls doppelte Funktionen als Schmuck und Gewürzgefäße hatten, und könnte auch bei Alice im Wunderland auf dem Frühstückstisch stehen (Taxe 17.000 bis 19.000 EUR). Das passende Buffet liefert die Französin Elisabeth Garouste aus türkis lackiertem Holz mit applizierten asymmetrischen Wolkengebilden aus geschmiedetem, blattvergoldetem Eisen – ein Einzelstück aus Privatbesitz (Taxe 17.000 bis 19.000 EUR).
Die Auktion beginnt am 5. Juni um 17 Uhr. Die Besichtigung ist bis zum Auktionsbeginn täglich von 10 bis 18 Uhr möglich. Der Katalog listet die Objekte unter www.dorotheum.com. |