 |  | Goldschale aus Bad Cannstatt, Ende 6. Jahrhundert v. Chr. | |
„Der Istros nämlich entspringt im Lande der Kelten bei der Stadt Pyrene und fließt mitten durch Europa. Die Kelten wohnen jenseits der Säulen des Herakles und sind die Nachbarn der Kynesier, die unter allen Europäern am weitesten im Westen wohnen.“ So schildert der griechische Geschichtsschreiber Herodot die Kelten und erwähnt sogar die Stadt Pyrene, von der Forscher heute vermuten, dass es sich um die Höhensiedlung Heuneburg an der oberen Donau – auf Thrakisch „Istros“ – handelt. Schon zuvor um 500 vor Christus spricht der griechische Schriftsteller Hekataios von Milet zum ersten Mal vom „Volk der Keltoi“ und lokalisiert sie analog. Bis heute umgeben viele Rätsel das aus verwandten Stammesgruppen ohne übergreifende staatliche Organisation bestehende Keltenvolk. Eine Nation bildete das Bauernvolk nie, das in antiken Quellen als kriegerisch und barbarisch beschrieben und sporadisch in die esoterische Ecke abgedrängt wurde. Es gibt kaum Belege zum Glauben und keine schriftlichen Überlieferungen; die Verständigung und Weitergabe von Traditionen erfolgte offensichtlich nur mündlich.
Grob überschlagen sind die Kelten ab 800 vor Christus bis zu Christi Geburt in einer geografischen Kernzone zwischen Slowenien, Österreich, Tschechien über Süddeutschland, die Schweiz bis weit nach Ostfrankreich ins Hinterland von Marseille zu lokalisieren. Im Mittelpunkt stehen keltische Siedlungen in Baden-Württemberg. Nach deren Eroberung unter Julius Cäsar ab dem Jahr 58 vor Christus und dessen Nachfolger Augustus verschmilzt die keltische Lebensform mit römischen Kulturelementen, bevor sie anschließend mit dem Vorrücken germanischer Stämme in deren Zivilisation aufgeht.
Baden-Württemberg hat heuer ein „Keltenjahr“ ausgerufen, dessen Höhepunkt ab Mitte September die Landesausstellung „Die Welt der Kelten“ in Stuttgart ist. Die Schau konzentriert sich auf die Themenschwerpunkte „Zentren der Macht“ mit der Vorstellung des täglichen Lebens in Fürstensitzen und Stadtanlagen sowie „Kostbarkeiten der Kunst“ mit prachtvollem Schmuck und Gebrausgegenständen. Schwerpunkt im Gegensatz zur Keltenausstellung in Völklingen vor zwei Jahren sind Neufunde und Spitzenstücke aus Baden-Württemberg sowie Objekte aus anderen europäischen Ländern etwa England, die noch nie in Deutschland zu sehen waren. Auf 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche werden über 1.500 Objekte und Objektgruppen dargeboten.
Zahlreiche archäologische Untersuchungen brachten in den letzten Jahrzehnten erlesene Kunstgegenstände ans Tageslicht. Besonders bei der Metallverarbeitung entwickelten die Kelten eine hoch entwickelte Handwerks- und Kunstfertigkeit. Deren Blüte ließ für die damalige Zeit außergewöhnliche Artefakte entstehen. Anhand dieser kostbaren Hinterlassenschaften versuchen Forscher, Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen. Goldene Trink- und Speisegeschirre, Figuren und Interieur, eiserne oder bronzene Prunkdolche, verzierte Nadelknöpfe oder Fibeln, goldene Halsringe als Zeichen hochgestellter Persönlichkeiten, Kleidungsgegenstände wie Schuhe oder in Streifen und Karos bunt gemusterte Webstoffe vermitteln heute ebenso ein Bild des unbekannten Volkes wie erforschte Siedlungen samt rekonstruierter Wohn- und Wehrbauten oder griechische Importgüter darunter Amphoren oder Schalen, die intensive Handelsbeziehungen belegen.
Zur Landesausstellung bietet es sich an, einige Stätten der Kelten rund um Stuttgart zu besuchen. Nahe bei in Hochdorf an der Enz wurde 1978/79 ein reich ausgestattetes, unberaubt gebliebenes Prunkgrab aus der Zeit um 550 vor Christus entdeckt und ausgegraben – seinerzeit eine Sensation. Seit 1991 werden die Schätze im Keltenmuseum Hochdorf rund 400 Meter vom Fundort entfernt präsentiert. Beim Bau des Museums wurde zudem eine unbefestigte keltische Flachsiedlung entdeckt. Von diesem Dorf rekonstruierte man ein Gehöft aus Holzbalkenkonstruktionen, mit Lehm abgedichteten Flechtwänden aus Stangen und Ruten sowie einem Strohdach. Das benachbarte Museum wird von einem Metallbogen überspannt, der das Profil des an originaler Stelle wieder aufgeschütteten, sechs Meter hohen Grabhügels anzeigt.
Im Mittelpunkt der Präsentation steht die Rauminszenierung mit der Rekonstruktion der Grabkammer. Sie bestand aus zwei ineinander stehenden Holzräumen, deren Zwischenzone mit Steinbrocken gefüllt war. Im Laufe der Jahrhunderte ist der tresorartig geschlossene Hohlraum eingestürzt, wodurch kostbare Gegenstände zerdrückt wurden. Der gute Erhaltungszustand der gepressten Objekte erlaubte es, sie in aufwendigen Restaurierungsmaßnahmen wieder herzustellen. Der Tote lag auf einer reich verzierten Bronzekline, quasi einem Sofa, dem wohl bemerkenswertesten Fundstück. Zwischen den in Frauengestalt ausgeformten Füßen waren Räder zum Rollen eingelassen. Der Tote war in kostbare Textilien gewandet, mit denen auch die gesamte Kammer ausgekleidet war. Des Weiteren erregte der Prunkwagen Aufsehen, dessen Holzgerüst mit 1.320 dünnen Eisenblechstücken beschlagen ist. 800 Bleche sind mit punzierten Rillen aufwendig geschmückt. Das Stück gilt als Höhepunkt frühkeltischer Feinschmiedekunst.
Neben Gegenständen des täglichen Gebrauchs, reichem Goldschmuck, kostbaren Speise- und Trinkgeschirren, darunter neun Trinkhörnern, Goldschalen, Tellern, Trinkgefäßen, Henkelbechern samt Schlachtgeräten, die allesamt Gebrauchsspuren aufweisen, Pferdegeschirren und Textilien ist ein mit Löwen verzierter Bronzekessel von Belang, der als Importware einer griechischen Werkstatt gilt. Formen und Verzierungen führen Forscher auf etruskische Einflüsse zurück. Generell bleibt anzumerken, dass der keltische Kunststil östliche und mediterrane Anregungen verarbeitete und sie in eigenes Kunstempfinden umsetzte. Zahlreiche weitere Funde aus der Umgebung bereichern die ergänzenden Darstellungen zu Leben, Gesellschaft und Strukturen der Kelten. Das Skelett eines Toten ist in einem Glassarkophag zu sehen. Der rekonstruierte Kopf zeigt, wie er wohl ausgesehen hat.
Doch eines bleibt offen: Wer die so genannten Fürsten waren, die in den Hügelgräbern beigesetzt wurden. Waren es Großbauern, Priester, Herrscher? Caesar spricht in seinen Berichten über die Kelten, die er als Gallier tituliert, von Druiden, einer Schicht aus gelehrten Männern, Denkern, Richtern und Wissenschaftlern. Die Ausbildung einer „High Society“ schreiben Forscher als maßgebliche Sonderheit in unseren Breiten jedenfalls den Kelten zu. Eines der erstaunlichsten Exponate aus Hochdorf wird übrigens an die Stuttgarter Ausstellung verliehen: Eine in der Siedlung gefundene Bronzewaage mit Tarierskala zum Ausgleichen von Fehlgewichten. Das Importstück gilt als älteste bisher nördlich der Alpen gefundene Feinwaage.
Auch die Heuneburg ist einen Besuch wert. Schon von weitem sichtbar imponiert die wehrhafte Höhensiedlung auf einem von steilen Abhängen gerahmten Geländesporn hoch über der jungen Donau bei Herbertingen. Zwischen 620 und 480 vor Christus entstanden, vermuten die Archäologen in dem bedeutenden Siedlungs-, Macht- und Wirtschaftszentrum eine der ältesten Städte nördlich der Alpen und einen der Entstehungsorte keltischer Kunst und Kultur. Seit 1923 wurde erst ein Hektar der dreimal so großen Siedlungsfläche ausgegraben.
Auf dem erforschten Areal richteten die Forscher ein Freilichtmuseum mit originalgetreu rekonstruierten Gebäuden ein. Am markantesten ist die 80 Meter lange Wehrmauer mit einem von Brustwehren und Schießfenstern begleiteten Wehrgang, geschlossen von einem schindelgedeckten Satteldach. Auf einem sichtbar erhaltenen, drei Meter dicken Kalksteinsockel baut sich aus luftgetrockneten Lehmziegeln das Mauerwerk auf. Diese aus dem griechisch beherrschten Mittelmeerraum stammende Technik findet sich nördlich der Alpen nur hier. Entstanden ist das mit weißem Kalkputz überzogene und vom „Donautor“ unterbrochene Wehrwerk zwischen 600 bis 550 vor Christus.
Gut geschützt dahinter befindet sich die eng bebaute Siedlung, von der das am Originalfundplatz rekonstruierte Haus eines keltischen Buntmetallschmieds, ein karg ausgestattetes Wohnhaus mit Werkstatt und Speicher, Einblicke in die Lebensumstände vor 2500 Jahren gewährt. Ein ebenfalls originalgetreu rekonstruierter Großbau, das so genannte „Herrenhaus“ samt Doppelbackofen, stammt aus einer andern der insgesamt 23 festgestellten Besiedlungsschichten. Daneben existierten noch eine Außensiedlung mit Handwerkerniederlassungen und 15 Grabhügel. Nach einem wiederholten Großbrand um 480 vor Christus wurde die Heuneburg aufgegeben. Im Sommer 2012 fanden Archäologen zwei Kilometer südlich das nicht ausgebeutete Grab einer Keltenfürstin. Nach der Bergung en Block wird es unter klinischen Bedingungen im Labor erforscht. Einige der zahlreichen vergoldeten Schmuckstücke werden auch in der Stuttgarter Ausstellung erstmals öffentlich zu sehen sein.
Archäologisch nachgewiesen wurde auch auf der Heuneburg die führende Rolle spezialisierter handwerklicher Tätigkeiten, allen voran auf dem Gebiet der Bronze- und Eisenverarbeitung. Künstler widmeten sich dem Goldschmiedehandwerk, der Glasproduktion sowie Bernsteinverarbeitung in Einzelanfertigungen. Allerdings blieben sämtliche handelnden Personen völlig unbekannt. In einer ehemaligen klösterlichen Zehntscheune im zwei Kilometer entfernten Hundersingen werden anhand originaler Funde Lebensumstände sowie vor allem die weit verzweigten Handelsbeziehungen und Kontakte belegt. Bernstein von der Ostsee, Transportamphoren aus Marseille, Schmuck als Slowenien, griechische Importvasen, Trinkschalen, Weinmischgefäße und bemalte Keramik dokumentieren die engen Kontakte insbesondere zu den Griechen und die Übernahme ihrer Fertigkeiten und Techniken. Mehr noch: Als einziges Volk in der Antike verstanden es die Kelten, erhitzten Glasfluss nahtlos zu Armringen zu formen. Sie förderten Gold, Kupfer, Zinkspat, Blei oder Quecksilber teils aus tiefen Bergwerken.
Neben den überreichen Prunkgräbern und befestigten Fürstensitzen mit Höhensiedlungen aus dem Abschnitt der Hallstattzeit von 800 bis 450 vor Christi ist die Oppida-Kultur ein bemerkenswertes Phänomen, die sich in der nachfolgenden Latènezeit bis 15 vor Christus ausbildete. Wer sich auf Spurensuche der Kelten begibt, findet ein solches spätantikes Oppidum aus dem zweiten und ersten Jahrhundert vor Christus im „Heidengraben“. Die von steilen Hängen umgebene Albhochfläche breitet sich zwischen den Orten Grabenstetten, Erkenbrechtsweiler und Hülben aus. Das 1.700 Hektar große Kulturdenkmal mit Hügeln, Gräben und Wellen beherbergte einst bis zu 10.000 Menschen. Die stadtähnlich befestigte Großsiedlung war von Steinmauern mit aufgesetzten Palisaden umgeben. Hinein gelangte der Besucher durch so genannte Zangentore. Eine dieser acht Reusen mit trompetenförmiger Verengung hat man nahe Erkenbrechtsweiler auf ausgegrabenen Resten rekonstruiert. Scherben, Amphorenreste, Drehmühlsteine werden immer wieder auf den Feldern des von der Natur geschützten, zerklüfteten Plateaus gefunden. Weitere Untersuchungen und museale Präsentationen sind in Vorbereitung.
www.kelten-stuttgart.de
www.keltenjahr2012.de
www.heuneburg.de
www.keltenmuseum.de
www.kelten-heidengraben.de |