Betritt man in diesen Tagen die Overbeck-Gesellschaft, so wird man von einem vielstimmigen Konzert fallender Tropfen empfangen. 16 handelsübliche Edelstahleimer hat die brasilianische Künstlerin Rivane Neuenschwander, 45, in verschiedenen Höhen an dünnen Stahlseilen aufgehängt. Die Eimer sind mit winzigen Löchern im Boden versehen und jeweils mit etwas Wasser gefüllt. Unter jedem Eimer steht ein weiterer, der die Tropfen auffängt und gleichzeitig als Resonanzkörper dient. Die ebenso minimalistische wie sinnliche Installation trägt den Titel „Rain rains“. Neuenschwander schafft ein begehbares Environment, das auf die knappe Ressource Wasser anspielt, andererseits aber auch die Geräuschkulisse im tropischen Regenwald zitiert. In Brasilien hat die einst optimistische Nachkriegsmoderne von Architekten wie Oscar Niemeyer die ersten Spuren ihres sanften Verfalls bereits erfahren. Der beiläufig aufgestellte Eimer, der die eigentlich notwendige Reparatur eines Lecks in der Decke nur kaschiert, gehört zum Alltag in den Tropen. Solchen Momenten der Improvisation wohnt aber immer auch etwas Poetisches inne.
In der Overbeck-Gesellschaft tritt Rivane Neuenschwander jetzt in einen Dialog mit der in Berlin und Seoul lebenden Südkoreanerin Haegue Yang, 42. Beide nahmen 2009 mit großem Erfolg an der Biennale Venedig teil. In ihren Arbeiten untersucht Yang das brüchige, oft temporäre Netzwerk aus Beziehungen in der Gemeinschaft. Ihre raumfüllende Installation für die Lübecker Ausstellung besteht aus sieben skulpturalen Arbeiten aus ihrer „Series of Vulnerable Arrangements“. Die hier gezeigten „Seven Basel Lights“ versteht Haegue Yang als abstrakte Porträts. Sie bestehen aus Infusionsständern, über die Yang ein Gewirr aus losen Kabeln mit nahezu allen zur Zeit lieferbaren Typen farbiger Leuchtmittel gehängt hat. Weitere Accessoires wie Modeschmuck, Netze oder Schnüre kommen hinzu. Einige Glühbirnen wechseln langsam die Farbe, andere blinken. Die einzelnen Arrangements, die durch Kabel lose miteinander verbunden sind, tragen anspielungsreiche Namen wie „Lässige Tiefstapelei“, „Drag Queen“ oder „Second Teenage Riot“, die auf menschliche Charaktere hindeuten. Ähnlich wie in gesellschaftlichen Netzwerken bestehen zwischen ihnen lockere Verbindungen. Eine Geruchsmaschine, wie sie zur Beeinflussung von Kaufverhalten in Warenhäusern verwendet wird, versprüht einen diffusen organischen Duft, der bei jedem Betrachter ganz individuelle Erinnerungsmuster zwischen Attraktion und Abstoßung in Gang setzt.
Im zentralen Raum zeigt Rivane Neuenschwander eine Arbeit, die 2009 in Venedig entstanden ist. Sie hatte dort eine Schreibmaschine aufgestellt, bei der nur die Zeichen, nicht aber die Buchstaben funktionierten. Besucher waren aufgefordert, frei assoziativ eine Zeichnung zu tippen. Herausgekommen sind Autos und Vögel, aber auch kunstbetriebskritische Textbotschaften. Neuenschwander nobilitiert die 80 anonymen Publikumsarbeiten, indem sie sie rahmen lässt und erneut in den Ausstellungskontext einschleust. Haegue Yang zeigt im selben Raum eine Gemeinschaftsarbeit mit dem befreundeten deutschen Künstler Peter Lütje: Eine Hommage an Rivane Neuenschwander in Form antiquarischer, überwiegend populärwissenschaftlicher Bücher auf weißen Sockeln.
Subversive Zivilisationskritik, konzeptuelles Denken, das Aufrufen autobiografischer, individueller und kollektiver Erinnerungen und die ihnen beiden gemeinsame skeptische Haltung gegenüber unreflektiertem, technologischen Fortschritt setzen die Künstlerinnen in der Overbeck-Gesellschaft in sinnlich-poetische Inszenierungen um. Spielerische und ironische Elemente verleihen den Arbeiten eine große sensitive Leichtigkeit und Schönheit.
Die Ausstellung „Haegue Yang und Rivane Neuenschwander (als Gast: Peter Lütje)“ ist bis zum 1. April zu sehen. Die Overbeck-Gesellschaft – Kunstverein Lübeck hat dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Es erscheint kein eigener Katalog, erhältlich sind aber verschiedene Publikationen anderer Häuser. |