Seinen 90. Geburtstag feiert Ernst Scheidegger am 30. November. Das Museum Folkwang nimmt den Festtag zum Anlass, das Schaffen des Schweizer Fotografen in einer Ausstellung dem Publikum vorzustellen. Gestern eröffnete das Essener Museum eine Schau, in der rund 60 Fotografien aus der Sammlung des Zürchers zu sehen sind. Sie stammen aus einem Ankauf, den das Museum mit Unterstützung der Krupp-Jubiläums-Stiftung in diesem Jahr tätigen konnte.
Scheidegger hat als scharfsichtiger Bildjournalist und sensibler Porträtist von Künstlern ein Kapitel Fotogeschichte geschrieben. Er stammt aus Rorschach am Bodensee. Einem Studium der Fotografie bei Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich folgten Assistenzen bei Werner Bischof und Max Bill. Zwischen 1949 und 1952 verantwortete Scheidegger im Rahmen des Marshallplanes fünf internationale Foto-Ausstellungen.
Vielfältig waren die Bereiche, in denen Ernst Scheidegger tätig war: Er fotografierte für die Agentur Magnum Photos, war 1959/60 Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, verantwortete als Bildredakteur von 1960 bis 1988 die Wochenendbeilage der Neuen Zürcher Zeitung, für die er rund 200 Bildreportagen erstellte. Außerdem war Scheidegger auch als freier Filmregisseur, Verleger und Galerist tätig.
Das Konvolut von Fotos, das nun zum großen Teil in der Sonderausstellung im Museum Folkwang zu sehen ist, stammt aus einer Schachtel, die Scheidegger jahrzehntelang verwahrt hatte. Darin sammelte er lose Abzüge, die er als junger Fotograf mit berühmten Kollegen tauschte. So erhielt er Bilder von Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Ernst Haas oder David Seymour. Im Januar 2013 öffnete er die Schachtel mit den Bildern seiner Freunde für Tobia Bezzola, den Direktor des Museums Folkwang. Zu den 86 angekauften Fotografien schenkte Scheidegger dem Museum Folkwang noch 25 eigene Bilder aus Burma und Indien.
Die wertvollen Vintage-Prints entstanden damals als Tauschobjekte unter Freunden; daher rührt auch der Titel der Ausstellung: „Bilder unter Freunden“. Unter ihnen finden sich Ikonen der Fotogeschichte wie Capas umstrittenes Bild „Fallender Soldat“ oder Cartier-Bressons bestechend eingefangene Szene von der Verbrennung des Leichnams von Mahatma Gandhi aus dem Jahr 1948, aber auch Reportagefotos etwa aus dem Japanisch-Chinesischen Krieg. Werner Bischof, Ernst Haas, Ruth Orkin oder George Rodger spannen mit ihren Arbeiten ein weites Panorama der frühen Nachkriegsfotografie, etwa mit Aufnahmen aus dem Sudan oder dem Wien der 1940er Jahre. Alle Bildern ist der humanistische Blick auf die Wunden und das Leid der Welt während der Kriegs- und Nachkriegszeit eigen.
Die Fotos sind teils im Pressebildformat von 18 auf 24 Zentimetern, teils in größeren Formaten für Ausstellungszwecke abgezogen. Die Präsentation versteckt den Werkstattcharakter der ausgezeichnet erhaltenen Abzüge nicht hinter Passepartouts, sondern zeigt die Bilder in ihrem ursprünglichen Zustand, manche mit breiten unbelichteten Randstreifen.
Ernst Scheideggers Archiv umfasst rund 80.000 Negative und 50.000 Diapositive, dazu Filme über Künstler und Reisereportagen. Seit 2011 pflegt die „Stiftung Ernst Scheidegger-Archiv“ den von der Neuen Zürcher Zeitung übernommenen Archivbestand, inventarisiert und digitalisiert die Bilder. 2013 erschien im Verlag Scheidegger & Spiess eine Neuausgabe des Buchs „Alberto Giacometti. Spuren einer Freundschaft“ mit rund 30 bisher unveröffentlichten Farbfotografien. Ernst Scheidegger hatte Giacometti schon als junger Mann kennengelernt und 1964 bis 1966 einen preisgekrönten Film über den Künstler gedreht.
Die Ausstellung „Bilder unter Freunden – Die Sammlung Ernst Scheidegger“ läuft vom 30. November bis zum 16. Februar 2014. Das Museum Folkwang hat täglich außer montags von 10 Uhr bis 18 Uhr, freitags bis 22:30 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5, ermäßigt 3,50 Euro und berechtigt auch zum Besuch der Dauerausstellung. |