Auf hohen weißen Wänden, in hellen weiten Räumen hängen große Leinwände in ausdruckstarken Farben. Dazwischen finden sich vereinzelt immer wieder einige grau-monochrome Bilder. Ungewöhnlich elegant und luftig ist die Hängung von Albert Oehlens Werken im Bonner Kunstmuseum. Ungewöhnlich in Bezug auf das Œuvre des Künstlers, denn Eleganz scheint in sein malerisches Selbstverständnis zunächst wenig zu passen. Ausdrücklich wurde diese Hängung von Oehlen selbst gewünscht – und tatsächlich erweist sich diese Entscheidung bei näherer Betrachtung als symptomatisch für seine Positionen. Ausgehend von der Paradoxie des „Bad Painting“ – ein Begriff zurückgehend auf eine Ausstellung im New Yorker New Museum of Contemporary Art von 1978 – entwickelte Albert Oehlen in den frühen 1980er Jahren eine ironisch-uneigentliche Haltung, die sich in der Folgezeit zu strukturell widersprüchlichen und uneindeutigen Behauptungen in seinen Bildern entfaltete. Die Dichotomie der „Postungegenständlichkeit“, wie der gebürtige Krefelder es selbst nennt, prägte von da an die letzten drei Jahrzehnte sein Schaffen. Gegenständlichkeit als inhaltliche Herausforderung existierte nicht mehr, vielmehr war sie formales Element. Seine Werke behaupten und widerlegen dies zugleich.
Albert Oehlens Umgang mit malerischer Abstraktion, der in dialektischer Art und Weise die konventionelle Differenzierung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit obsolet macht, bereitet das Bonner Kunstmuseum nun zu einem zentralen Themenkomplex in seiner Ausstellung auf. Dabei verzichtete Kurator und Museumsdirektor Stephan Berg auf eine chronologische Ordnung der Bilder, sondern brachte bewusst Leinwände aus verschiedenen Werkphasen und unterschiedlichen Kontexten miteinander in Kontakt. Dem Betrachter offenbart sich so ein enthüllender Blick auf das heterogene Werk Albert Oehlens, das durchaus Strategien von Abstraktion, Skepsis, Ironie und Ambivalenz mit malerischer Ästhetik zu verbinden weiß.
Diese eigentümliche Schönheit kommt vor allem in den neuesten Arbeiten des Künstlers zu Tage, von denen drei eigens für die Bonner Ausstellung gefertigt wurden. Im Auftaktraum der Schau im Obergeschoss des Bonner Hauses verdeutlichen „Hey“ von 2007 und ein unbetiteltes Werk von 2011, das Elemente eines Sonnenschirms mit Linien und Farbflächen verbindet, die voranschreitende Suche Oehlens nach einer puren Malerei: Der Bildplan hat sich radikal geleert. Vor weißem Grund müssen sich die einzeln gesetzten Linien und Farben nun in einer unkorrigierbaren Pointiertheit selbst behaupten. Und trotzdem bleiben durchaus klassische Kompositionsweisen bestehen. Die Vertikalität und die geschwungene Rundung des Schirms werden von den Linien aufgegriffen. Ausblicke schaffen ein irritierendes Verhältnis von Bildtiefe und Fläche. Auch in „Hey“ werden Oehlens Überlegungen zur Verwischung des zentralen Bildfeldes deutlich. Der Schriftzug „Hey Dimitri“ ist so gut wie nicht mehr zu erkennen. Thematisiert wird das Bildfeld und der Rahmen, dessen Überschreitung und Sprengung; doch zugleich hält der Künstler den Bildrand genau ein.
In dieselbe Werkgruppe ist auch ein weiteres Bild von 2011 zu ordnen, auf das Oehlen zwei blaue rechteckige Plakatelemente aufgeklebt hat, aus denen Teile ausgeschnitten sind. Die Mitte bleibt hier im doppelten Sinne leer. Zum einen sind die Collageelemente rechts und links auf der weißen Leinwand angeordnet, zum anderen löschte Oehlen ihre eigene Mitte aus. Im völligen Gegensatz zu den neueren Arbeiten voll luftiger Leichtigkeit präsentiert sich „Terpentin“ von 1995, eine Komposition, der ein karierter Markisenstoff zugrunde liegt. Es scheint als wolle Albert Oehlen hier durch eine Überfüllung des Bildplans seine Malerei direkt zum Kollaps treiben.
Ähnlich wie der Markisenstoff wird in einem weiteren titellosen Bild von 1993 ein Immendorff-Portrait einer Assistentin für Oehlen zum Ausgangspunkt seiner Arbeit. Auf dem fertigen Werk ist nur noch eine Hand in der rechten oberen Bildhälfte übriggeblieben. Alles weitere hat der Künstler übermalt mit warmen Braun- und Gelbtönen, mit grünen und blauen Linien und durch vereinzelte rote Akzente. Auch in „Born“ von 1997 ist der Begriff der „Kettenreaktion“ passend. Oehlen fing an zu malen und im Moment des Farbauftrags entwickelte er die Idee zum weiteren Farbauftrag. „Erst daraus ergaben sich die Formen“, erzählt der Kurator Stephan Berg.
Vergleichbare Motive finden sich zudem in dem Bild „Leuchtspurenelemente“ von 1996, wie beispielsweise die gelbe leiterartige Form. Vor dem Besucher entwirrt sich ein Farbgeflecht von blauen und grünen Flächen mit weißen Balken und Linien sowie einigen Drippingelementen. Eingearbeitet sind außerdem Farbreste, die erhaben über dem Bildplan liegen. Ein orangefarbener Stern steht an der Spitze der Komposition. Wieder einmal stellt sich Abstraktion neben Gegenständliches.
Mit der extremen Farbigkeit jener Werkgruppe kontrastieren die grauen Bilder Albert Oehlens, die der Künstler seit 1997 schuf. „Ich wollte noch stärkerfarbige Bilder malen und habe mir die grauen als Therapie verordnet, um die Gier nach der Farbe künstlich zu steigern“, argumentiert der Maler selbst. Anfänglich entsprangen die Arbeiten aus der Not heraus, dass Oehlen in seinem spanischen Atelier nur noch die Farben Rot und Grün zur Verfügung hatte. Das Prinzip, aus Farbigkeit Nicht-Farbigkeit zu machen, um das Verlangen danach anzufachen, greift Oehlen im Folgenden immer wieder auf.
In „Raucher“ von 1999 oder „Vergessen auf Rädern“ aus dem Jahr 2005 wird der permanente Kampf des Hervorbringens und Negierens mehr als deutlich. Das für Oehlen typische Zugleich von Appellativem und des In-sich-Zurückziehen dauert an. Die Anspielung auf Gegenständliches lockt den Betrachter in Bild, lässt ihn dann jedoch alleine. Ist es wirklich eine comicartige Figur, die raucht – oder sind es bloß Farbflächen? Und sind die runden Formen tatsächlich als Räder zu verstehen? Der Betrachter läuft unwillkürlich ins Leere, er ist der Malerei ausgeliefert.
Ein weiteres Hauptthema der Bonner Ausstellung ist das Verhältnis zwischen Linie und Fläche. Auch in den bereits erwähnten Werken ist diese Spannung stets latent vorhanden, doch prominent und bildbeherrschend tritt sie vor allem in den seit Anfang der 1990er Jahre entstandenen Computerbildern auf. In „Fleisch“ von 1995 durchwebt ein feines Gespinst von zartrosa, braunen, beigefarbenen und schwarzen Fäden die Bildoberfläche. Dahinter treten runde, ovale und rechteckige Formen hervor. Ironisch erinnert Albert Oehlen hier an die sinnliche Erotik der Linie, die wie bei Willem de Kooning stets die Rundungen einer Frau in sich trägt. Selten deutlich tritt De Kooning hier als wichtiger Dialogpartner Oehlens auf. Doch wie könnte es anders sein, der Umgang mit dem Körpermotiv ist widersprüchlich. Die digitale Kühle der archaischen Computerlinie des einfachen Grafikprogramms von Texas Instruments stößt in eigentümlicher Weise gegen die manuelle Überarbeitung durch Ölfarbe und Pinsel.
Reine Reproduktionstechnik und Oehlens persönliche Handschrift treffen auch in „Captain Jack“ aus dem Jahr 1997 aufeinander. Die Struktur des Bildes als Kunstprodukt wird durch diese Gegenüberstellung zusätzlich verstärkt. Die digitale Bearbeitung verweist auf ihre eigenen Grenzen, da sie ungelenk und pixelig wirkt. Die malerischen Elemente geben hingegen die Möglichkeit ihrer Erweiterung. Hellsichtig ist dieser Diskurs über die „in sich ambivalente Struktur des Bildes als Artefakt“, wie Stephan Berg sie charakterisiert. „Das Bild wird durch die manuelle Bearbeitung noch künstlicher als zuvor“, bringt Oehlen es auf den Punkt. Tatsächlich sind mache der Arbeiten aus der Werkgruppe der Computerbilder keine Siebdrucke, sondern reine Malereien. 2004 schuf Oehlen auf diese Weise ein Bild, das zwar den Anschein einer digitalen Komposition vorgibt, tatsächlich allerdings dessen Simulation ist, da der Künstler es ganz und gar mit seiner Hand malte.
Die Linie als Hauptakteur bei Oehlen kündigt sich bereits in den Baumbilder aus den frühen 1980er Jahren an, und auch das Spiel von Gegenständlichkeit und Abstraktion ist bereits erkennbar. Völlig entgegengesetzt zu den Computerbildern der 1990er Jahre ist hier die Farbigkeit, die sich beispielsweise in einer Arbeit von 1988 in charakteristischer Manier in erdigen, warmen Tönen präsentiert. Aus einem zentralen Stamm erwächst ein noch als solches zu erkennendes schwarzes Astgewirr über die Leinwand. Aber auch hier sind grafische Elemente zu finden, die verunklaren und abstrahieren.
An diese Arbeiten knüpfen drei Werke von 1989 an, die in Bonn mit einer Computerarbeit aus dem Jahr 2007 gemeinsam in einem Raum hängen. Wie ein schwerer Farbregen ziehen sich die triefenden Bahnen von Gelb, Braun und Grün über die Leinwand. Der Blick in die Tiefe wird dem Betrachter auch hier verwehrt. Immer wieder aufs Neue formuliert Albert Oehlen also seine Skepsis gegenüber der Malerei – und zwar mittels der Malerei selbst.
Die Ausstellung „Albert Oehlen“ ist noch bis zum 3. Juni zu sehen. Das Bonner Kunstmuseum ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs zusätzlich bis 21 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 7 Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Für Kinder bis 12 Jahre, Schulklassen und Mitglieder des Museumsvereins ist der Eintritt frei. Als Begleitpublikation kann ein Katalog zur Ausstellung für 29 Euro erworben werden. |