 |  | Hans J. Wegner zwischen seinen Stühlen | |
„Es ist fast einfacher, einen Wolkenkratzer zu entwerfen als einen Stuhl“, gestand Ludwig Mies van der Rohe einmal. Denn es gäbe endlose Möglichkeiten und viele Probleme. Der Designer Hans J. Wegner, der heute vor 100 Jahren geboren wurde, wird ihm zugestimmt haben. Sein Leben lang hat der Däne an schöneren, bequemeren, moderneren und zeitgemäßen Stühlen gearbeitet. Mehr als 500 Stuhl-Entwürfe sind entstanden, darunter auch mancher Einrichtungsklassiker. Der wie eine Mischung aus Asiatischem, Englischem und konstruktivem Jugendstil daherkommende Y-Stuhl etwa wird heute noch produziert. Das Kopenhagener Designmuseum, das bis Anfang November dem Werk Hans J. Wegners eine große Retrospektive widmet, machte Wegners Stuhl-Besessenheit zum Titel: „just one good chair“ ist die Ausstellung überschrieben und nimmt Bezug auf das rastlose Streben Wegners nach dem einen, dem perfekten, genialen Stuhl, wohl wissend, dass es ihn nicht wirklich gibt.
Das Museum ehrt mit der Schau einen Möbelentwerfer, der zu den Galionsfiguren des dänischen Designs der Nachkriegszeit zählt. Bis heute sind Möbel und Einrichtungsgegenstände aus Europas Norden ein Synonym für Funktionalität und Schlichtheit, für Eleganz ohne Extravaganzen und für handwerkliche Solidität. Das Avantgardistische, wie es am Bauhaus oder im Kreis von Le Corbusier hervorgebracht wurde, war den Skandinaviern zu elitär. Ihr Stil ist moderater, eine Mischung aus Tradition und Modernität mit hohem Wohnlichkeitsfaktor. In diese Linie reihte sich auch Hans J. Wegner ein, der schon zur zweiten Generation der skandinavischen Moderne gehört.
Nach einer grundsoliden Schreinerlehre ging der Sohn eines Schuhmachers auf die Kunstgewerbeschule in Kopenhagen. Mit 24 Jahren präsentierte er auf der Ausstellung der Schreinerinnung seinen ersten Stuhl, den sogenannten „Stangerup-Stuhl“, einen niedrigen Armlehnsessel, der schon ein bisschen von Wegners Vorliebe fürs Lässige kündet. Dass hier ein junger Designer mit Talent am Werke war, erkannte auch das damals führende Architekten-Duo Arne Jacobsen und Erik Møller. Als sie 1938 mit der Gestaltung der Bibliothek in Nyborg und zwei Jahre später mit dem dortigen Rathaus beauftragt wurden, gehörte Wegner zu ihrem Team. Er war mit den Möbeln befasst, die bis heute das Etikett Jacobsen/Møller tragen.
Wegner hat sich kurz darauf selbständig gemacht. Seit 1943 arbeitete er mit dem Möbelhersteller Fritz Hansen zusammen. Heute wird er in einem Atemzug mit Kaare Klint, dem Urvater des dänischen Möbeldesigns, mit Børge Mogensen und Finn Juhl genannt. Aber unter all diesen gilt er als der Meister der organischen Möbelkunst. Seine Entwürfe sind geschmeidig, ohne bieder zu wirken. Es ist vor allem die Universalität und gestalterische Poesie der Möbel von Hans J. Wegner, die dem dänischen Design nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu einem internationalen Durchbruch verhalfen. In den USA hieß Wegners „Runder Stuhl“ von 1949 nur „The Chair“. Er wirkte mit seiner gebogenen Rückenlehne klassisch und in seiner gefälligen Einfachheit geradezu demokratisch. Er war die perfekte moderne, neutrale Kulisse für das erste TV-Duell amerikanischer Präsidentschaftskandidaten 1960, in dem sich Kennedy und Nixon einen Schlagabtausch lieferten.
Stühle zeigen Wegners Weg vom Traditionalisten zum internationalen Modernisten. Englische Landhausmöbel lieferten ihm die Anregung für eine Reihe von Sprossen-Stühlen, unter denen der „Pfau-Stuhl“ wie ein volkstümlicher Thron wirk. Chinas halbrunde Hufeisen-Stühle oder der antikische Klismos-Stuhl haben seine halbrunden Sitzmöbel beeinflusst, und die praktischen Arbeitsböcke aus Werkstätten und Architekturbüros ließen Ideen zu einer Reihe formschöner Klappstühle entstehen. Wegner ging es aber auch immer um Innovation. In seinem dreiteiligen Schalenstuhl verband er neue Technologie und moderne Formensprache. Die Sitzflächen schweben scheinbar auf dem gebogenen Holzrahmen. Leichtigkeit, Luftigkeit, organisch Fließendes – das waren Ansprüche, die sich die Moderne nach dem Krieg stellte, als ein neuer Wohlstand auch einen neuen Lebensstil einforderte. Und nicht zuletzt ging es Hans J. Wegner auch schlicht um Bequemlichkeit. Er hat eine Marotte in ein Möbel umgesetzt. In seinem Sommerhaus grub er sich häufig eine Kuhle in den Sand, um angenehm hocken zu können. Eine neue Sitzposition war entdeckt, die er in seinem „Flaggenleinen-Stuhl“ von 1950 industriell adaptierte.
„Wie viele dänische Modernisten beherrschte Wegner sein Handwerk durch und durch: das Proportionieren, die Spielregeln des Funktionalismus und alles, was sonst noch zu einem großen dänischen Designer des 20. Jahrhunderts fehlt.“, schreibt Christian Holmsted Olesen in der stilvoll gestalteten, ausstellungsbegleitenden Monografie, die auf Deutsch vom Hatje Cantz Verlag verlegt wird. Die Publikation ist kein schnell produzierter Jubiläumsband. Sie hat das Format, ein Standardwerk zu werden. Sie beschreibt Wegners Erfolge und kategorisiert seine Möbeltypen, aber sie geht auch der Frage nach, wie Wegner gearbeitet hat, was und wer ihn in den verschiedensten Phasen seines Schaffens inspiriert hat. Denn Wegners Meisterschaft ruht schließlich auch in seiner Persönlichkeit. Während andere vor allem am Reißbrett entwarfen, war Hans J. Wegner ein Mann, der die Nähe zum Handwerker, zum Schreiner nie aus den Augen gelassen hat. Für den Band wurde reichlich Archivmaterial verwendet, seine Möbel sind ausschließlich in Schwarz-Weiß-Fotografien wiedergegeben. Besser kann man die Zeit, in der dieser Meister des Designs agierte, nicht illustrieren.
Die Ausstellung „Wegner. just one good chair läuft vom 3. April bis 2. November im Designmusem Danmark in Kopenhagen; www.designmuseum.dk
Christian Holmsted Olesen: „Wegner. just one good chair“
Hatje Cantz Verlag 2014
255 Seiten, Preis 49,80 Euro
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